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Der wahre Jakob: illustrierte Zeitschrift für Satire, Humor und Unterhaltung — 16.1899

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https://doi.org/10.11588/diglit.8255#0135
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—• 3032 —

©«fiel Chlodwigs Stoßseufzer.

Ich bin ein Fürst aus allerblau'stem Blute,

Dazu verfehn mit allem ird'schen Gute,

was nur bas Herz begehrt, doch müde und gebrochen

And morsch bereits in allen meinen Rnochen;

Ich muß mich jetzt in meinen alten Tagen
Noch mit des Reiches Ranzlerwürde Plagen!

Denn zu bestehn als unverzagter Ritter
Im Parlament der Rede Rngewitter,

Das find' ich bitter!

Hab' ich auch eingewilligt, mich zu binden
Rird bis zum letzten Athemzug zu schinden,

So muß ich dennoch in gewissen Sachen
Mir ganz bestimmte Vorbehalte machen,

Zum Beispiel den, nicht Alles zu vertreten,
was sie zurecht mit plumpen fänden kneten,
wenn's den Rommis beliebt, mit tausend Schrecken
Gin Ungethüm gemeinsam auszuhecken,

Ich mag's nicht decken!

Soll die Rastanien aus den heißen Rohlen
Ich eigenhändig für die Andern holen,
von denen, wenn es am Erfolge mangelt,

Sich mancher doch noch einen Orden angelt?
Soll meinen guten Namen ich riskiren,
wenn sie sich vor der ganzen Welt blamiren?
Soll ich für ihre brandigen Gedanken
Mit Bebel, Lieber mich und Heine zanken?

Da muß ich danken!

wenn sie mit ganz unmöglichen Gesetzen
Mir an den Hals den Laß des Volkes Hetzen,
wenn sie verlangen, daß ich alter Rnabe
Das Renommee mit eigner Hand begrabe,

Das ich verstand, bisher mir zu bewahren,
Dann ist's erlaubt, doch mal empor zu fahren.
Ganz sicher komm' ich bald mit mir ins Reine,
And mache schnell mich auf die alten Beine -
Adieu, Herr Heine!

Inhalt der Unterhaltungs -Beilage.

Der böse Dorn. (Illustration.) — Proletarier. Gedicht.
— Dschaggernaut. (Mit drei Illustrationen.) — Der Arbeiter
und seine Freunde. — Auf der Suche nach weiterem Material
für die Denkschrift. (Illustration.) — Sozialisten im Mini-
sterium. — Der Segen des Beichtstuhls in Frankreich. —
Briefkasten.

Außerdem liegt dieser Nummer bei: Kunde von
Nirgendwo. 8. Bogen.

Blihdraht-Meldungen.

Berlin. Die Kaiserin-Mutter von China schickte dem
Fürsten Chlodwig v. Hohenlohe für die schneidige Vertretung
des Zuchthausgesetzes den Drachen-Orden.

— Das preußische Staatsministerium hat nach der Nieder-
lage in der Zuchthausvorlage nicht demissionirt. Mit gutem
Stecht. In dem eingeholten Nechtsgutachten des Dresdener
Höchstgerichts wurde ausgeführt, daß in der preußischen Ge-
sindeordnung über den merkwürdigen Fall nichts Näheres
bestimmt sei.

— Die Agrarier haben beschlossen, nach der Ablehnung
des Mittellandkanals auch die Abschaffung der Eisenbahnen
zu beantragen.

— Graf v. Blllow erläßt im Lokalanzeiger ein Memo-
randum, nach welchem er bis auf Weiteres auf den Ankauf
von fernen Inseln verzichtet, da er zur Zeit mit der Annektion
des Nord- und Südpols beschäftigt sei.

Dresden. Einem arbeitswilligen Strumpfwirker, der
sich von zwei streikenden Schneidern bedroht fühlte, wurde in
Ermangelung eines Zuchthausgesetzes ein Kavallerieregiment
in koulantester Weise zur Verfügung gestellt.

Leipzig. Hier ist der Sonnenstich aus- und in die amt-
liche Leipziger Zeitung eingebrochen. Die letztere redet Tag
für Tag irre. Am meisten schimpft sie auf die Berliner Ge-
richte, die der sächsischen Justiz doch ein so glänzendes Zeugniß
der Unparteilichkeit gegenüber der Sozialdemokratie aus-
gestellt haben.

Coburg-Gotha. Die englische Sprache wird als Landes-
sprache und der Tankes doodle als Nationalhymne eingeführt.
Am meisten Verwunderung erregt der Unterrock als Landes-
flagge. — Abgedankt wird nicht.

Herne. Die polnischen Arbeitswilligen erfreuten sich der
ganz besonderen Aufmerksamkeit der Behörden. Nachdem die
Polen die Liebe der Grubenbarone genossen und infolge
dessen vor Hunger nicht mehr den Schlaf finden konnten,
warfen sie sich vertrauensvoll dem requirirten Militär in
die Arme.

Samoa. „Vumsfallera, wir haben keinen König mehr!"
wird jetzt auf allen Leierkästen gespielt. Die Malietoa-,
Mataafa- und Tamasese-Leute haben, nach Entfernung ihrer
Häuptlinge, den von Nikolaus II. gesuchten Frieden endlich
gefunden.

Pvsadowskys Ahnung.

Eun ging der Reichslag in die Ferien,

Hal auf vier Mvnal sich verlagl,

Und die Minister, die gelehrigen,

Sie ihun, was ihnen jehl behagl.

Herr Miguel sinnt auf neue Steuern,
Herr Go hier macht den Säbel scharf.
Dieweil der Onkel Chlodwig feiern
Auf seinem fernen Landsitz darf.

H err Vülow schifft-ihm frommt bieSchonung
Sich nach den „Karolinen" rin,

Und in „Kadinen" Sommerwohnung
Sucht sich der Herr von Hammerstein.

Nur ihm, deur Zuchthausbill-Vertheidiger,
Ihm lhät die Ferienlust vergehn.

Cr stöhnt: „Leb' wohl, Reichstag, unleidigrr!
Wer weiß, ob wir uns Wiedersehn!"

Die Koalitionsfreiheit.

Alles hielt Sommcrferien — der Frosch im
Sumpfe, der Kommerzienrath in Karlsbad und
der Hofmarschall bei den nordischen Wallrossen.

Nur Lieber, der Diktator des Reichstages,
durfte sich keine Ruhe gönnen. Die Regierung
erwartete nämlich von ihm, daß er die scheintodte
Zuchthausvorlage retten möge. Das ist — soweit
es an vr. Lieber liegt — jetzt geschehen. Die
lex Lieber wird hiermit durch den „Wahren Jacob"
zur öffentlichen Diskussion gestellt.

8 t. Jede Beeinträchtigung der Koalitions-
freiheit der Arbeitgeber und Arbeitnehmer ist mit
Zuchthausstrafe bis zu zwei Jahren oder mit
Geldstrafe bis zu fünf Mark zu ahnden.

Ausgenommen von dieser Bestimmung sind
nur Maßregeln, die von den unparteiischen Or-
ganen des Staates (Staatsanwälten, Gendarmen)
verübt werden.

8 2. Das Verbindungsverbot der Vereine ist
aufgehoben.

Diese Aufhebung bezieht sich nur auf alle
Unternehmer-Vereinigungen, auf katholische Hand-
werkervereine, Kriegervereine und auf alle Ver-
bindungen der klerikalen, konservativeil und libe-
ralen Parteien.

8 3. Das Recht zu streiken darf feinem Ar-
beiter verkümmert werden. Jeder Streik ist orts-
polizeilich anzumelden. Die Polizei darf ihn ledig-
lich dann verbieten, ivenn Lohndifferenzen, Ver-
langen nach Verkürzung der Arbeitszeit oder
Maßregelungen die Streikursache bilden.

8 4. Wenn Arbeitswillige ivährend des Streiks
arbeitcii, sind sie zu bestrafen. Die Strafe tritt
nur ein, wenn die Arbeit am Charfreitag in der
Nähe protestantischer Kirchen in besonders lärmen-
der Weise erfolgt.

8 5. Das Sammeln zur Unterstützung von
Streiks ist unbedingt erlaubt. Die eingegangenen
Gelder sind rechtzeitig vor der Vertheilung an
die Streikenden zu Gunsten des heiligen Vaters
zu konfisziren.

8 6. Wer sich als sogenannter Rädelsführer
bei einem Streik um das Wohl seiner Mitarbeiter
besonders verdient macht, hat eine Gratifikation
vom Staate zu erwarten. Dieselbe kann in Form
von freier Wohnung hinter schwedischen Gardinen
verabreicht werden. Ausländer sind auszuweisen.

8 7. Das Streikposteustchen ist erlaubt, aber
nur zwischen 12 und 1 Uhr Mitternachts. —
Während der andern Zeit ist dazu eine polizeiliche
Genehmigung erforderlich, die ohne Angabe von
Gründen versagt werden kann.

8 8. Das Führen schwarzer Listen und ähn-
liche Hinterlistigkeiten der Arbeitgeber ist mit Ge-
fängniß zu bestrafen. Die Verfolgung tritt nur
auf Antrag des in Frage kommenden Unter-
nehmerverbandes ein.

8 9. Arbeitseinstellungen, die sich nur auf
Sonn- und Feiertage erstrecken, dürfen unter gar
keinen Umständen strafrechtlich verfolgt werden.
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