Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Der wahre Jakob: illustrierte Zeitschrift für Satire, Humor und Unterhaltung: Der wahre Jakob: illustrierte Zeitschrift für Satire, Humor und Unterhaltung — 16.1899

DOI Seite / Zitierlink:
https://doi.org/10.11588/diglit.8255#0100
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
• . 2997

„Du wirst einen reichen Seigneur heirathen
und mich dann bezahlen, und nun lebe wohl,
nur zu, schöne Freundin, morgen seh' ich Dich
noch ein Mal!"

Die Gräfin bot ihre zarte Wange dem
Jugendfreunde zum Kuß, er küßte sie und ent-
fernte sich mit raschen Schritten.

Im Schloß schliefen zwei Männer in dieser
Nacht keine Stunde: Der Graf von Lozanges,
weil er gegen das Verbot des Arztes am Abend
Burgunder getrunken, der Advokat Maximilian
Robespierre, weil er sich vorgenommen, nur
der Freund der schönen Henriette zu sein.

II.

Frankreich stand am Vorabend großer Er-
eignisse; seit den Tagen des Regenten, der zu-
erst den Namen Orleans zum Fluch für Frank-
reich machte, war der öffentliche Bankerott vor
der Thür, die allgemeine Verderbniß, tief in
alle Schichten der Nation gedrungen, mußte
eine Revolution erzeugen, deren Unvermeidlich-
keit sich endlich auch dem Kurzsichtigsten auf-
drängte.

Vergebens strebte der Sechzehnte Ludwig
vorzubeugen, vergebens mühte sich Turgot
in ehrenhaftester Weise die Lasten der Nation
zu erleichtern und den Kredit zu heben, ver-
gebens experimentirten Calonne und Necker,
vergebens waren die Notabeln des Reichs be-
rufen worden, Alles umsonst und zu spät —
das anvien ro^im« unterschrieb sein Todes-
urtheil.

Es war in den ersten Maitagen des '
Jahres 1789, als man der ersten
Ehrendame. Ihrer König!. Hoheit,
der Gräfin Henriette von Lozanges
den Advokaten Herrn Robespierre
meldete.

Der Advokat war ebenso zier-
lich gekleidet als vor zehn Jahren,
sein Auge war noch ebenso kalt,
sein Blick noch ebenso lauernd,
seine Züge noch härter und seine
Stirn noch kahler als vordem. Die
Gräfin dagegen war nicht mehr
das reizende junge Mädchen, es
mar nunmehr eine stattliche, schöne
und volle Dame.

„Du hast befohlen, Henriette!" redete der
Advokat die Gräfin an, nachdem er zärtlich
ihre Hand geküßt.

Die Gräfin lächelte, dann sprach sie: „Die
Zeit kommt, theurer Freund, ich werde endlich
im Stande sein. Dir theilweise zu vergelten,
was Du für mich gethan hast, der Prinz von
Henin hat heute um meine Hand gebeten!"

„Wie, meine Freundin? Henin, der albernste
Tropf bei Hofe und in der Stadt?"

„Ja, mein Freund", versetzte die Gräfin,
„Prinz Henin, einer der reichsten Männer in
ganz Frankreich!"

„Es kann nicht sein, Henriette!"

„Es muß sein, Maximilian!"

„Warum?"

„Weil mein Bruder seit des Grafen, meines
Vaters, Tode mir keinen Lire mehr gezahlt
hat, weil ich's nicht ertragen kann, länger von
Deiner Arbeit zu leben; Du hast für mich ge-
arbeitet, Maximilian, Du hast für mich ge-
darbt, Du hast Dich für mich geopfert, das
muß anfhören — ich werde ewig Deine Schuld-
nerin bleiben, aber Du sollst Dich nicht länger
für mich opfern".

„Henriette", nahm Robespierre nach einer
längeren Pause das Wort, „Du sollst nicht
mehr meine Schuldnerin sein, Du sollst mich
bezahlen überreich, mich belohnen, aber Du
sollst den Prinzen Henin nicht heirathen!"

„Wie? erkläre Dich, mein Freund!"

Robespierre zögerte, endlich begann er:
„Du hast's gesagt, Henriette, ja es ist wahr,
ich habe für Dich gelitten, aber nicht wie Du
meinst dadurch, daß ich für Dich arbeitete,
sondern dadurch, daß ich mich abmühte, zehn
lange Jahre hindurch nur Dein Freund zu
sein, während ich Dich doch liebte, heiß und
innig, wie nur ein Mann lieben kann — sei
die Meine, Henriette, werde mein Weib!"

Die Gräfin von Lozanges stand auf, nicht
spöttisch, sondern beinahe traurig sagte sie:
„Ich möchte Dir nicht wehe thun, Maximilian,
aber wie vor zehn Jahren muß ich Dir heute
wieder sagen, daß die Gräfin von Lozanges
nicht das Weib eines bürgerlichen Advokaten
werden kann, bedenke doch, ich, die erste Dame
der Schwägerin des Königs und Du — armer
Maximilian!"

Der Advokat trat jetzt dicht an die Gräfin,
er ergriff ihre beiden Hände und rief mit

Fouquier Tinville überreicht die Liste der Verurtheilten.

steigender Aufregung: „So höre denn, Weib
meiner Liebe, höre mich! Ihr hier in den
vergoldeten Schlössern, ihr vernehmt nicht den
ehernen Fußtritt der neuen Zeit, die vor der
Thür ist — Henriette, es kommt die Zeit und
sie ist schon da, die Zeit, in der es ein Ver-
brechen ist, König zu sein, in der's für eine
Schande gilt, Ahnen und Wappen zu haben;
Henriette, sei Maximilian Robespierres Weib (
und Du wirst die als Hilfe Flehende zu Deinen
Füßen sehen, deren Schleppe Du jetzt trägst!"

Die Gräfin trat einen Schritt von ihm zu-
rück. „Beruhige Dich, Maximilian!" bat sie.

„Nein, nein!" rief der Pariser Advokat
beinahe außer sich, „der Tag der allgemeinen
Gleichheit bricht an, fünfundzwanzig Millionen
Franzosen fordern Menschenrechte und dieser
Ruf, der wie die Posaune des Weltgerichts
über Frankreich hindröhnt, er verhallt ungehört
in diesen vergoldeten Prunkzimmern; der Manu,
den sie König nennen, er soll in wenigen Tagen
Rechenschaft geben, und was thnt er? Er
schmiedet Schlüssel! Jene Oesterreicherin, deren
Kopf auf dem Schaffet fallen wird — sie tanzt,
hörst Du, sie tanzt und ihr Alle, die ihr in
Schlössern wohnt, ihr Alle seid verloren, ver-
loren!"

„Maximilian!" bat die Gräfin.

„Rette Deinen Kops, schönes Weib!" flüsterte
der Advokat heißer. „Henriette, werde mein
Weib, Du rettest Dein Leben!"

„Nein, nein, es kann nicht sein, Maximilian!"
weigerte sich die Gräfin. „Du stehst Gespenster;
wohl ist's eine bewegte, schlimme Zeit, in der
wir leben, aber das, was Du fürchtest, ist un-
möglich".

Robespierre stand eine Weile schweigend
vor der Geliebten, eine tiefe Rührung schien
über ihn zu kommen, er drückte Henriettens
Hand au seine Brust, an seinen Mund. „Lebe
wohl!" sagte er mit erstickter Stimme und ging
dann festen Schrittes hinaus.

Kopfschüttelnd sah ihm die Gräfin nach. —

An der Treppe unten blieb der Advokat
stehen, eine dichte Reihe galonirter Diener
hemmte seinen Weg.

Da stieg die Königin Marie Antoinette die
Stufen herab, Monsieur, der Bruder des
Königs, nachmals König Ludwig XVIII.,
führte sie.

Gleichgiltig blickte Robespierre auf die
Pracht und den Glanz des schon dem Tode
geweihten Königthums, da ließ die schöne
Königin ihr Taschentuch fallen, unwillkürlich
bückte sich der Advokat und reichte
es der hohen Frau.

„Wem habe ich zu danken?"
fragte die Königin mit ihrer herz-
gewinnenden Freundlichkeit.

„Maximilian Robespierre, Ad-
vokat in der Stadt Paris!"

„Der Mann gefällt mir nicht,
er hat einen entsetzlichen Blick",
flüsterte die Königin, von einer
bösen Ahnung ergriffen, dem
Grafen von Provence zu, als er
sie zum Wagen führte.

„O", erwiderte der witzige Fürst
wortspielend, „sonst haben doch alle
Damen Freude an Roben und
Edelsteinen (robes-pierrss)."

III.

Man schreibt 1793 — es gab
keinen König von Frankreich mehr,
die Gleichheit war der König, der
Gott, der Frankreich beherrschte,
die Gleichheit war Gott und Maxi-
milian Robespierre sein Prophet.

Da saß dieser Prophet und
Priester der Gleichheit, sauber gekleidet und
frisirt wie immer, vor seinem Tische und
richtete über Tod und Leben seiner Lands-
leute, während er sein mäßiges Frühstück zu
sich nahni.

Scheu naht sich dem thatsächlichen Herrscher
Frankreichs Fouquier-Tinville, der öffentliche
Ankläger, er überreicht dem Diktator die Liste
der Verurtheilten, die morgen die Guillotine
besteigen sollen.

Kalt nimmt Robespierre die Liste, gleich-
giltig liest er die Namen; ha, er stutzt, sein
Gesicht verändert sich, da steht geschrieben:

„Nr. 9, die Bürgerin Henriette Henin, eine
Ci-devant, Frau eines Ci-devant und Emi-
granten, mangelnden Bürgersinns verdächtig."

Ein Federzug Robespierres und seine Freun-
din war frei, die Geliebte seiner Jugend
konnte ihm noch jetzt zu Theil werden — durch
einen Federzug — doch das wäre gegen Robes-
pierres Grundsätzen gewesen; der Mann, der
dem abstrakten Begriffe republikanischer Tugend
Tausende von Menschenleben geopfert hat, er
opfert ihm auch die Geliebte.

Ohne ein Wort zu sagen, giebt er dem
öffentlichen Ankläger das Blatt zurück.

Vierundzwanzig Stunden später war das
schöne Haupt Henriettens unter dem Beil der
Guillotine gefallen.

So endete Maximilian Robespierres einzige
Liebe. („Leuchtthurm".)
Bildbeschreibung
Für diese Seite sind hier keine Informationen vorhanden.

Spalte temporär ausblenden
 
Annotationen