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2976

Im Tlialv des Friedens.

Jlnf der Erde ist's nicht das Thal des Frie-
dens, denn auf der Erde tobt haßvoller Kampf
und Streit, und stehen Millionen von Men-
schen bereit, über einander herzufallen mit Mord-
waffen, tausendmal mörderischer als die Bar-
barei jemals ersonnen hatte.

Auf der Erde war's nicht, denn haßvoller
Kampf und Streit — Kampf um die Herrschaft
und ums Gold, Streit um Macht und Reich-
thum — hat bis zum heutigen Tage unter den
Menschen getobt.

Wird's auf der Erde sein?

Der Zukunft bleibe die Antwort.

Nein — nicht der Zukunft; schon die Ver-
gangenheit hat die Antwort gegeben. Bauen
doch die Besten der Menschheit, die Denker,
die Dichter, die Künstler, die Pfadfinder des
Handels, der Industrie und der Wissenschaft
seit Jahrtausenden ani Friedenstempel für die
zerklüftete, blutgetränkte Welt. Und sie wohnen
im Thale des Friedens, das nur der Dichter,
der Künstler uns heute zeigen kann.

Ich sinne nach — ich suche mir jene Geister
im Bilde vorzustellen. Und während ich sinne,
wird es mir plötzlich licht vor de» Augen —
ei» alter Bekannter, mein Tröster in tausend
schwierigen Lagen, steht vor mir: Homer.

Fragend wende ich mich an ihn. Und er lächelt:

„Das ist das Thal des Friedens. Dort
ist der Aufenthalt Derer, die der Wahrheit ge-
dient, das Wissen und die Wohlfahrt der
Menschen gefördert, den thierischen Kampf ums
Dasein und um die Herrschaft bekämpft, und
für menschliche Zustände unter den Menschen
gewirkt haben — nicht die falschen Götzen des
Schlachtfelds, nicht die großen Verbrecher, welche
die Geschichtslüge falschmünzerisch zu großen
Männern gestempelt hat — die Helden des
Friedens, der Wissenschaft, der Kunst,der
Menschlichkeit?

„Schau!"

Und im Moment bog eine Baumwand sich
nieder, und eine blendende Fluth von Licht
übergoß uns. Als mein Auge sich an das Licht
und den Strahlenglanz etwas gewöhnt hatte,
unterschied ich die Umrisse eines altgriechischen
Tempels mit Bildsäulen. Und dazwischen
Menschen - - —

Aber — was sehe ich — da ist ja Marx,

Owen, Lassalle, Engels.-Wie kommen

die Männer, mit denen ich gestern noch gelebt
und verkehrt — wie kommen sie hierher?

* Die Personen auf dem Bilde „Im Thals des
Friedens" <linkz beginnend): Michel Angela, PhidiaS, Plato,
ArchimedeS, Sokrates, Dürer, Raphael, Newton, Galilei, Koper-
nikus. Gruppe unter den Säulen des Tempels: Christus mit
seinen Jüngern. Gruppe in der Mitte (um den Altar): Vol-
taire, Rousseau, Feuerbach, Kant, DescarteS, Hegel, Spinoza.
Gruppe rechts oom Altar im Hintergrund (vor dem „Zug der
befreiten Völker"): Lassalle, Engels, Marx. Gruppe rechts
vom Altar (im Vordergrund): Th. Münzer, Th. Morns, Ba-
beuf, St. Simon, Fourier. Neben dieser Gruppe befinden
sich: Owen, Weitling, Cabet. Aeußerste rechte Gruppe (im
Vordergrund): Shakespeare, Lesfiug, Goethe..

Mein Begleiter lächelte:

„Wie? — Vergangenheit, Gegenwart und
Zukunft sind eins; i» mir selbst einen sie sich.
Vor der Ewigkeit giebt's keine Zeit — keinen
Zeitunterschied, keinen Zeitabschnitt, keine Zeit-
grenze. Und für die Ewigen nicht, die du dort
schaust. Jeder von ihnen kann sagen mit der
Revolution, die das ewig pochende Herz der
Menschheit ist:

Ich rpar, ich bin, ich werde sein.

Betrachte!"

Ich betrachtete. Gestalten in allen Trachten
und in der Tracht aller Zeiten. In der wallen-
den Gewandung des Morgenlands, die vor
Jahrtausenden schon war und noch Jahrtausende
sein wird — in dem Schurz und Umwurf der
Hellene», in dem Talar des Mittelalters, in
dem spanischen Ritterwamms» das sich allmälig
zum Bürgerlichen Rock verlängert.

Eine Gestalt erkannte ich nach der anderen.
Die ich nicht im Leben gesehen, erkannte ich
nach dem Bilde.

Da unter der stolz ragenden Minerva,
welche die geflügelte Nike — Viktoria mit dem
Lorbeer für die Sieger im edlen Geisteskampf
und Wettstreit der Geister aussenden ivill —
zu den Füßeil der schönen heidnischen Göttin
Griechenlands der schöne heidnische Gott, unser
Landsmann mit dem Apollogesicht und den
Jupiter äugen.

Christus dort zur Linken, der mit zweien
seiner Jünger — es ist vermuthlich Paulus und
Johannes — vor der Säule des griechischen
Tempels traurig herabschaut — er denkt wohl,
wie die Nachkommen und Erben derer, die ihn
einst als Hochverräther und Umstürzler ans
Kreuz schlugen, ihre verbrecherischsten Ver-
brechen in seinem Namen begangen haben und
tagtäglich begehen. Und sein Blick schweift über
dieses Thal hinaus in die weite, weite Welt —
in die Welt der Christenheit, deren Beherrscher
ihn als Umstürzler, Rebell und Hochverräther
ins Zuchthaus oder aufs Schnffot schicken
würden, wenn er heute lebte, die in seinem
Namen Millionen von Menschen unter die
Waffen gestellt haben, und in deren Staaten
Tag für Tag mit blutdürstigem Wetteifer daran
gearbeitet wird, die lebendigen und tobten Mord-
maschinen immer tödtlicher zu vervollkommnen
für ein christliches Blutbad, neben dein, nach Um-
fang und mörderischer Wirkung verglichen, alles
was die vorchristlichen Helden des Massenmords
geleistet haben, ein idyllisches Kinderspiel war.

Fürwahr — er hatte Recht gehabt, als er
den Menschen sagte: ich bringe Euch nicht den
Frieden. Den Frieden bringt keine „Frohe
Botschaft" vom Himmel, keine Heilslehre, die
das Glück vom Glauben, statt vom Handeln
abhängig macht. Der Friede und das Glück
haben ihre Wurzel hier auf Erden in den
Menschen selbst und in ihrem Handeln.
Der Glaube, der mit dem Handeln in Wider-
spruch steht, ist gemeine Heuchelei. Und richtiges,
ehrliches, dem Handelnden und seinen Mit-
menschen zuträgliches Handel» bedarf keines
Glaubens. Nicht Glaube ist's, was die Er-

lösung wirkt, sondern Wissen. Wissen und
auf Wisse» gebautes Handeln.

Darum sind die hier im Thale des Friedens
versammelten Männer .die Erlöser der
Menschheit. Sie sind es, denen die Mensch-
heit unvergänglichen Dank schuldet, die sie zu
verehre» hat als ihre Wohlthäter, als die
Träger und Zierden unserer Kultur — die
großen Männer von Geistes und der
Wahrheit Gnaden, an deren Stelle sich im
Gedächtniß der betrogenen, mißleiteten, einge-
schüchterten und verblendeten Menschen die
großen Verbrecher gedrängt haben.

Für sie — die Helden des Schlachtfeldes,
die Falschkünstler des Lugs und Betrugs, ist
kein Platz hier im Thale des Friedens, wird
einstens kein Platz sein im Gedächtniß der heran-
reifenden, ihrer Erlösung zueilenden Menschen.
Wer seine Hände mit Menschenblut und Mord-
waffen befleckt hat — der ist für alle Zeiten
verbannt aus dem Thale des Friedens, es sei
denn, daß er die Waffen in Vertheidigung seiner
Menschenrechte geführt. Krieg heißt hier Massen-
mord; was die Gesellschaft der Barbaren Kriegs-
ruhm nennt, ist ein Kainszeichen, das nur Ab-
scheu und Verachtung erregt, und die Galerie der
großen Männer, welche die Geschichtslegendc
des geschminkten Barbarenthums für den Ge-
brauch des Volkes, des enterbte», steuerzahlen-
den Plebs, geschaffen hat, ist dem Thale des
Friedens die Galerie der großen Verbrecher.

Und wieder fällt mein Auge auf Christus
und von ihm herab auf die herrliche Männer-
gestalt mit dem Meißel des Bildhauers in der
Rechten und dem Modell eines schönen Frauen-
gesichts in der Linken. Wer anders kann es sein
als Phidias, der Schöpfer des Parthenon?
Phidias, der göttliche Meister, der die Götter
vom Olymp herab auf die Erde geführt, der
die Götter zu Menschen, die Menschen zu Göttern
gemacht hat — der glänzendste in der Reihe
jener Künstler, die mit ihrem Zauber uns noch
heute gefangen haben — einem Zarlber so stark,
daß er nach tausenden von Jahren noch die ent-
arteten Enkel umgiebt und erhöht. Dem griechi-
schen Meister über die Schulter blickt, lern-
begierig der kraftstrotzende Titan der Renais-
sancezeit, Michel Angelo, der nach dertausend-
jährigen Nacht des Mittelalters mit seinen
Gefährten, obenan Raphael und Albrecht
Dürer, die dort brüderlich neben einander
stehen, in Anlehnung au das Hellenenthum,
die Wiedergeburt — Renaissance — der
Kunst durch die Rückkehr zur Natur ver-
wirklicht hat.

Rechts von Phidias die breite Denkerstirn
Plato's und der ungeschlachte Proletarierkopf
seines unsterblichen Lehrers Sokrates, dessen
Person den Gegensatz und Widerspruch von
Sein und Schein so packend zum Ausdruck
bringt — die Meister des Denkens und des
Gedankens — die Ersten in jener langen Reihe
von Philosophen, welche die Nacht des Glaubens
erhellt, und den Menschengeist auf den Thron
erhoben haben. Dort vor dem Opferaltar rechts
Descartes — Cartesius, der im cogito,
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