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Der wahre Jakob: illustrierte Zeitschrift für Satire, Humor und Unterhaltung — 16.1899

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https://doi.org/10.11588/diglit.8255#0025
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2925

weiten Reiches wohnte und schon viele Wunder-
kuren verrichtet haben sollte.

Den ließ er kommen.

Der weise Mann untersuchte den jungen
Thronerben, schüttelte den Kopf, strich sich den
langwallenden, weißen Bart und sagte: „Aller-
großmächtigster Gebieter! Schwer ist das Leiden
des hohen Herrn, aber nicht hoffnungslos. Deinem
Dohne kann geholfen werden —"

In freudiger Bewegung umarmte ihn der
Monarch, doch ernst fuhr der Weise fort: ihm

kann Rettung werden, wenn er eine Stunde
lang die Sandalen eines aufrichtigen, wahren
Mannes aus Deinem Reiche trägt, der von
lauterer Wahrheitsliebe so erfüllt ist, daß er
Jedem — selbst Dir, o Sultan! — die Wahr-
heit sagt."

Der König athmete auf. Gnädig entließ er
den weisen Mann und beschenkte ihn reichlich.

Dann befahl er sämmtliche Höflinge vor seinen
Thron und forderte sie huldvoll auf, ihm auf-
richtig die Wahrheit zu sagen. Aber siehe da!
Soviel auch die Höflinge erzählten und so kunst-
voll sie sprachen — nicht Eines Sandalen
erwiesen sich als heilkräftig, selbst wenn sie
nicht eine Stunde nur, sondern den ganzen
Tag auf den Füßen des armen Königssohnes
prangten.

Da entsandte der König Boten in das Land,
um die als wahr und gerade geltenden Männer
seines Reiches vor den Thron zu laden. Aber
wehe! Soviel man suchte und spähete, bat und
drohte — nicht Einen vermochte man zu be-
wegen, dem König die Wahrheit zu sagen. Die
Sandalen aller Männer des Reiches waren
wirkungslos. Jeder behauptete, die fleckenloseste
Wahrheit gesprochen zu haben, und den Miß-
erfolg schob Einer dem Andern in die Sandalen.

So vergingen mehrere Monate. Immer
elender schaute der Jüngling aus. Er konnte
sich nicht mehr von seinem kostbaren, prunkenden
Lager erheben. Die Kräfte hatten ihn ganz ver-
lassen, die einst so glänzenden, feurigen Augen
waren trüb und erloschen. —

Da endlich fand einer der Boten in einer
elenden Hütte einen armen, alten Krüppel, der
| sich von milden Gaben nährte
und zufrieden und wohlgemnth
lebte, ohne um den kommen-
den Tag zu sorgen. Er hatte
cs zu nichts gebracht im Leben,
weil er immer bei der Wahr-
| heit blieb.

Diesen brachte man vor den
König. Und — gepriesen sei
! Allah ! — Dieser arine Bettler,
der nichts war, nichts hatte, nichts
begehrte und nichts erhoffte.. .
dieser Krüppel sagte dem Herr-
i scher die volle Wahrheit. Er
sprach von seiner Grausamkeit
und von den Lasten, welche dem
Volke auferlegt ivaren, von dem
Drucke, unter dem es seufzte,
von der Unzufriedenheit, die in
ihm gährte und nur durch die
Waffen der Janitscharen gemalt?
sam niedergehalten wurde.

Grimmig betrachtete der Sul-
tan den kühnen Sprecher. Mehr
als ein Mal griff die Hand nach
dem Schwerte, indeß er bezwang
sich. Galt es doch das Leben
seines Kindes. Mit rollenden
Augen blickte er im Kreise umher,
und an den verstörten Mienen

der plötzlich so schweigsamen Höflinge, die scheu
auf die Erde sahen, erkannte er, daß dieser kecke
Bettler da vor ihin die Wahrheit sprach.

Aber der arme Königssohn hatte Unglück,
ihin konnte dennoch nicht geholfen werden. Denn
der einzige wahre Mann im Reiche seines Vaters

— hatte keine Sandalen. —.Da ließ der

Sultan den Bettler erdrosseln.....

Lird. -sv~-

Spott und Hohn,

Revolution,

Auto- und Aristokrat:

Der Rächer naht, der Racher naht.
Das Proletariat!

Teufel, Kraus!

Pfaff', 's ist aus,

Hort mit ihnen, keine Tnad':

Ter Aetzer naht, der Aetzer naht,
Das Proletariat!

Sapperment,

's geht zu End',

Bourgeois — ist auch nicht fchad':
Ter Erbe naht, der Erbe naht,

Tas Proletariat! b.

Gegen den Umstur;!

Wie uns aus absolut verläßlicher Quelle mit-
getheilt wird, beabsichtigt man in kompetenten
Kreisen, angeregt durch die glorreiche römische
Anarchistenbekämpfungskonferenz, ganz energisch
gegen ein Institut vorzugehen, das unter dem
Vorwand harmloser Volksbelustigung die frivolsten
Ansichten und Lehren verbreitet und jedem denken-
den, um das Wohl des Vaterlands trcubesorgten
Bürger als ein Abgrund sittlicher Verworfenheit
erscheinen muß. Wir meinen das Institut der
sogenannten Kasperltheater.

Was ist denn eigentlich dieser Kasperl oder
auch Hanswurst genannt? Sieht man ihn: nicht
schon an der rothen Nase die bedenklichsten,
frechsten und unpassendsten Grundsätze an?

. Dieses Individuum ist offenbar nirgends
heimathberechtigt, treibt keinerlei ehrlichen Beruf,
ist jedenfalls nicht Mitglied irgend einer Innung
oder eines Kriegeroereins, lebt mit einer gut-
müthigen, aber beschränkten Frauensperson Namens
Grethl in einem durchaus nicht einwandfreien
Verhältniß (Konkubinat?) zusammen und gebraucht
im Verkehr mit ihr nicht selten höchst rohe, ja
unzüchtige Redensarten.

Nicht genug: dies Mannsbild scheint eine
ganz besondere Genugthuung darin zu finden,
friedliebende Menschen, namentlich solche, die
durch geeigneten Lebenswandel zu Vermögen ge-
kommen sind, in ihrer wohlverdienten Ruhe zu
stören und durch böswillige, unanständige Be-
merkungen, durch Erregung von Lärm, durch
groben Unfug aller Art in Aufregung und
Alteration zu versetzen, um daun entweder hohn-
lachend wieder abzuziehen oder gar seinen Schand-
thatcn dadurch die Krone aufzusetzen, daß er die
Organe der öffentlichen Sicherheit und Ordnung,
die pflichtgemäß gegen ihn einzuschreiten beab-
sichtigen, mit nicht wiederzugebenden Jnvektiven
überhäuft und sich schließlich durch Handhabung
eines rohen, ungefügen Prügels des Widerstands
gegen die Staatsgewalt schuldig macht.

Mord, Todtschlag, Raub, Verhöhnung der
bestehenden Verhältnisse sind überhaupt, wie es
scheint, seine Lieblingsbeschäftigungen; kein Wunder,
daß der Teufel oder dessen Großmutter oder der
Tod ihm zuweilen an die Seite treten und ernste
Worte der Ermahnung an ihn richten, freilich
ohne Erfolg, weil auch sie seiner viehischen Roh-
heit weichen müssen.

Nicht selten schließlich wird er im Gespräch
mit einem gekrönten Haupt, z. B. dem türkischen
Sultan, eingeführt, der ihn mit wohlwollenden
Ansprachen auszeichuet, den er aber durch thörichte
Mißverständnisse zur Verzweiflung bringt und
dann auf's Gröblichste mit den entsetzlichsten

Majestätsbeleidigungen insultirt; ja es sind sogar
schon über jeden Zweifel erhabene Attentate aus-
geführt worden.

Und dieser wüste Patron, dieser durch und
durch unlautere Charakter, diese Musterkollektion
irreligiöser, staatsfeindlicher Tendenzen, dieser
Mordbube, dieser Prototyp eines Sozial-
demokraten oder gar Anarchisten, darf
unserer Jugend als Held (jawohl, als Held!)
auf den Jahrmärkten vorgeführt werden? Er
darf in gewissenloser Weise das Gift seiner Grund-
sätze in die unschuldigen Kinderherzen träufeln?
O Staat, Gemeinde, Schule, Kirche, wo habt ihr
eure Augen, wo eure Ohren?!

Auf zum Kampf gegen diesen Feind, der im
Kasperltheater sein Wesen treibt! Auf zum Kampf
mit allen Mitteln, die uns zur Verfügung stehen,
mit Zuchthaus und Schaffot, mit Konfiskationen,
Ausnahmegesetzen und anderen geistigen Waffen!

, Dr. 0.

Hn die Opportunisten.

Die sieben Weisen waren eure Väter
Und euer Ohm ist Judas, der Verräther,

Denn wie der Wind weht, macht ihr tapfer Front,
Und euer Bauch ist euer Horizont. a. h.

Der Wahlzwang

soll nun bei den Reichstagswahlen gegen die
Sozialdemokratie ins Feld geführt werden.
Mit der Zwangsparole kann überhaupt den sozial-
demokratischen Agitatoren der beste Stoff weg-
geschnappt werden. Man führe allgemein den
Eßzwang ein, — und das aufreizende Verhungern
muß verschwinden. Die Zwangsarbeit schafft alle
Arbeitslosen aus der Welt; der Bekleidungs-
und Wohnungszwang schützt die Leute vor dem
Erfrieren und Bagabundiren, der Heirathszwang
versorgt das ganze weibliche Geschlecht.
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