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Der wahre Jakob: illustrierte Zeitschrift für Satire, Humor und Unterhaltung — 16.1899

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https://doi.org/10.11588/diglit.8255#0016
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. 2916

Die Gegensähe berühren sich.

Die Ltandesunterschiede verwischen sich mehr und mehr, — die hohen und niedern Stände leben heutzutage vom Pferdefleisch.

Rauch.*

von Marie rconoxnicka. Deutsch von S. Horowitz.

So oft sie zum Fenster ihres Stübchens
hinausblickte, konnte sie ihn sehen, wie er als
graue Säule aus dem Fabrikschlote hervor-
qualmte. Für sie war dieser Rauch von be-
sonderer Bedeutung — er sprach zu ihr, sie
verstand ihn, in ihren Augen war er ein bei-
nahe lebendiges Wesen.

Wenn bei Tagesanbruch, während das Mor-
genroth flainmte und regenbogenartig schillerte,
der Rauch in runden, schwarzen Stößen dem
Schlote entstieg, wußte sie, daß ihr Martin
dort im Kesselraume steht und das Feuer schürt;
ihr Marti», ein prächtiger Bursche, hoch, schlank
und geschmeidig, in einer blauen Leinwand-
blousc, von einem Ledergürtcl zusammengehalten,
das Blondhaar mit einer leichten Mütze bedeckt,
den Halskragen weit zurückgeschlagen.

„Oho", flüsterte sie dann lächelnd, „Martin
heizt."

Bald aber wurden die schwarzen Rauch-
knäuel weißer, leichter, bis sie als dünne,, bläu-
liche Säule gleichmäßig zur Höhe stiegen.

Dieser Anblick erfüllte das Herz der Witwe
mit Freude und Frohmuth. Und sie sputete
sich, indem sie am Kamin ein Holzfeuer fürs
Mittagbrot anrichtete.

Und gegenüber dem großen Fabrikschlote
mit seiner imponirenden Rauchsäule entrangen
sich dem Häuschen, in welchem die alte Witwe
wohnte, bläuliche, dünne Streifen und stiegen
empor zum Aether; die Streifen waren so
winzig und schmächtig wie der Athem der

* In der letzten Zeit haben wiederholt einzelne Zeit-
schriften konstatiren müssen, daß literarische Erzeugnisse gleich-
zeitig an verschiedene Redaktionen verkauft worden sind. Mit
der obigen Erzählung ist es uns leider gradeso ergangen, was
wir hier ausdrücklich öffentlich konstatiren wollen.

D. R. d. W. I.

alten Brust, der das Feuer auf dem Herde
entfachte.

Aber der junge Kesselheizer gewahrte immer
diesen Rauchstreifen; er lächelte ihn an. Er
wußte sehr wohl, daß dort beim Kamin sein
altes, einziges Mütterchen mit ihrer weißen
Haube auf dem Kopfe, in einem gefütterten
Oberrocke und vorgesteckter bunter Schürze für
ihn irgend eine ausgezeichnete Suppe bereitete.
Manchmal kam es ihm sogar vor, als ob er
die Gerüche der guten Speisen verspüre.

Gegen Mittag ward der Fabrikrauch etwas
schwächer; die riesigen Maschinenlungen mäßig-
ten ihre Arbeit, die herausgelassenen Dämpfe
durchschnitten ein- und zweimal mit einem
schrillen Pfiffe die Luft und Martin stürzte
wie ein Wirbelwind in Mütterleins Kannner.

„Mutter, essen!" schrie er schon in der
Thüre, und die Mütze auf den Tisch werfend,
rannte er zu dem im Fenster hängenden Käfig,
in dem eine Amsel saß. Als die Amsel den
Burschen erblickte, gab sie einen gedehnten, der
Fabrikpfeife ähnlichen Pfiff von sich und be-
gann dann die ihr von Martin beigebrachten
Weisen abzuleiern. Der Bursche stand vor dem
Vogelbauer, steckte die Hände in die Taschen
und pfiff gleichfalls, daß die Wände schier er-
zitterten.

Auf dem Tische stand bereits die Erbsen-
suppe mit Geselchtem. Neben der Schüssel lag
ein Laib Brot.

„Mutter, das Brot ist gut", sagte der Junge,
während ein Stück nach dem andern in seinem
Munde verschwand.

„Ja, mein Sohn", erwiderte jedesmal die
Witwe. „Iß nur!"

Martin ließ sich nicht bitten und mit dem
Brote verschwand auch der Inhalt der Suppen-
schüssel.

Alles ging mit ungewöhnlicher Schnelligkeit
vor sich. Der junge Heizer wurde zu Mittag
nur für eine kleine Weile vertreten und mußte

sich beeilen. Kaum daß er fertig war, küßte
er die abgemagerte, abgearbeitete Hand der
Mutter, griff nach der Kappe und der Amsel
zum Abschied zupfeifend, rannte er in drei
Sätzen die Stiege hinunter. Dann blieb
die Witwe inmitten des Stübchens stehen
und lauschte den Schritten des davoneilenden
Sohnes.

„Heiliger Anton!" sprach sie, mit ihrem
alten Haupte wackelnd, „solch ein Rennen! Er
kann noch die Füße brechen ... die Stiegen
zu Grunde richten." Dann räumte sie alles
ab, umgab das Feuer mit einer Aschenschicht,
und sich beim Fenster niedersetzend, flickte sie
des Sohnes Kleider und Wäsche.

Wenn es Sommer war, konnte sie lange,
sehr lange sehen, wie der Rauch dem Kamin-
schlotentstieg. Bald schlängelte sich der Qualm
wie ein eisernes Schlangengezücht in die Höhe,
bald wehte er leicht wie ein Schleier in der
Luft, bald stieg er wie aus einem Weihrauch-
faß empor, bald ballte er sich über dem Schlote
wie ein riesiger Federbusch über einem Helm,
bald nahm er seltsame Formen, gespensterhafte
Gestalten an. . .

Wenn der Winter kam, erstrahlte die Fabrik
des Abends in einer langen Reihe erleuchteter
Fenster. Der Rauch, der jetzt dem Schlote ent-
quoll, sprühte Feuer, und die Funkengarben
zischten wie Raketen.

Der Sohn kehrte erst spät am Abend heim
und schon auf der Schwelle rief er: „Mutter,
essen! . . ."

Und gleichzeitig mit dieser jungen, kräftigen
Gestalt traten über die Schwelle des Stübchens
Frohsinn und Lachen. Jetzt aß der Martin,
erzählte dem ihn befragenden Mütterchen dies
und jenes, dann begann er stark zu gähnen,
die Amsel amüsirte ihn nicht mehr und er reckte
die Glieder.

„Geh' schlafen, mein Sohn, geh' schlafen!"
sagte die Mutter, seinen Kopf streichelnd, „mußt
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