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Der wahre Jakob: illustrierte Zeitschrift für Satire, Humor und Unterhaltung — 16.1899

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https://doi.org/10.11588/diglit.8255#0143
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3040 .-

Aus Bumern.

^)er Weckruf ging durch das Bayerland:
„Frisch auf zu den Landtagswahlen!"
Mißnruthig sich zufamnrenfand
Das ^eer der Liberalen.

Verstaubt ihr altes Banner war,

Voll Rost ihre Schwerter und Lanzen;

Sie hatten inzwischen ja manches Jahr
Gedient als Lakaien und Schranzen.

Sie waren gewohnt, ihre Bücken krumm
Zu beugen, die Tritte zu dämpfen
vor Hof und Ministerium —

Nun sollten sie wieder kämpfen.

Nun sollten von ihrem Freiheitsdrang
Sie wieder singen und sagen,

Und sollten mit tönender Worte Rlang
Die Stimmen des Volkes erjagen.

Ihr einz'ger Trost im Leide war:

Lin „Wahlrecht" voll Nucken und Tücken
war eigens geschaffen, den proletar
In knebeln, zu unterdrücken.

Sie kamen und sahen — doch siegten sie nicht,
Sie fanden mit Jammern und Rlagen:

Des Unrechts stärksten wall durchbricht
Der Freiheit muthiges wagen.

Alt-Nürnberg, unbesiegbar fest,

Ist Hochburg der Rothen geblieben,

Vor ihren Wällen ward der Rest
Des „Freisinns" anfgerieben.

Und in der fröhlichen Pfalz, hurrah,
wie ward da tapfer gerungen,

Dort haben die Rothen, piff, paff, trara,
Die „Liberalen" bezwungen.

In München stand die Uebermacht
Der liberalen Granden, —

Auch hier verloren sie die Schlacht,

Jur Feld die Rothen standen.

Sie nützten hier auf eig'ne Art
Des Wahlgesetzes Tücken:

Der stärk're Feind zerschmettert ward,
Der schwächere deckte den Rücken.

So sind sie erlegen im heißen Streit,

Die heuchelnden Volksverräther,
Zertrümmert liegt ihre Herrlichkeit,
Entlarvt sind der Lüge Väter.

Ls ward ihr feiges, verräth'risches Thun
vom Volke endlich gerochen,

Der Freiheit ist eine Gaffe nun,

Der Wahrheit ist Bahn gebrochen.

Inhalt der Unterhaltung« -Beilage.

Zukunft. Gedicht von Oskar Linke. — Die Standes-
erhöhung. Humoreske von Ch. Braun. — John Bulls Dum-
Dum-Geschoß. — Die Rosenknospe. (Illustration.) — Ver-
gänglichkeit. Gedicht von Seidel. — Selbstmörder. Skizze
von G. A. (Jllustrirt.) — Das heimtückische Schwein. (Illu-
stration.) — Fischerdorf an der englischen Küste. Gezeichnet
und geschnitten von E. Weber. — Samstags-Idyll. Von
Arno Holz. (Jllustrirt.) — Der Verantwortliche. (Illustration.)
Trost. (Illustration.) — Drei Köpfe aus dem neuen fran-
zösischen Ministerium. (Porträts von Millerand, Baudin und
Gallifet.) — Neues vom Büchermarkt.

Blihdrsht-Meldungen.

Aus dem Gl^mx. Lieber. Jacob! Ich bitte dich, aus-
drücklich festzustellen, daß ich beim Niederschreiben der Worte:
„Ich aber mäste Eure Schande und füttere Eure Schmach!"
(„Die Räuber", IV. Akt) keineswegs an die während der
Sommerzeit auf Eis gelegte Zuchthausvorlage gedacht habe.

Dein Friedrich Schiller.

Berlin. Die Abrüstung beginnt auch in Deutschland.
In Halle a. S. ist an Stelle streikender Maurer eine Anzahl
Infanteristen in Arbeit getreten und in Folge dessen aus dein
Dienst entlassen worden.

Wien. Der Bürgermeister Lueger ist für seine gegen
die Arbeiter verübten Heldenthaten zum k. k. Reichsrüpel
ernannt worden.

Bulgarien. Um die Sauregurkenzeit etwas zu beleben,
hatte man eine Absetzung des langnasigen Fürsten Ferdinand
projektirt. Eingetretener Hindernisse halber mußte aber die
Ausführung des Projekts um einige Wochen verschoben werden.

St. Petersburg. Der russische Kaiser hat sich ent-
schlossen, nach der neuerlichen Geburt einer Tochter den Bei-
namen „Nikolaus der Letzte" anzunehmen.

Der grosse Ilrurtürst.

Der grosse Ikrurkürsl von Vreussen
Trug eine verfilzte Verrücke,

Lr schnorrte an Frankreichs Dole
Am Geld mit vielem Glücke.

Lr kroch vor Ludwig „dem Grossen",
Auch war er häutig bcsotten.

Die Sucht nach Schnaps und Golde,
Das war sein Träumen und Dottcn.

Doch dass er als ein Vorbild
An ferner Lukunkt lULumen
Den /ISenecben einst dienen Könnte —
Das liess er sich nicht träumen.

Telegrammatlsebes.

Nun trollt sich das rotbe Gespenst wohl nach haus,
Statt uns zu tod zu erschrecken ...?

Ilun packt sie alle ein eisiger Graus,

Der Arbeit trotzige Recken?

3a Schnecken!

Dun werden sie endlich das blut’ge Panier
ln die Rumpelkammer verstecken?

Und König Stumm und seinem Uezier
Demiithig die Hände schlecken?

3a Schnecken!

Dun reichen sie willig den Hacken hin,

Bereit, die Waffen zu strecken?

I!un werden sie lammfromm am Pfluge ziehn,
Und nimmer die Zähne blecken?

3a Schnecken! e.

Gekrönte Liebe.

An der Kante eines großen Wassers lebten
ein Landesvater und eine Landesinutter. Sie
regierten einige Stunden des Tages glücklich und
zufrieden; und wenn sie dann ihre paar Quadrat-
meilen zurechtregiert Hatten, waren sie thätig in
Werken des Friedens, der Nächstenliebe und anderer
fürstlicher Vergnügungen.

Serenissimus ließ sich Meldungen machen
van den neueingezogenen Sommerleutnants seiner
Garnison, versuchte, sie durchbohrend anzusehen
und fragte regelmäßig, was das für eine Kokarde
sei, die sie am Helm führte». Wenn er dann
den temporären Sohn des Mars die Hacken zu-
sammenschlagen und die hofmarschallamtlich in-
struirte Versicherung hörte, daß es zwar die
preußische Kokarde sei, das Soldatenherz aber
nur für das näherliegende Hemd des engeren
— ach, so engen! — Vaterlandes schlage, daun
drückte Serenissimus eine Thräne aus dem linken
Augenwinkel, ließ sich die Hand reichen und sagte:
„Danke Ihnen; grüßen Sie Ihren Papa, Ihre
Mama; auch Ihren Onkel grüßen Sie mir und
Ihre Geschwister, Vettern, Basen und Nichten.

Haben Sie auch Neffen? — Einen? — So-
dann grüßen Sie auch Ihren Neffen. Adieu!"

Sereiiissima aber rechnete inzwischen die Kasse
der gestrigen Hoftheatervorstellung nach, zählte
die übriggebliebenen Billets durch und machte
Seiner Exeellenz dem Herrn Intendanten ein
ungnädiges Antlitz, wenn der erste Rang zu
wünschen übrig gelassen oder der Erlös aus den
Theaterzetteln nicht stimmte. Denn die hohe Frau
war ein leuchtendes Vorbild aller fraulichen Tugen-
den, insbesondere der Sparsamkeit. Ihre höchste
Wonne war, wieder eine halbe Million in guten
Papieren auf die Bank zu geben — auf die Bank
von England natürlich, für alle Fälle...

Um sich diese Freude so oft als möglich machen
zu können, hatte sie ein Abkommen getroffen mit
dem Hoflieferanten-Lichtzieher der Residenz, daß
die Stümpfe aus den strahlenspendenden gekrönten
Kronleuchtern pro Pfund zu demselben Preise
zurückgenommen würden, wie die kompleten Fun-
zeln neu kosteten; und auch der Konditor hatte
von dem Nachtischgebäck alle Törtchen zurückzu-
nehmen, welche von den beiden Prmzeßchen nicht
gar zu sehr angeknabbert oder sonst ans der Faron
gebracht worden waren.

Und er that's gerne, der Hofzuckerbäcker, denn
die Prinzeßchen ivaren reizende Backfische und sie
vernaschten auch sonst noch manchen Tag dreißig
— ja mitunter vierzig Pfennige bei ihm.

Bald aber kam auch bis zu der höchsten Höhe
ihrer Stellung die Nothwendigkeit, daß ihre Röck-
i chen nun eine Handbreit länger sein mußten als
bisher. Und mit dieser Nothwendigkeit sproßte
unter dem knospenden Busen die uralte, ewig
neue Erkenntniß auf, daß es noch etwas Süßeres
geben müsse als Apfelkuchen, Napoleonsschnitte
und Kaiserküsse.

Sie fragten den silbernen Mond im Park,
den sonst so geschwätzigen Quell, die rauschende
See, den erfahrenen Wald, das Konversations-
lexikon und schließlich einen Jüngling niederer
Abkunft, aber voll hoher Fähigkeiten in allen
Fragen und Dingen, die süßer sind als Apfel-
kuchen, Napoleonsschnitte und Kaiserküsse.
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