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Der wahre Jakob: illustrierte Zeitschrift für Satire, Humor und Unterhaltung: Der wahre Jakob: illustrierte Zeitschrift für Satire, Humor und Unterhaltung — 16.1899

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https://doi.org/10.11588/diglit.8255#0148
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• 3045 •—

fällt auf den Revolver, der immer noch auf
dem Tische liegt, unberührt, unverändert wie
alles rings umher. Lange starrt er mit ver-
lorenem Blick auf die Waffe, daun nimmt er
sie auf. Und mit einem Lächeln, halb voll
Mitleid, halb voll Selbstverachtung, schließt er
sie sorgsam fort.

Ah!-

Er tritt ans Fenster. Die Straßen liegen
still und friedlich, nur ein paar Verspätete gehen
vorüber. Drüben aber, im Weinhaus, da ist
es noch hell und lustig, die lärmenden Stimmen
einer fröhlichen Gesellschaft tönen herüber.

Er nimmt seinen Mantel, hüllt sich warm
darin ein, denn noch immer fröstelt ihn ein
wenig, und geht. Bei einer Flasche Rüdes-
heimer gewinnt er bald „seinen sittlichen Halt"
wieder zurück.

II.

Träge wälzen sich zwischen den hohen ge-
mauerten Ufern des Flusses die dunklen schmutzi-
gen Fluthen, auf deren leicht gekräuselten Wellen
die Lichter der Laternen auf der Brücke auf
und nieder tanzen und zersprühen. Ein feiner
kalter Regen rieselt gleichmäßig und unauf-
hörlich herab und zieht einen grauen Schleier
vor die dunkle Ferne. Nur wenige Menschen,
eng ihre Mäntel um sich ziehend, huschen durch
die verlassene Straße, eilend, dem unwirthlichen
Wetter zn entfliehen. Jenen Mann nur scheint
der Regen, die ganze feuchtkalte Atmosphäre
nicht zu stören, der dort am Brückengeländer
lehnt und wie bewußtlos in die verzerrten
Züge des Satyrkopfes starrt, der ihm vom
Sockel der Laterne entgegengrinst. Er achtet
nicht, wie der Wind gleichgiltig mit seinem
leichten, ärmlichen Röckchen, mit den Strähnen
seines ergrauten Haares spielt, wie der Regen
über sein gefurchtes Gesicht rinnt, auf dem der
fahle Schimmer der Laterne die Spuren eines
Lebens voll Arbeit und Elend zeigt. Er ist
müde und matt, zu Tode matt. Das war der
fünfte Tag, daß er umhergelaufen ist in der
Stadt von Werkstatt zu Werkstatt, nach vielen
Monaten der Krankheit sich neue Arbeit zu
suchen, aber umsonst und immer wieder um-
sonst. Für den letzten Groschen hat er sich
heute Branntwein gekauft. Sein Weib und
seine Kinder mochten es ihm verzeihen, aber
es ging nicht anders, sonst hätte er gar nicht
mehr weiter gekonnt. Und nun am Abend hat
er sich nicht nach Hause gewagt, gerade wie
ein Schuljunge, der hinter die Schule geht,
weil er seine Aufgaben nicht gemacht hat. Ziel-

los, sinnlos ist er durch die Straßen geirrt.
Sein Weib und die Kinder! Immer schwebt es
ihm vor Augen, dieser fragende Blick, mit dem
sie ihn Tag um Tag empfing, wenn er zurück-
kehrend von seinem schweren Gange in die ver-
ödete Stube trat, — es lag kein Vorwurf darin,
aber er war so voll schmerzlicher, ängstlicher
Spannung, — und dann die Enttäuschung, das
Schweigen und die Verzweiflung ... Hätte sie
doch gekeift und geflucht, wie andere Weiber es
thaten, aber so — nein, er kann es nicht ertragen.
Und die Kinder, die armen, armen Kleinen! Ach,
nur nicht dran denken, nur nicht dran denken.—
Und fl er zwingt seine Gedanken fern ab von
diesem Bilde. Gestalten, Vorstellungen, Ent-
schlüsse wirbeln durch sein brennendes Hirn.
Von dem Laternenpfeiler, von wo ihn die
Fratze noch immer mit unbarmherzigem höh-
nischen Grinsen austarrt, löst sich die Gestalt
des Betrunkenen, der vorhin in der Schenke
zugehört hatte, wie er sein Leid klagte. Wieder
hört er ihn mit seiner heiseren Stimme raunen:
Du bist ja ein Dummkopf. Wenn Du keine
Arbeit hast, da giebt es doch noch Wege genug,
zu Gelde zu kommen! Seine letzten Worte
waren in ein dröhnendes, unheimliches Lachen
übergegangen; und dann hatte der Mann für
alle noch einmal Bier kommen lassen, für ihn
ja auch. — Ja, und hatte der Betrunkene nicht
recht? Er schaudert zusammen. Giebt es denn
keinen Ausweg? O, um seines Weibes und
seiner Kinder willen! Für ste muß er sich
weiterschleppen. Er rafft sich zusammen, wan-
kend thut er einige Schritte. Da aber sieht er
wieder, so sehr er sich dagegen zu wehren
trachtet, den ängstlich flehenden, schmerzlich ge-
spannten Blick, er hört das leise Weinen der
Kinder — nein, er kann es, kann es nicht er-
tragen. Die Müdigkeit, der Rausch/ alles ist
vergessen, nur der eine Gedanke hämmert in
seinem gequälten Kopfe, all sein Denken krampst
sich zusammen zu einem letzten Entschluß, seine
Muskeln spannen sich zu letzter Kraft. — Ein
leises Aechzen — ein Klatschen auf dem Wasser,
ein Gurgeln und Schluchzen, die dunklen Wellen
mit dem drauf spielenden Licht der Laternen
dehnen sich in Kreisen weiter und weiter, sie
glätten sich wieder, und alles ist wie zuvor.
Immer noch rieselt der Regen, gleichmäßig und
unaufhörlich, immer noch klagt der Wind leise
stöhnend und seufzend durch die öden Straßen.
Dort hinten aber, hinter dem grauen Schleier
von Nebel und Regen, über Häusern und
Thürmen, über den Schloten der Fabriken steigt
eine trübe blaßröthliche Dämmerung auf, ein
neuer Tag der Mühen und der Qual. a. a.
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