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. 2977

ergo sum: ich denke, darum bin ich! das
Revolutionsrccht des Gedankens und des denken-
den Menschen verkündete. Etwas weiter zurück
rechts der hellsehende Spinoza, der zuerst die
Einheit des Geistes und der Materie begriff.
Hinter dem Altar mit dem aufgeschlagenen Buche
Kant, der Evangelist des weltbürgerlichen
Menschenthums, der in de» Aetherhöhen der
reinen Vernunft niemals den Sinn verlor für
die Dinge der Erde — der, entflammt von den
Ideen der großen französischen Revolution, die er
in seiner Philosophie geistig abspiegelt, das große
Wort ausgesprochen hat: „Gleichheit alles
dessen was Menschenantlitz trägt." Links
dem „Weisen von Königsberg", der kühnblickende
Mann in der Vollkraft des Mannesaltcrs:
Feuerbach, der Himmelsstürmer, der Geistes-
verwandte des Dioskurenpaares Marx und
Engels — der Flammengeist, der die Mär
von der Erschaffung des Menschen durch Gott
ausgelöst hat in die entgegengesetzte Wahrheit,
daß der Mensch Gott geschaffen Hut, der
Mensch also der Schöpfer ist und Gott
das Geschöpf.

Zur Rechten von Kant, hinter Cartesius,
steht Hegel, in welchem die Philosophie ihren
höchsten Gipfel erreicht — der Philosoph einer-
seits des preußischen Staates, anderseits der
Revolution. Seine Schüler sind zum Theil
königlich preußische Staatsphilosophen geworden,
die mit seinem „Alles was ist, ist vernünftig"
jede Niedertracht vertheidigen — sie fehlen hier.
Und der andere Theil, sie die hier sind, sie
waren, gleich Feuerbach, gestern noch unter den
Lebenden.

Wenden -vir uns erst zu den Uebrigen. Die
Drei zur Rechten der Weltkugel: Kopernikus,
der die Körper und Bewegung der Gestirne er-
messen und berechnet und der Sonne die Bahn
gezeichnet hat — sein Schüler Galilei, der,
weil er die Bibellehre von der Drehung der
Sonne um die Erde für Aberglauben erklärte,
von der Priesterschaft in den Kerker geworfen
ward, und zum Widerruf gezwungen, empört
den Wahrheitsmördern ins Gesicht schrie: und
sie bewegt sich doch. Und der Dritte
Newton, der Begründer der wissenschaftlichen
Astronomie. Einer fehlt in dieser Gruppe:
Kepler, ihr ebenbürtiger Genosse. Vorhin ver-
mißte ich schon Einen in der Gruppe der Philo-
sophen: Aristoteles, den größten der Philo-
sophen Griechenlands neben Plato. Und mancher
Andere fehlte. Doch wie ist es möglich, daß Alle
in einem Bilde vereinigt sein können?

Nun eine andere Gruppe: rechts vor dem
Bilde der Pallas Athene, nur durch das
schöne Weib, das wohl das Mädchen aus der
Fremde darstellen soll: die Poesie — von ihm
getrennt. Hier aufrecht stehend die Kraftgestalt
des Kämpfers und Denkers Lessing, der die
Kunst gelehrt hat, Natur zu sein, der sein
ganzes Leben lang unermüdlich und unerbittlich
Krieg geführt hat gegen Dunkelmänner, Pfaffen
und Heuchler — der Schöpfer der modernen
deutschen Sprache, der wirkliche Regenerator
Deutschlands der Geistesfürst, den das deutsche

Volk einst, nachdem es die Denkmäler der falschen
Götzen — der Blut- und Eisenmänner in Stücke
geschlagen, als höchsten Nationalhelden
feiern wird. Vor ihm auf den Boden hiugestreckt,
den Kopf in die Hand gestützt William
Shakespeare, der Dichter, in dessen Haupt
sich die Welt gemalt hat, der größte Menschen-
maler und Dramatiker aller Zeiten. Ihm
zur Seite sitzend Apollo-Goethe, der Dichter
des Faust, der Dichter der Menschheit, der die
Kunst aller Zeiten von Homer bis zur Gegen-
wart in sich vereinigt hat und, ewig jung, nur
mit sich selber zu vergleichen ist.

Und nun ;u den Letzten und uns Nächsten.
Doch nein — erst zu den zwei Männern, links
hinter dem Opferaltar. Der Spötter da zur
Linken ist Voltaire, der Melancholiker neben
ihm Jean Jacques Rousseau, die zwei
Männer, in denen sich der Geist des himmel-
stürmenden, erderobernden Bürgerthums im
vorigen Jahrhundert am lebendigsten regte und
am vollständigsten zum Ausdruck kam — die zwei
Vorläufer der französischen Revolution.
Sic waren nicht Männer der That, doch Pre-
diger der That, Mahner zur That.

Der dort im Predigergewand war nicht blos
ein Prediger der That, sondern auch ein Mann
der That: T h o m a s M ü n z e r, der das Christen-
thum leben wollte und, nach blutiger Feldschlacht
an der Spitze der zur Empörung getriebenen
Bauern besiegt, durch Henkershand den Märtyrer-
tod fand. Links von ihm Thomas Morus,
der englische Staatskanzler und Verfasser der
Utopia, dieses prophetischen Traumes der
Gleichheit und des Glückes. Ihm zur Seite,
Münzer gegenüber, der Franzose Fourier, der
erste die Entwicklungsgesetze der bürgerlichen
Gesellschaft ahnende Sozialist — zwischen beiden
Babeuf, der die bürgerliche Revolution Frank-
reichs zur sozialen Revolution erweitern wollte
und auf dem Blutgerüst endete. Rechts ihm
zur Seite Saint Simon, der schon vor Fourier
die Anarchie und Unmenschlichkeit des Kapitalis-
mus brandmarkte, ohne sich dessen Einfluß ent-
ziehen zu können; und Cab et, der Apostel des
friedlichen Sozialismus der Bruderliebe, Dichter
der „Reise nach Jkarien". Dann der gedankenvoll
dreinschauende Mann, der die Hand an das
Kinn legt: der englische Sozialreformator, Kom-
munist und Organisator der Erziehung und
der Arbeit: Robert Owen, und zwischen
ihm und Cabet das ernste Gesicht des genialen
deutschen Arbeiters: Weitling, der durch seine
Schriften den Geist des französischen Sozialis-
mus über Deutschland verbreiten wollte. Und
nun dort — wieder eine Gruppe von Dreien,
hinter denen endlos die befreiten Menschen
heranwogen.

Die Drei — wer kennt sie nicht? Links
Ferdinand Lassalle, in der Mitte Fried-
rich Engels, rechts Karl Marx — Engels
und Marx die Schöpfer des Kommunistischen
Manifests und des wissenschaftlichen Sozialis-
mus — Lassalle, der Schüler von Marx, der
agitatorische Bahnbrecher des Sozialismus in
Deutschland — alle drei Schüler Hegel's,

des letzten Philosophen, nach dem nur noch
Stümper und Marktschreier gekommen sind. Die
Wissenschaft ist, wie einst aus dem Himmel
der Theologie, so jetzt aus dem Himmel der
Philosophie herabgestiegen auf die Erde; sie
befreit den Sozialismus von den Nebelgebilden
sentimentaler Philanthropie, von den Schlacken
fanatischer Sektirerei, und sie giebt den Schlüssel
zum Verständniß der gesellschaftlichen und staat-
lichen Ungerechtigkeiten und Mißbräuche. Die
Umwandlung der kapitalistischen in die sozia-
listische Gesellschaft ist innere Nothwendigkeit.
Der Kapitalismus ist der Vater des Sozialis-
mus, in welchen die bürgerliche Gesellschaft
hineinwachsen muß, wie der Jüngling in das
Mannesalter. Ewige Bewegung, ewigesWachsen
— organische Entwicklung, die nicht rastet, nicht
ruht — denn Rast und Ruhe ist Tod — nicht
abhängig vom Willen Einzelner, spottend des
Machtspruchs der Machthaber — dem sozia-
listischen Endziel des Klassenkampfes, den
der Kapitalismus entzündet hat, unaufhaltsam
zustrebend: dem Endziel, das da heißt: Ver-
nichtung des Kapitalismus und der von
ihm untrennbaren Ausbeutung und Knechtung
der arbeitenden Massen durch wenige Müßig-
gänger — dem Endziel, nach dessen Erreichung
sich andere Ziele vor uns aufthun werden —
jedoch nicht Ziele des Kampfes, nein Ziele fried-
lichen Wetteifers zur Vervollkommnung des
Menschengeschlechts.-

Immer strahlender wurde das Bild vor
mir: die Landschaft, die Menschen. Bewundernd,
sehnsuchtsvoll schaute ich.

Nicht lang.

Der Baumwall schnellte plötzlich empor und
das Thal des Friedens entschwand meinen
Blicken.

Ich war allein, und wanderte sinnend zurück
in die Welt des Kampfes.

Des Kampfes für den Frieden! Des
Kampfes der Geister, geführt mit den Waffen der
Männer im Thale des Friedens. Des Kampfes
für den Frieden, der unter den Menschen nicht
eher herrschen kann, als bis die Scheidung der
Menschen in zwei feindliche Nationen: die
Nation der Unterdrücker, der Ausbeuter, der
Herren, und die Nation der Unterdrückten,
der Ausgebeuteten, der Sklaven aufgehört
hat, und die gesammte Menschheit eine große
Familie von Brüdern und Schwestern ist.

Wann wird Minerva-Pallas Athene, das
hehre Sinnbild der in ruhiger Schönheit ge-
paarten Kraft und Weisheit die Siegesgöttin
auf ihrer Hand hinaussende» in die Welt, daß
sie den Völkern verkünde den Triumph der
völkerbesreienden Sozialdemokratie, das Ende
der barbarischen Scheinkultur des Kriegsmolochs
und des goldenen Kalbes — den Anfang des
Reiches der Freiheit, der Gleichheit, der Ge-
rechtigkeit und des Friedens?

Am Christabend 1898.

W. Liebknecht?

* Wer dies liest und Homer nicht kennt, der lese
die Odyssee und insbesondere den elften Gesang, wo „das
Reich der abgeschiedenen Todten" beschrieben ist.
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