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Der wahre Jakob: illustrierte Zeitschrift für Satire, Humor und Unterhaltung: Der wahre Jakob: illustrierte Zeitschrift für Satire, Humor und Unterhaltung — 16.1899

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https://doi.org/10.11588/diglit.8255#0165
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Illustvirte


-es wahren Jacob

Johann 'Wolfgang Goethe. ^

von Franz Mehring.

Am 28. August dieses Jahres sind anderthalb Jahrhunderte ver-
flossen, seitdciu der größte Dichter der deutschen Nation geboren wurde.
Bei der hundertsten Wiederkehr seines Geburtstags ist seiner wenig
gedacht worden, mit-
ten in den Kata-
strophen, die damals
über die deutsche Revo-
lution hercinbrachen;
um so mehr ist cS
eine Pflicht der Pietät,
nachzuholcn was vor
fünfzig Jahren ver-
säumt tvurde, eine
Pflicht der Pietät auch
für die Arbeiterklasse,
die in erster Reihe
berufen ist, die großen
Ueberlieferungen
deutscher Kultur zu
wahren.

Freilich läßt sich
schwer in engem Rah-
men zusammcnfassen,
tvas Goethe seinem
Volk und seiner Zeit
gewesen ist. Vor sei-
nem unerschöpflichen
Geiste, vor dem um-
fassenden Weltbilde,
das sich in seinen
Sonnenaugen wieder-
gespiegelt hat, begreift
sich noch an: ehesten
der Heroenkultus, den
das arbeitende und
kämpfende Geschlecht
unserer Tage nicht
mehr versteht. Jedoch
auch Goethe läßt sich
an diesem Maßstabe
nicht richtig messen.

Wohl durfte er am
Vorabend seines To-
des sagen: Es wird
die Spur von meinen
Erdeutagen Nicht in
Aconen untergehn,
aber diese gelassene Zuversicht paarte sich mit dem Bekenntnis;: Nur
der verdient sich Freiheit wie das Leben, Der täglich sie erobern muß,
und die Summe seines Lebens zog Goethe doch in den Worten, die
für den Geringsten gelten wie für den Größten: Denn ich bin ein
Mensch gewesen, Und das heißt ein Kämpfer sein.

Nicht zwar als ob Goethe jenials den Kampf zu führen gehabt
hätte, der in seiner wie in unserer Zeit der ungeheuren Mehrzahl der
Menschen die beste Kraft des Lebens verzehrt. Durch seine Geburt
gehörte er den herrschenden Klassen an: sein Vater war ein wohl-
habender Mann, der sich den Titel eines Kaiserlichen Raths erworben
hatte und in beschaulicher Muße seinen gelehrten Liebhabereien lebte,
sein Großvater von mütterlicher Seite der lebenslängliche Schultheiß

von Frankfurt a. M., der erste Beamte der alten Reichsstadt. In
diesen kleinen städtischen Republiken sah es nicht eben besser auS, als
in dem vermoderten Reiche selbst; schon der frühreife Knabe Goethe

blickte „zeitig in die
seltsamen Jrrgänge,
mit welchen die bür-
gerliche Sozietät un-
terminirt ist"; ihn
selbst aber führte eine
glückliche und heitere
Kindheit vorwärts
auf ebener Bahn,
woran die Lberströ-
mende Liebe seiner
jungen Mutter, einer
kerngesunden, präch-
tigen Frau, noch
größeresVerdienst ha-
ben mochte, als die
sorgfältige, obschon
etwas pedantische Er-
ziehung des älteren
Vaters.

Mit sechzehn Jah-
ren bezog Goethe die
Universität Leipzig,
damals die berufenste
und flotteste Hoch-
schule in deutschen
Landen. Er sollte nach
dem Willen seines
Vaters die Rechts-
wissenschaft studiren,
doch seine dichterischen
Triebe waren schon
erwacht, und er war
entschlossen, ihnen zu
leben. Seine junge
Liebe zu Käthchen
Schönkopf, einer Leip-
ziger Wirthstochter,
entlockte ihni die ersten
Laute der unvergleich-
lichen Lyrik, die ihm
bis in sein spätestes
Alter immer gab, zu
sagen, was er litt.
Doch noch war er nicht frei von dem übermächtigen Einfluß der akademisch-
französelnden Schule; die beiden kleinen Lustspiele, die aus seiner Leip-
ziger Zeit erhalten sind, zeigen ihn noch ganz in ihrem Banne.

Unfertig in jeder Beziehung, kehrte Goethe nach dreijährigem Studium
aus Leipzig in sein Vaterhaus zurück. Dann aber nahm sein Leben
die entscheidende Wendung, als er im Frühjahr 1770 die Universität
Straßburg bezog, um seine juristischen Studien zu vollenden. Leicht
und mühelos konnte er sich hier den Doktorhut erwerben; es blieb ihm
Kraft und Lust und Zeit genug, seine dichterischen Gaben unter den
glücklichsten Sternen zu pflegen. Noch hatte die französische Revolution
das Elsaß nicht mit Frankreich verschmolzen, im Kampfe gegen die
fremden Bedränger hielt das Grenzland zähe an deutscher Art und

Beilage zum „wahren Jacob" Nr. 3^2». H8SS.
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