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Der wahre Jakob: illustrierte Zeitschrift für Satire, Humor und Unterhaltung — 16.1899

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https://doi.org/10.11588/diglit.8255#0092
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2989

ESenjef trägt bis Dohne.

Wachsmuth schüttelte ungeduldig das Haupt.

„Böhm hin, Böhm her", rief er. „Wenzel
ist ein Mensch und ein Arbeiter, wie wir Alle.
Wir müssen ihn zu gewinnen suchen gerade für
die Maifeier, welche die Nationen verbrüdert.
Die internationale Phrase thut's nicht, wir
müssen internationale Gesinnung bethätigen und
nicht verächtlich über den einer andern Nation
entstammenden Kameraden hinwegsehen. Ich
werde mit Wenzel reden."

Die Andern hielten den Schritt für aussichts-
los, aber Wachsmuth ließ sich nicht irre machen-

Am Abend nach Schluß der Fabrik gesellte
er sich dem Wenzel zu, der wie gewöhnlich' ein-
sam seines Weges ging.

Wenzel war ein Bursche von etwa fünfund-
zwanzig Jahren; er hatte etwas Verschlossenes
oder Verschüchtertes in seinem Wesen. Auf die
freundliche Ansprache Wachsmuths antwortete
er einsilbig und höflich abwehrend. Aber der
Sozialdemokrat ließ sich nicht abschrecken; er
kam rasch zur Sache. Ob denn der Kollege
Wenzel noch nichts von der Maifeier gehört
habe? Ob er die Bedeutung dieser Feier nicht
kenne? Ob er nicht daran theilnehmen wolle?

„Ach, laßt mich in Ruhe, was braucht Ihr
dazu den Böhm", sagte Wenzel resignirt.

„Gerade Dich brauchen wir dazu", erwiderte
Wachsmuth eifrig, „denn die Maifeier ist die
internationale Verbrüderung der Arbeiter."

Wenzel schüttelte ungläubig den Kopf. „In-
ternational — darunter versteht Ihr die Fran-
zosen und die Engländer, die Euch persönlich
nicht zu nahe kommen, aber der arme Böhm
wird verspottet und gehänselt."

Nun nahm Wachsmuth das Wort. In den
Gewerkschaften und in der Partei sei jeder
Arbeiter willkommen als gleichberechtigter Mit-
kämpfer, da frage man nicht nach nationalen
Unterschieden, die künstliche Trennung der Na-
tionen werde nur von den Herrschenden aufrecht

erhalten, für den Arbeiter gelte es, seine Klassen-
lage zu begreifen-und nun gab Wachsmuth

dem aufmerksam horchenden Wenzel eine gründ-
liche Belehrung über die Lage und die Bestre-
bungen der Arbeiter im heutigen Klassenstaate.
Dabei kam er endlich wieder auf die Maifeier
zurück und schilderte begeistert, wie jedes Jahr
größere Schaaren von Arbeitern allorts, in der
Weltstadt London, wie im kleinsten schlesischen
Weberdorfe, im Vöhmerlande, wie jenseits des
Ozeans, selbst im fernen Australien das Welt-
Verbrüderungsfest der Arbeit feiern. „Und bei
einem solchen Feste willst Du fehlen?"

„Nein, das will ich nicht!" rief Wenzel
enthusiastisch. Die empfangene Belehrung war
auf guten Boden gefallen, die Schilderung der
Maifeier hatte den jungen Arbeiter hingerissen.
Seine kühle Verschlossenheit wich, er schien ein
Anderer geworden zu sein, er stellte Fragen,
nahm weitere Belehrungen mit Eifer entgegen
und nach einigen Stunden verabschiedete sich
Wachsmuth von ihm mit warmem Händedruck,
der dem neugewonnenen Genossen galt.

Der erste Mai kam heran; die Räder der
Fabrik standen still, dem einmüthigen Wunsche
der Arbeiter gemäß. Vollzählig erschienen die
Arbeiter auch auf dem Festplatze der Maifeier;
Wenzel, den man nie bei den Veranstaltungen
der Arbeiter gesehen, fehlte heute nicht und
wurde von seinen Kameraden freundlich begrüßt.

Die Sturmakkorde der Marseillaise, durch
Trommelwirbel eingeleitet, begeisterten die tau-
sendköpfige Menge. Die Musik schritt eineni
Festzug voran, in welchem das rothe Banner
stolz empor ragte.

„Gendarmen!" hieß es da plötzlich. Der
Festzug und namentlich die rothe Fahne seien
verboten, so ging die Kunde blitzschnell durch
die Reihen.

„Sollen ivir uns unser Banner nehmen
lassen?" fragten Einige unmuthig.

„Der Mann, der das trägt, ist Vater einer
zahlreichen Familie, er wird schlimme Folgen
über sich ergehen lassen müssen."

Wenzel hatte diese Worte gehört. Im Nu
stand er neben dem Fahnenträger. „Die Fahne
ist schwer — laß' Dich ablösen, Kamerad", sagte
er und im nächsten Augenblick schritt er, die
Fahne tragend, im Zuge weiter.

Aber der Zug erreichte schon sein Ende. Die
Polizei löste ihn auf, Wenzel, als Fahnenträger,
wurde zur Bestrafung notirt, von sofortiger
Verhaftung sah man ab, um die Erregung der
Massen nicht zu steigern.

Das Fest ging ohne weitere Störung zu
Ende. Wenzel war glücklich, er fühlte sich zum
ersten Male heimisch im Lande, ein Bruder
unter Brüdern.

Freilich blieben die Folgen, die er mit Ueber-
nahme der Fahne auf sich genommen hatte, nicht
aus. Er mußte einige Tage Gefängniß ver-
büßen und als er in die Fabrik zurückkehrte,
bekam er seine Entlassung.

Da standen aber alle Arbeiter einmüthig
auf und erklärten sich solidarisch mit dem Ge-
maßregelten. Das ganze Personal der Fabrik
würde die Arbeit niederlegen, wenn Wenzel
nicht wieder ausgenommen würde, so lautete
die bündige Erklärung der Arbeiterschaft.

Wenzel hörte es und die Thränen der Rüh-
rung traten ihm in die Augen. Für ihn, der
sich verachtet geglaubt, traten sie alle ein, Mann
für Mann — das war wirkliche Solidarität,
echte Brüderlichkeit!

Die Leitung der Fabrik hatte gute Gründe,
keinen Streik zu riskiren, denn die Arbeit drängte.
So kam der Bescheid, Wenzel solle nur ruhig
wieder eintreten, seine Entlassung sei nur auf
einen „Jrrthum" zurückzuführen gewesen.

Seitdem ist „der Böhme" ein überaus eifriger
und geachteter Genosse in den Reihen der Sozial-
demokratie. LI. IC
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