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Der wahre Jakob: illustrierte Zeitschrift für Satire, Humor und Unterhaltung — 16.1899

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https://doi.org/10.11588/diglit.8255#0035
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2933 —

,,Was treiben Kie hier? Kennen Eie die Verordnung nicht?"

„Ich taffe Euch arretiren!" schrie Klagetopf
wüthend.

Da erschien auch schon ein Gensdarm und
durchbrach den Kreis. Der fromme Mann
eilte ihm entgegen, um seine Klagen anzu-
bringen. Aber der Gensdarm faßte den Jeremias
am Arme und fragte barsch:

„Was treiben Sie hier? Kennen Sie die
Verordnung nicht? Es ist verboten, Masken
zu tragen, durch welche Angehörige kirchlicher
Ordensgesellschaften dargestellt oder gar ver-
höhnt werden!"

„Aber ich trage ja gar keine Maske!"
stammelte Jeremias.

Stürmisches Gelächter ringsum. „Er wollte
uns nur eine Kapuzinerpredigt halten", wurde
entschuldigend bemerkt.

„Das verstößt eben gegen die Verordnung",
beharrte der Gensdarm und führte den Schwar-
zen nach der nächsten Polizeiwache, wo es
Jeremias gelang, durch Berufung auf einen
Beamten, der ihn kannte, seine Befreiung zu
erwirken.

Tief aufathmend betrat er dann die Straße
wieder. Das Maskentreiben war inzwischen
noch toller geworden. Ein als Mädchen ver-
kleideter Student mit strohgelber Lockenperücke
fiel dem erschrockenen Jeremias um den Hals
und rief:

„O Du, mein Woldemar,

Ich lieb' Dich treu und wahr!"

Ein Kamerun-Neger packte ihn am Arm und
nannte ihn „seinen lieben schwarzen Bruder";
ein Hanswurst, der den Jeremias früher schon
gesehen hatte, verkündete, die schwarze Maske
sei wieder da, und bald war der Fromme
wieder der Mittelpunkt eines Auflaufs, wurde
wieder arretirt und hatte auf einer anderen
Polizeiwache wiederum alle Mühe, seine Un-
schuld nachzuweisen.

„Was soll ich jetzt thun, daß ich nicht noch-
mals arretirt werde?" fragte er bei seiner Ent-
lassung.

Man rieth ihm, eine Droschke zu nehmen
und nach Hause zu fahren. Aber es war keine
Droschke zu haben, da zur selben Zeit ein
großer Wagen-Korso stattfand. Und als der
gute Jeremias Klagetopf nun zornig zu Fuße
seinen Weg suchte, befand er sich alsbald wieder
in einem Tumult, denn eine Anzahl als Babys
gekleideter junger Maler hatten ihn als „Papa"
reklamirt und amüsirten sich über seine Ent-
rüstungsausbrüche.

„Ist denn die ganze Welt verrückt gewor-
den?" jammerte Jeremias Klagetopf.

Da trat ein nicht maskirter Mann aus der
Menge an ihn heran.

„Ist es möglich — Herr Klagetopf im
Fasching aktiv?"

Es war ein Sozialdemokrat, der dem
Schwarzen auf dem politischen Agitations-
gebiet häufig entgegengetreten war.

„Ach, helfen Sie mir!" flehte Jeremias und
erzählte dem Gegner in kurzen Worten sein
Mißgeschick.

Jener wußte Rath. „Müssen Sie denn ge-
rade die schwarze Maske tragen? Ziehen Sie
eine andere darüber?"

„Ich soll ein Narrenkleid anlegen?"

„Das ist nöthig, wenn Sie nicht noch ein
halbes Dutzend Mal arretirt sein wollen!"

Jeremias trat seufzend niit seinem Rath-
geber in den nächsten Laden, wo Masken-
garderobe verliehen wurde, und verlangte einen
Domino — aber nur keinen schwarzen! Vor
seiner sonst so geliebten schwarzen Farbe hatte
Jeremias heute Angst bekommen.

Unter Beihilfe des Sozialdemokraten hüllte
man nun den frommen Jereniias in einen
rothen Domino, und so konnte er unbehelligt
seines Weges wandeln.

Es fiel, ihm jetzt ein, daß er angekündigt
hatte, er werde heute Abend bei seinen frommen
Brüdern im Kasino einen Vortrag über die
Sittenverderbniß der heutigen gottlosen Mensch-
heit halten. Die Stunde der Zusammenkunft
hatte bereits geschlagen, und Jeremias lenkte die
Schritte nach dem Kasino. Unterwegs dachte er
gründlich über seine fromme Rede nach und ver-
gaß darüber ganz sein karnevalistisches Kostüm.

Als er in den Kasinosaal eintrat, ^rhob sich
ein Sturm der Entrüstung.

„Hinaus mit dem sündigen Geschöpf!" „Hier
ist keine Narrenhalle!" schrie man durcheinander.

Ehe Jeremias Klagetopf die Situation noch
recht begriffen hatte, packten ihn die Fäuste
seiner frommen Brüder und er saß im nächsten
Moment vor dem Kasino auf dem Trottoir.

Hier konnte er seine fromme Predigt nicht
vom Stapel lassen, und er hat sie auch später
nicht gehalten, denn er war durch sein Auf-
treten im Domino zur lustigen Person gewor-
den. Die Schwarzen hatten einen Agitator
weniger — die Hölle triumphirte.
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