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Der wahre Jakob: illustrierte Zeitschrift für Satire, Humor und Unterhaltung — 16.1899

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https://doi.org/10.11588/diglit.8255#0020
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2920

(Sntcv Rcrth.

Sst's nicht eine Lust zu leben
In dem neuen deutschen Reiche?
Die Gedankenfreiheit wohnet
In dem Schatten seiner Eiche.

Alles denken darf der Deutsche
And in seinem Hirn gestalten
Jegliches Problem, nur soll er
Alles hübsch für sich behalten.

Alles darf der Deutsche schreiben,
Mt dem Rühnsten sich befassen,
Mit den freiesten Ideen
Nur darf er's nicht drucken lassen.

Leicht ist ja ein unvorsichtig
Wörtchen deinemMund entsprungen
Und die Staatsanwaltschaft wittert
Allerlei Beleidigungen.

Zwar gerecht sind unsre Richter -
Frei sag' ich's zu ihrem Lobe,
Aber sichrer ist, du stellst sie
Nicht unnöthig auf die Probe.

willst du froh und sicher Hausen
And das Leben dir verschönen,
Mußt du gänzlich des verfluchten
Rritistrens dich entwöhnen.

Sprich respektvoll von den Großen,
von Ministern und von Rüthen,
2luch vom Schutzmann u.den andern
Staatlichen Autoritäten.

Falls dich ärgert die Behörde,
Hast du nicht gleich aufzumucken;
wer ein frommer Rnterthan ist,
pflegt dergleichen zu verschlucken.

Treibt es die Regierung schlimmer,
wozu hast du deine Tasche?

Eine Faust mach' drin - mit Vorsicht,
Daß dich niemand überrasche.

wenn du dies Rezept befolgest,
wird dir's wohlergehn auf Erden
And zuletzt wirst du zum Fimmel
Amtlich abgefchoben werden.

Auch des Reichsgerichtes Weisheit,
Die man rühmend mir beschrieben,
Schätzen die am allerhöchsten,

Die von ihr verschont geblieben.

wenn man etwas Schlechtes ausführt,
In des Vaterlandes Namen -
Rüg' es nicht, schweig' lieber stille
Oder sage Ja und Amen.

Darfst dort an der Tafel sitzen Doch die „Edelsten" diniren
Mit der subalternen Masse. I Separat in erster Masse.

Inhalt der Unterhaltung» -Beilage.

Die Viehsperre an der dänischen Grenze. (Jllustrirt.) —
Die Militärvorlage. Von M. K. — Ein Vereinsprojekt. —
Winterstimmungsbild. Von Moritz Köhler. (Jllustrirt.) — Die
Wahrheit. Eine Fabel von J. Kn. (Jllustrirt.) — Lied. — Gegen
den Umsturz. Von Dr. 0. — An die Opportunisten. Von A. H.
— Der Wahlzwang. — Razzia. Von H. B. (Jllustrirt.) —
Der unternehmende Baßgeiger. (Jllustrirt.)

Hierzu eine Kunstbeilage: In Wintersnoth. Von
Oscar Gräf.

Ein Mahnruf.

an Sie grösste Chat des Jahrhunderts zu denken.

Easst dort) nicht sterben das Jahrhundert,
Bevor Jhr eine Chat gethan,

Um derentwillen Jhr bewundert
Steigt zur Unsterblichkeit hinan;

Gleich ist das Säkulum geschlossen.

Drum thut die höchste €ile noth;

Kasch noch den grössten Bock geschossen.
Der je sich einem Schützen bot;

6h’ fünfzig Ulochen knapp vermessen ...
Jhr seht: im Eaufschritt drängt die Zeit;
Babt Jhr, merkt auf, zu einer Riesen-
Blamage noch Gelegenheit!

Ufas wir auch ferner noch erleben
Huf der 6rkenntni$$ enger Bahn,

Sei es ein Urtheil, das erbeben

Die Kerzen lässt im frommen mahn ...

Das Zuchthaus gegen Cerroristen,

Die Riaut$chau-6xpedition,

Graf Posadowskys Kniff’ und Eisten:

6$ prüft sie unsre Kommission;

wem wird das Eorbeerreis gebrochen
lüohl für die grösste Keldenthat?

Herrn Kirschner, der zu Kreuz gekrochen?
Eukanus für Ministermahd?

Herrn Koller für die Dänenfackeln?

Den Zieten-Richtern? eins ist klar:

Sehr schwierig ist noch das Orakeln
Uorm nächsten Monat Januar;

Der wahre Jaeoh.

Die neue Gerechtigkeit.

Auf dem Gebiete des Strafrechts ist lange
nichts Neues mehr passirt. Der Majestäts-
Beleidigungs-Paragraph hat seine Schrecken für
die bürgerliche Welt verloren, da er sich seine
Opfer fast nur aus sozialdemokratischen Kreisen
holt, ebenso der clolus eventualis; an den groben
Unfugparagraphen hat man sich gewöhnt, und
der wandelnde Gerichtsstand der Presse genirt ja
nur die Minderheit der Leute, die drucken und
drucken lassen.

Da war es dem berühmten Koller, dem ver-
krachten Umsturzgesetzfabrikanten, Vorbehalten, ein
neues Strafrecht zu erfinden. Er bestraft nicht die
Schuldigen, sondern ihre Dienstboten. Wenn ein
Mann in Schleswig dänisch gesinnt ist, wird sein
Stiefelputzer ausgewiesen; wenn eine Frau ihre
Tochter an einen Dänen verheirathet, wird ihre
Köchin über die Grenze gejagt u. s. w.

Die Regierung billigt dieses Vorgehen und man
hat sich deshalb auf die Verallgemeinerung des
Köllerschen Strafmodus gefaßt zu machen.

Man braucht das Strafgesetz nur einigen
geringfügigen Abänderungen zu unterwerfen, dann
kann man nach dem Gerechtigkeitsprinzip Kollers
den Kammerdiener einsperren, wenn der Herr
Baron falsch gespielt hat; man kann den Kommis
anklagen, wenn der Bankier mit unterschlagenen
Geldern durcbgebrannt ist, und wenn dt, Groß-
bauer sein Gut anzündet, um die Versicherungs-
summe zu erlangen, wird man den Knecht ins
Zuchthaus schicken. Sollte ein Oberpräsident durch
tadelnswerthe Maßnahinen im In- und Auslande
Entrüstung Hervorrufen, so wird man seine Bureau-
schreiber im Parlament angreifen und ihnen sagen,

daß sie Aintsentsetzung und disziplinarische Bestraf-
ung zu gewärtigen haben, wenn ihr Chef nicht auf-
hört, das öffentliche Rechtsgefühl zu beleidigen.

Aber wenn die Untergebenen für die Sünden
ihrer Vorgesetzten zu büßen haben, so ist es recht
und billig, daß sie auch die Belohnungen ein-
heimsen. Zeichnet sich ein General beim Manöver
aus, so ist sein Bursche mit dem Adlerorden zu
dekoriren; wenn der Miguel nächstens wieder eine
neue Steuer durchgedrückt hat, so dürfte der Haus-
meister des Finanzministerialgebäudes in den
Grafenstand erhoben werden; das Dienstmädchen
eines Privatdozenten hat jederzeit ihre Ernenimng
zum ordentlichen Professor zu gewärtigen; die
Waschfrau einer Kommerzienräthin, die einen
Armenball veranstaltet, wird in die vierte Hof-
rangklasse eingereiht und der Hausknecht des
Königs Stnmin wird wegen hoher Verdienste um
die Staatsretterei eines Tages in das preußische
Herrenhaus berufen.

Incubus! Inrubus!

An der Verzögerung der Bestäti-
gung des Berliner Oberbürgernreisters
Kirschner soll nach Herrn v. Lukanus die
Inschrift auf dem Gitter im Friedrichs-
hain Schuld tragen.

Jjerrrr Kirschner quält ein schwerer Alp
Seit Monaten nun siebeneinhalb:

Die Inschrift! Die Inschrift!

Lr sieht sie Tag und Nacht vor sich
In Feuerflammen fürchterlich:

Die Inschrift! Die Inschrift!

Schläft er, so sitzt sie auf der Deck',

Lr stöhnt, doch bringt er sie nicht weg:

Die Inschrift! Die Inschrift!

Bei Tisch vergällt sie ihm das Mahl,

Sie schwimmt im Teller und Pokal:

Die Inschrift! Die Inschrift!

Lr würgt sie mit dem Brot hinab,

Sie drückt ihm schier die Kehle ab:

Die Inschrift! Die Inschrist!
vor seinen Augen tanzt und flirrt
So lang' er nicht bestätigt wird:

Die Inschrift! Die Inschrift!
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