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und namentlich verfügte sie ausschließlich über
die kleine Presse; ferner überzog sie das ganze
Land mit einem dichten Netze von Volksvereinen,
deren schließlich mehr als vierhundert bestanden.
Ihre Organisation gipfelte in dem Landesausschuß,
der zu Mannheim saß und der Regierung als
gleichberechtigte, ja überlegene Macht gegenüber-
trat. Als rastlos vorwärtstreibende Kraft wirkte
in den Volksvereinen der junge Zollbeamte Amand
Goegg, während der anerkannte Führer des badi-
schen Radikalismus Lorenz Brentano war, ein
Advokat in Mannheim. Kaltblütiger und über-
legter als Hecker, hatte er sich von dessen roman-
tischen Ueberschwänglichkeiten fern gehalten; er
war aber auch frei von jedem revolutionären
Schwünge und wollte nicht mehr, als seine Rich-
tung an den Platz der „Kamarilla" setzen, und
für seine Person selbst großherzoglichcr Minister
werden. Jedoch war diese Beschränktheit nicht
allein oder auch nur überwiegend seinem persön-
lichen Ehrgeize geschuldet, sondern in erster Reihe
seiner richtigen Erkenntnitz, daß der badische
Radikalismus nach seinen ganzen Lebensbeding-
nngen und bei Strafe seines Unterganges nicht
mehr erstreben dürfe. Indem sich Brentano klar
zu machen verstand, was die bürgerlichen Massen
instinktiv empfanden, wurde er der populärste
Mann in Baden, unr dann der verhaßteste Mann
zu werden, weil er sich konsequent geblieben war
und die über ihr mögliches Ziel weit hinaus-
gegangene Revolution nach seinen Kräften ge-
dämpft hatte.
Brentano richtete die radikale Politik zunächst
ans die parlamentarische Aktion ein. Die lange
vor Ausbruch der Revolution gewählte Kammer,
in der die im Lande längst zur Minderheit ge-
wordenen Liberalen noch die Mehrheit besaßen,
sollte sich auflösen zu Gunsten einer, auf Grund
des allgemeinen Wahlrechts einzubernfcndcn kon-
stituirenden Versammlung. Berechtigt wie der
Antrag war, wurde er von der liberalen Mehr-
heit der Kammer selbstverständlich verworfen, und
es gelang der radikalen Minderheit auch nicht,
durch ihren Austritt die Kammer beschlußunfähig
zu machen. Soweit diese Niederlagen etwa Bren-
tanos Ansehen im Lande erschüttert hatten, stellte
es der gewandte Advokat wieder her und ver-
stärkte es noch durch die erfolgreiche Art, womit
er die endlich prozessirten Gefangenen des Vor-
jahrs vor den Freiburger Geschworenen heraus-
zupauken verstand. Struve und seine Genossen
wurden von der Anklage des Hochverraths frei-
gesprochen imd nur ivegen geringerer Vergehen
zu einigeir Jahren Gefängniß verurtheilt; mit
lautem Jubel begrüßte das ganze Land diesen
Ausgang. Und nun kam die Katastrophe der
Frankfurter Nationalversammlung, die Erhebung
der Pfalz gegen die Münchener Vorsehung, die
von der Reichsverfassung nichts wissen wollte, der
Uebergang bairischer Truppentheile zu dem pfälzi-
schen Aufstande, die tiefe Gährung, die das ganze
Süddentschland ergriff, mit Ausnahme etwa der
altbairischen Provinzen. Goegg berief auf den
12. Mai einen Kongreß von Delegirten der Volks-
vereine nach Offenburg und auf den 13. Mai
eben dahin eine große Versammlung des badischen
Volkes. Er war entschlossen, die günstige Stunde
auszunutzen nach dein verständigen Programin:
Nicht viel reden wollen wir diesmal, sondern
handeln, während Brentano vor der instinktiven
Aufwallung der Massen schon mißtrauisch zu
werden begann: er hat als vorsichtiger Mann in
Offenburg nicht mitgetagt.
Derweil hatten sich Regierung und Käinmer
entschlossen, die Reichsverfassung anzuerkennen,
doch war darauf nach aller ihrer bisherigen zwei-
deutigen Politik, die heute Ja sagte, um morgen
doch wieder Nein zu sagen, thatsächlich nichts zu
geben. Sollte dieser Entschluß praktisch überhaupt
etwas bedeuten, so mußte Baden den Vorkampf
für die Reichsverfassung übernehmen, und dann
war nichts gegen die Beseitigung des kraftlosen
Ministeriums, gegen die Auflösung der ebenso
kraftlosen Kammer und gegen den Erlaß einer
allgemeinen Amnestie einzuwendcn. Diese For-
derungen beschloß der Kongreß der Volksvereine
am 12. Mai, der Regierung durch eine Deputa-
tion zu überreichen, mußte sich aber mit einer
schnöden Abweisung bescheiden. Inzwischen trat
eine entscheidende Wendung dadurch ein, daß sich
das nach wie vor gemißhandelte und gequälte
Heer erhob, zunächst iit Rastatt, dann auch in
Lörrach, Freiburg, Bruchsal und anderen Orten.
Als diese Nachrichten nach Offenburg kamen,
faßte die wohl fünfunddreißigtauscnd Köpfe starke
Volksversammlung am 13. Mai ungleich kühnere
Beschlüsse, als der Kongreß der Volksvereine am
Tage vorher gefaßt hatte. In sechzehn Punkten
wurde ein durchaus radikales Programm auf-
gestcllt: Durchführung der Reichsverfassnng mit
bewaffneter Hand, sofortige Entlassung des Mi-
nisteriums, Einberufung einer verfassunggebenden
Landesversammlung, „welche in sich die ge-
sammte Rechts- und Machtvollkommenheit des
badischen Volkes vereinigt", Volksbewaffnung auf
Staatskosten, sofortige Mobilmachung des ersten
Aufgebots, aller ledigen Männer von achtzehn bis
dreißig Jahren, Verschmelzung des stehenden
Heeres mit der Volkswehr, unentgeltliche Auf-
hebung der Grundlasten und Aehnliches; es fehlte
selbst nicht an leichten sozialistischen Anklängen,
wie der Forderung einer Nationalbank für Ge-
werbe, Handel und Ackerbau zunr Schutze gegen
das llebcrgewicht der großen Kapitalisten oder der
Forderung eines großen Landespensionsfonds,
aus dem jeder arbeitsunfähig gewordene Bürger
unterstützt werden sollte. Die Seele dieser Be-
schlüsse war Goegg, der denn auch auf der Nach-
richt, daß die Wage in Rastatt wieder schwanke,
sofort nach dieser Festung eilte und durch eine
feurige Ansprache den Sieg der aufständischen
Soldaten besiegelte.
An demselben 13. Mai war nun aber auch
der Militäraufstand, der, wie die Flamme durch
dürres Gehölz, so durch das ganze Land lief, in
der Hauptstadt Karlsruhe ausgebrochen. Obgleich
die reaktionäre Bürgermehr das Zeughaus erfolg-
reich vertheidigte, fiel der innerlich morschen Re-
gierung das Herz sofort in die Knie; sie floh in
der Nacht vom 13. auf den 14. Mai, der Groß-
hcrzog voran ans dem Protzkasten einer Kanone.
Die bestürzte und vor den aufständischen Soldaten
erzitternde Bürgerschaft rief nun selbst den in
Offenburg neugewählten Landesausschuß von vier-
zehn Mitgliedern zu ihrem Schutze heran; ain Nach-
mittag des 14. Mai zog er, begleitet von einigen
Bataillonen rind Schwadronen, unter klingendem
Spiele feierlich in die Hauptstadt ein.
So hatte die badische Mairevolution vollständig,
unter den denkbar günstigsten Umständen gesiegt.
Sie fand bei ihrem Amtsantritte ein fertiges Heer
vor, reichlich versehene Arsenale, eine vollständig
organisirte Staatsmaschine, einen gefüllten Staats-
schatz und eine so gut wie einstimmige Bevölke-
rung. Sie fand ferner auf dem linken Rheinufer,
in der Pfalz, eine bereits fertige Insurrektion vor,
die ihre linke Flanke deckte; in Rheinpreußen
eine Insurrektion, die zwar stark bedroht, aber
noch nicht besiegt war; in Württemberg, in Franken,
in beiden Hessen und Nassau eine allgemeine Auf-
regung, selbst unter den Heeren, die nur eines
Funkens bedurfte, um den badischen Aufstand in
ganz Süd- und Mitteldeutschland zu wiederholen
und wenigstens fünfzig bis sechzigtansend Mann
reguläre Truppen der Empörung zuzuführen.
Alle diese Aussichten wurden verscherzt durch
die kleinbürgerlich zaghafte Politik, die der sieg-
reiche und nun ans vierundzwanzig Köpfe ver-
stärkte Landesausschuß in Karlsruhe mit seinem
Brentano an der Spitze trieb. Es war bezeichnend
für das badische Kleinbürgerthum, daß der Radi-
kalste der Radikalen, der eben erst durch die Mai-
revolution aus dem Gefängniß befreite Strrrve
nichts Besseres zu thun wußte, als spornstreichs
zu Brentano zu rennen und diesen noch zögernden
Unglücksmann förmlich an die Spitze der badischen
Revolution zu drängen. Ohne Zweifel meinte es
Struve ehrlich, aber in seiner besondcrn Weise
meinte es auch Brentano ehrlich, als er zunr
„Leichenbitter" der badischen Revolution wurde,
als er sich entschloß, der „Anarchie zu steuern",
und die viel zu revolutionär entwickelten Dinge
ans das Maß eines großherzoglichen Ministeriums
Brentano zurückzuschrauben Seine persönliche
Verantwortlichkeit vor dem Richterstuhle der Ge-
schichte wird dadurch nicht aufgehoben, und feine
hinterhältig treulose Politik fordert das schärfste
Urtheil heraus, aber es ist verkehrt, ihn als ein-
samen Sündcnbock für den traurigen Niedergang
der badischen Revolution in die Wüste zu schicken.
Bet Allem, was er that, hatte er die Masse der
badischen Kleinbürger hinter sich, die sich vor Ent-
zücken nicht zu lassen wußten, als Brentanos
Abwiegelungen und Vertrödelungen der Revo-
lution einen so gemüthlichen, hübsch ruhigen An-
strich gaben, bis das dicke Ende nachkam. Eine
Politik, die dies Ende vorhergesehen, die badische
Revolution über den Rahmen einer kleinstaatlichen
Angelegenheit Hinausgetrieben und ihr dadurch
eine mehr als episodische Bedeutung gegeben hätte,
ging ein- für allemal über den kleinbürgerlichen
Horizont hinaus.
Es waren nur einzelne Männer, wie Fickler
und Goegg, die einen weiteren Blick hatten, aber
nicht sowohl an Brentanos bösem Willen, als
vielmehr daran scheiterten, daß dieser böse Willen
durch die kleinbürgerliche Beschränktheit der plötzlich
in die Revolution geworfenen Massen legitimirt
wurde. Brentanos unermeßliche Popularität
machte es ihm leicht, die paar vorwärts treibenden
Kräfte zu lähmen; die bloße Drohung seines
Rücktrittes genügte, um im Landesausschusse jeden
Widerspruch niederzuschlagen. Noch leichteres Spiel
hatte er durch die Aufreizung des badischen
Kantönligeistes gegen die „ausländischen" Revo-
lutionäre, die ans allen Theilen Deutschlands zur
Unterstützung der badischen Revolution herbei-
geeilt waren und theilweise wenigstens sehr wirk-
same Dienste hätten leisten können.
Um die badische Revolution zu retten, wäre
der erste und nothwendigste Schritt ein ent-
schlossener Vorstoß nach Frankfurt gewesen, zum
Schutze der eben zusammenbrechenden National-
versammlung, aber daran dachte Niemand. Ein
paar vereinzelte Versuche, in Hessen und in Würt-
temberg eine aufständische Bewegung zu entfachen,
mißlangen sofort aus Mangel an Kraft und
Nachdruck. Nicht einmal mit der aufständischen
Pfalz kam es, trotz eines am 17. Mai abge-
schlossenen Bündnißvertrages, zu einem wirksamen
Handinhandgehen, und zwar wesentlich durch
Brentanos Schuld. Vergebens schickte die
Pfalz, deren aufständische Regierung ans sehr
gemäßigten Leuten bestand, Gesandte über Ge-
sandte um Waffen und Geld; von Brentano war
nichts oder so gut wie nichts zu erlangen. Sein
Hauptaugenmerk blieb immer darauf gerichtet,
wie er sich vor dem Großherzog bei dessen etwaiger
Rückkehr verantworten könne, während dieser edle
Landesvater selbst unbekümmert um die preußi-
schen Bajonette warb, womit er seine geliebten
Landeskinder über den Haufen zu rennen gedachte,
zur Strafe dafür, daß sie seine despotische Miß-
wirthschaft nicht mit ganz unerschöpflicher Schafs-
gcduld ertragen hatten.
Die äußere Politik Brentanos entsprach seiner
inneren. Nicht mit Unrecht spotteten die reaktiv-
und namentlich verfügte sie ausschließlich über
die kleine Presse; ferner überzog sie das ganze
Land mit einem dichten Netze von Volksvereinen,
deren schließlich mehr als vierhundert bestanden.
Ihre Organisation gipfelte in dem Landesausschuß,
der zu Mannheim saß und der Regierung als
gleichberechtigte, ja überlegene Macht gegenüber-
trat. Als rastlos vorwärtstreibende Kraft wirkte
in den Volksvereinen der junge Zollbeamte Amand
Goegg, während der anerkannte Führer des badi-
schen Radikalismus Lorenz Brentano war, ein
Advokat in Mannheim. Kaltblütiger und über-
legter als Hecker, hatte er sich von dessen roman-
tischen Ueberschwänglichkeiten fern gehalten; er
war aber auch frei von jedem revolutionären
Schwünge und wollte nicht mehr, als seine Rich-
tung an den Platz der „Kamarilla" setzen, und
für seine Person selbst großherzoglichcr Minister
werden. Jedoch war diese Beschränktheit nicht
allein oder auch nur überwiegend seinem persön-
lichen Ehrgeize geschuldet, sondern in erster Reihe
seiner richtigen Erkenntnitz, daß der badische
Radikalismus nach seinen ganzen Lebensbeding-
nngen und bei Strafe seines Unterganges nicht
mehr erstreben dürfe. Indem sich Brentano klar
zu machen verstand, was die bürgerlichen Massen
instinktiv empfanden, wurde er der populärste
Mann in Baden, unr dann der verhaßteste Mann
zu werden, weil er sich konsequent geblieben war
und die über ihr mögliches Ziel weit hinaus-
gegangene Revolution nach seinen Kräften ge-
dämpft hatte.
Brentano richtete die radikale Politik zunächst
ans die parlamentarische Aktion ein. Die lange
vor Ausbruch der Revolution gewählte Kammer,
in der die im Lande längst zur Minderheit ge-
wordenen Liberalen noch die Mehrheit besaßen,
sollte sich auflösen zu Gunsten einer, auf Grund
des allgemeinen Wahlrechts einzubernfcndcn kon-
stituirenden Versammlung. Berechtigt wie der
Antrag war, wurde er von der liberalen Mehr-
heit der Kammer selbstverständlich verworfen, und
es gelang der radikalen Minderheit auch nicht,
durch ihren Austritt die Kammer beschlußunfähig
zu machen. Soweit diese Niederlagen etwa Bren-
tanos Ansehen im Lande erschüttert hatten, stellte
es der gewandte Advokat wieder her und ver-
stärkte es noch durch die erfolgreiche Art, womit
er die endlich prozessirten Gefangenen des Vor-
jahrs vor den Freiburger Geschworenen heraus-
zupauken verstand. Struve und seine Genossen
wurden von der Anklage des Hochverraths frei-
gesprochen imd nur ivegen geringerer Vergehen
zu einigeir Jahren Gefängniß verurtheilt; mit
lautem Jubel begrüßte das ganze Land diesen
Ausgang. Und nun kam die Katastrophe der
Frankfurter Nationalversammlung, die Erhebung
der Pfalz gegen die Münchener Vorsehung, die
von der Reichsverfassung nichts wissen wollte, der
Uebergang bairischer Truppentheile zu dem pfälzi-
schen Aufstande, die tiefe Gährung, die das ganze
Süddentschland ergriff, mit Ausnahme etwa der
altbairischen Provinzen. Goegg berief auf den
12. Mai einen Kongreß von Delegirten der Volks-
vereine nach Offenburg und auf den 13. Mai
eben dahin eine große Versammlung des badischen
Volkes. Er war entschlossen, die günstige Stunde
auszunutzen nach dein verständigen Programin:
Nicht viel reden wollen wir diesmal, sondern
handeln, während Brentano vor der instinktiven
Aufwallung der Massen schon mißtrauisch zu
werden begann: er hat als vorsichtiger Mann in
Offenburg nicht mitgetagt.
Derweil hatten sich Regierung und Käinmer
entschlossen, die Reichsverfassung anzuerkennen,
doch war darauf nach aller ihrer bisherigen zwei-
deutigen Politik, die heute Ja sagte, um morgen
doch wieder Nein zu sagen, thatsächlich nichts zu
geben. Sollte dieser Entschluß praktisch überhaupt
etwas bedeuten, so mußte Baden den Vorkampf
für die Reichsverfassung übernehmen, und dann
war nichts gegen die Beseitigung des kraftlosen
Ministeriums, gegen die Auflösung der ebenso
kraftlosen Kammer und gegen den Erlaß einer
allgemeinen Amnestie einzuwendcn. Diese For-
derungen beschloß der Kongreß der Volksvereine
am 12. Mai, der Regierung durch eine Deputa-
tion zu überreichen, mußte sich aber mit einer
schnöden Abweisung bescheiden. Inzwischen trat
eine entscheidende Wendung dadurch ein, daß sich
das nach wie vor gemißhandelte und gequälte
Heer erhob, zunächst iit Rastatt, dann auch in
Lörrach, Freiburg, Bruchsal und anderen Orten.
Als diese Nachrichten nach Offenburg kamen,
faßte die wohl fünfunddreißigtauscnd Köpfe starke
Volksversammlung am 13. Mai ungleich kühnere
Beschlüsse, als der Kongreß der Volksvereine am
Tage vorher gefaßt hatte. In sechzehn Punkten
wurde ein durchaus radikales Programm auf-
gestcllt: Durchführung der Reichsverfassnng mit
bewaffneter Hand, sofortige Entlassung des Mi-
nisteriums, Einberufung einer verfassunggebenden
Landesversammlung, „welche in sich die ge-
sammte Rechts- und Machtvollkommenheit des
badischen Volkes vereinigt", Volksbewaffnung auf
Staatskosten, sofortige Mobilmachung des ersten
Aufgebots, aller ledigen Männer von achtzehn bis
dreißig Jahren, Verschmelzung des stehenden
Heeres mit der Volkswehr, unentgeltliche Auf-
hebung der Grundlasten und Aehnliches; es fehlte
selbst nicht an leichten sozialistischen Anklängen,
wie der Forderung einer Nationalbank für Ge-
werbe, Handel und Ackerbau zunr Schutze gegen
das llebcrgewicht der großen Kapitalisten oder der
Forderung eines großen Landespensionsfonds,
aus dem jeder arbeitsunfähig gewordene Bürger
unterstützt werden sollte. Die Seele dieser Be-
schlüsse war Goegg, der denn auch auf der Nach-
richt, daß die Wage in Rastatt wieder schwanke,
sofort nach dieser Festung eilte und durch eine
feurige Ansprache den Sieg der aufständischen
Soldaten besiegelte.
An demselben 13. Mai war nun aber auch
der Militäraufstand, der, wie die Flamme durch
dürres Gehölz, so durch das ganze Land lief, in
der Hauptstadt Karlsruhe ausgebrochen. Obgleich
die reaktionäre Bürgermehr das Zeughaus erfolg-
reich vertheidigte, fiel der innerlich morschen Re-
gierung das Herz sofort in die Knie; sie floh in
der Nacht vom 13. auf den 14. Mai, der Groß-
hcrzog voran ans dem Protzkasten einer Kanone.
Die bestürzte und vor den aufständischen Soldaten
erzitternde Bürgerschaft rief nun selbst den in
Offenburg neugewählten Landesausschuß von vier-
zehn Mitgliedern zu ihrem Schutze heran; ain Nach-
mittag des 14. Mai zog er, begleitet von einigen
Bataillonen rind Schwadronen, unter klingendem
Spiele feierlich in die Hauptstadt ein.
So hatte die badische Mairevolution vollständig,
unter den denkbar günstigsten Umständen gesiegt.
Sie fand bei ihrem Amtsantritte ein fertiges Heer
vor, reichlich versehene Arsenale, eine vollständig
organisirte Staatsmaschine, einen gefüllten Staats-
schatz und eine so gut wie einstimmige Bevölke-
rung. Sie fand ferner auf dem linken Rheinufer,
in der Pfalz, eine bereits fertige Insurrektion vor,
die ihre linke Flanke deckte; in Rheinpreußen
eine Insurrektion, die zwar stark bedroht, aber
noch nicht besiegt war; in Württemberg, in Franken,
in beiden Hessen und Nassau eine allgemeine Auf-
regung, selbst unter den Heeren, die nur eines
Funkens bedurfte, um den badischen Aufstand in
ganz Süd- und Mitteldeutschland zu wiederholen
und wenigstens fünfzig bis sechzigtansend Mann
reguläre Truppen der Empörung zuzuführen.
Alle diese Aussichten wurden verscherzt durch
die kleinbürgerlich zaghafte Politik, die der sieg-
reiche und nun ans vierundzwanzig Köpfe ver-
stärkte Landesausschuß in Karlsruhe mit seinem
Brentano an der Spitze trieb. Es war bezeichnend
für das badische Kleinbürgerthum, daß der Radi-
kalste der Radikalen, der eben erst durch die Mai-
revolution aus dem Gefängniß befreite Strrrve
nichts Besseres zu thun wußte, als spornstreichs
zu Brentano zu rennen und diesen noch zögernden
Unglücksmann förmlich an die Spitze der badischen
Revolution zu drängen. Ohne Zweifel meinte es
Struve ehrlich, aber in seiner besondcrn Weise
meinte es auch Brentano ehrlich, als er zunr
„Leichenbitter" der badischen Revolution wurde,
als er sich entschloß, der „Anarchie zu steuern",
und die viel zu revolutionär entwickelten Dinge
ans das Maß eines großherzoglichen Ministeriums
Brentano zurückzuschrauben Seine persönliche
Verantwortlichkeit vor dem Richterstuhle der Ge-
schichte wird dadurch nicht aufgehoben, und feine
hinterhältig treulose Politik fordert das schärfste
Urtheil heraus, aber es ist verkehrt, ihn als ein-
samen Sündcnbock für den traurigen Niedergang
der badischen Revolution in die Wüste zu schicken.
Bet Allem, was er that, hatte er die Masse der
badischen Kleinbürger hinter sich, die sich vor Ent-
zücken nicht zu lassen wußten, als Brentanos
Abwiegelungen und Vertrödelungen der Revo-
lution einen so gemüthlichen, hübsch ruhigen An-
strich gaben, bis das dicke Ende nachkam. Eine
Politik, die dies Ende vorhergesehen, die badische
Revolution über den Rahmen einer kleinstaatlichen
Angelegenheit Hinausgetrieben und ihr dadurch
eine mehr als episodische Bedeutung gegeben hätte,
ging ein- für allemal über den kleinbürgerlichen
Horizont hinaus.
Es waren nur einzelne Männer, wie Fickler
und Goegg, die einen weiteren Blick hatten, aber
nicht sowohl an Brentanos bösem Willen, als
vielmehr daran scheiterten, daß dieser böse Willen
durch die kleinbürgerliche Beschränktheit der plötzlich
in die Revolution geworfenen Massen legitimirt
wurde. Brentanos unermeßliche Popularität
machte es ihm leicht, die paar vorwärts treibenden
Kräfte zu lähmen; die bloße Drohung seines
Rücktrittes genügte, um im Landesausschusse jeden
Widerspruch niederzuschlagen. Noch leichteres Spiel
hatte er durch die Aufreizung des badischen
Kantönligeistes gegen die „ausländischen" Revo-
lutionäre, die ans allen Theilen Deutschlands zur
Unterstützung der badischen Revolution herbei-
geeilt waren und theilweise wenigstens sehr wirk-
same Dienste hätten leisten können.
Um die badische Revolution zu retten, wäre
der erste und nothwendigste Schritt ein ent-
schlossener Vorstoß nach Frankfurt gewesen, zum
Schutze der eben zusammenbrechenden National-
versammlung, aber daran dachte Niemand. Ein
paar vereinzelte Versuche, in Hessen und in Würt-
temberg eine aufständische Bewegung zu entfachen,
mißlangen sofort aus Mangel an Kraft und
Nachdruck. Nicht einmal mit der aufständischen
Pfalz kam es, trotz eines am 17. Mai abge-
schlossenen Bündnißvertrages, zu einem wirksamen
Handinhandgehen, und zwar wesentlich durch
Brentanos Schuld. Vergebens schickte die
Pfalz, deren aufständische Regierung ans sehr
gemäßigten Leuten bestand, Gesandte über Ge-
sandte um Waffen und Geld; von Brentano war
nichts oder so gut wie nichts zu erlangen. Sein
Hauptaugenmerk blieb immer darauf gerichtet,
wie er sich vor dem Großherzog bei dessen etwaiger
Rückkehr verantworten könne, während dieser edle
Landesvater selbst unbekümmert um die preußi-
schen Bajonette warb, womit er seine geliebten
Landeskinder über den Haufen zu rennen gedachte,
zur Strafe dafür, daß sie seine despotische Miß-
wirthschaft nicht mit ganz unerschöpflicher Schafs-
gcduld ertragen hatten.
Die äußere Politik Brentanos entsprach seiner
inneren. Nicht mit Unrecht spotteten die reaktiv-