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Der wahre Jakob: illustrierte Zeitschrift für Satire, Humor und Unterhaltung: Der wahre Jakob: illustrierte Zeitschrift für Satire, Humor und Unterhaltung — 16.1899

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https://doi.org/10.11588/diglit.8255#0147
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3044

* * Uergänglicbkeit. * -ft

Uon Robert Seidel.

Id) preise dich, Vergänglichkeit;

Dein dunkler Scbooss erzeugt das Leben,
Denn deine Unerbittlichkeit
Derschallt erst Raum dem jungen Streben.
Und bringst du Schmerzen auch und Leid -
leb preise dich dennoch, Uergänglicbkeit.

leb preise dich, Uergänglicbkeit:

Du tbeilst gerecht und schön die Loose,

Denn lang blüht 0eistesberrlid)keit,

Doch früh verwelkt die bunte Rose.

Und brichst du Rosen auch vorzeif -
leb preise dich dennoch, Uergänglicbkeit.

Ich preise dich, Uergänglicbkeit;

Du knickst die mächtigsten der Erde
Und sprichst: „Uorbei ist eure Zeit“,

„Ihr drücktet lang genug die Heerde.“

„Dun kommt der Freiheit Herrlichkeit“ -
„Ich breche dieRnecbtscbaft, Uergänglicbkeit.“

Ich preise dich, Uergänglicbkeit;
ttlenn Alles fällt - du bleibst bestehen,

Denn aller Wandel, Sturm und Streit
Wird nie dein mächtig Reich verweben.

Die Welt, die Liebe, Hass und Leid
Uergeben - doch du bleibst, Uergänglicbkeit.

Selbstmörder.

i.

MattrötHliches Licht dämmert durch die
warme, von Wohlgerüchen durchwallte Atmo-
sphäre des Zimmers. Es gleitet in milder
Fluth von der Lampe, breitet sich über die bunten
weichen Teppiche, schleicht empor an den Wän-
den, an den zierlichen Windungen und Schnitze-
reien der Möbel, und malt tiefe Schatten auf
das Gesicht des Mannes, der hinter dem kleinen
Tische dort zurückgesunken, in der schlaffen Hand
ein geleertes Champagnerglas, auf dem Divan
lehnt. Auf demTische vor ihm liegt einNevolver.

Das noch jugendliche Gesicht des Mannes
durchfurchen greisenhafte Falten und aus tiefen
Höhlen starren die Augen in umflortem, mattem
Glanz in öde Fernen. Ja, öde, kalt und wüst
ist ihm die Welt, inhaltslos das Leben. Er hat

ja gelebt, hat alles ausgekostet, was Geld zu
gewähren vermag. Für was soll er weiter
leben? Für wen? Um was kann erkämpfen?
Um Liebe? Bah, die ist ihm schon zuwider.
Um Ehre, Ruhm? Um die Gunst des blöden
Pöbels? Und dann, zum Kämpfen gehört doch
Glaube und Kraft. — Das ist für Posas, nicht
für einen Hamlet. . . .

Sein oder Nichtsein — Sterben — Schlafen. —

Pfui, wie banal! Wie viele haben sich das
nicht schon vordeklamirt. Jeder Primaner, der
zu faul ist zu ernstlicher Arbeit, hält sich in
albernem Stolze für einen Hamlet.

Was aber thun? O, wer die Kraft hätte!
Die Kraft und den Glauben!

Und seine Hände krampfen sich zusammen,
er richtet sich ein wenig empor, bald aber löst
sich wieder die Spannung und mit einem
schwachen Seufzer sinkt er abermals zurück.

Die Gedanken beginnen sich in wirrem
Schwarm zu mischen, zu zerreißen, sie stürmen
dahin in zügelloser Flucht. Ermattet sinken
ihm die Lider. Bald helle, bald dunklere Kreise,
Punkte und Kugeln flimniern vor seinen Augen,
schießen vorüber wie Meteore, Flocken und
wirbeln wild durcheinander. ...

.. . Ein weiter, leuchtender Ballsaal. Tau-
send Lichter flimmern durch den Raum, zurück-
gestrahlt von hohen Spiegeln, von glänzendem
Parkett. Ein Gewühl von weißen Busen, bunten
glitzernden Gewändern, von wogenden Körpern,
eng in leidenschaftlicher Gier aneinander ge-
schmiegt, ein Rauschen und Wirbeln. — Dort
plötzlich, mitten aus dem Gewirr, löst sich eine
Gestalt, verlockender, glänzender als die andern,
sie reizt seinen lüsternen Blick, sie kommt auf
ihn zu, er ergreift sie, er flieht mit ihr hinaus
in die Nacht. Draußen ist es dunkel, schwül,
nirgends ein Hauch, eine Bewegung. Sie preßt
ihn an sich, er muß ihr folgen, sie eilen, sie
fliegen dahin. Er muß ihr die Maske vom
schönen Gesichte reißen, sie sträubt sich, sie ringen
miteinander, — jetzt ist es gelungen, da — er
taumelt zurück, seine Kniee wanken — ein gelber
fleischloser Schädel grinst ihn an — das ist
ja —, o, welch grausamer Spuk!

Doch nun ist alles verschwunden. Eine weite
weiße Ebene, darüber trübes, dämmerndes
Licht. Es beginnt zu schneien. Ah, welche
Kühlung! Ihn fröstelt. Immer dichter wirbeln
die weißen Flocken um ihn, unwiderstehlich
drängt es ihn vorwärts, dort jenem schwarze»
Punkte am düster grauen Horizont entgegen.
Er kommt ihm näher und näher. Jetzt erkennt
er's. Es ist ein verfallenes, verlassenes Kreuz.
Wem mag dies vergessene Deukzeichen gehören?
Er strengt seine müden Augen an: o Gott,
sein eigener Name steht darauf! Ihn schüttelt
der Frost, daß die Zähne aufeinander schlagen.

Und wieder ist alles verändert. Er steht
auf schwindelnder felsiger Höhe, über ihm
ewiges, sonnenglänzendes Blau. Zu seinen
Füßen stürzt der Fels jäh in düster bläuliche
Tiefe. Er blickt empor in das blendende Blau.
Ein dunkler Punkt hebt sich von ihm ab. Er
senkt sich auf ihn zu, er wird immer größer
und größer: es ist ein mächtiger Adler. Der
Adler beginnt über seinem Kopfe zu kreisen,
schon fühlt er den starken Luftzug vom Schlage
seiner Flügel, er will ihm entfliehen, — da
kracht ein Schuß, der Adler stürzt auf ihn, und
mit gewaltiger Wucht reißt er ihn mit sich in
den endlosen Abgrund. —-

Zitternd öffnet er die Auge». Seine Hand
tastet nach der Stirne, sie ist kalt und feucht.
Aber er lebt! Er blickt umher. Was war nur
das alles? Er muß geträumt haben. Ach das,
— am Boden liegen die Scherben des Glases.

Er erhebt sich schwankend. So furchtbar
elend hat er sich noch nie gefühlt. Sein Blick
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