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Der wahre Jakob: illustrierte Zeitschrift für Satire, Humor und Unterhaltung — 16.1899

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https://doi.org/10.11588/diglit.8255#0179
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jckt zum Geldverdienen witterte. Er frug den
Knaben, wo seine Eltern wohnten und überredete
diese, ihren Jüngsten mit nach Berlin ziehen zu
lassen. Dort würde er sein Glück machen und
Geld nach Hause schicken können, Geld, für das
es Risotto, Datteln und Orangen in Menge gab;
denn der Ceceo sollte ein großer Kaufmann werden.

So ging es an ein Küssen und Abschiednehmen.
Der Ceceo ging auch noch einmal hinaus nach
dem Markusplatz und streichelte das fleckenlose
Gefieder seiner Lieblingstaube, dann reiste er mit
dem Fremden fort, nach Berlin.

An einem eisigen Dczembertag, als der Nord-
wind durch die Straßen pfiff und den Schnee
von den Dächern herabfegte, schlich ein Junge in
dürftiger Kleidung an den Häuserreihen der nordi-
schen Metropole entlang. lieber den Leib und
den Rücken herab hing ihm eine Last von blecher-
nen Küchengeräthen, Mausefallen ec. und der
Riemen, an welchem dies alles befestigt war,
schnitt tief in die schwache Schulter des Knaben
ein. Das Schuhzeug an seinen kleinen Füßen war
defekt und bot keinen Schutz mehr vor Kälte und
Nässe. Eben wieder blies ihm der eisige Nordost
eine Unzahl Schneeflocken ins Gesicht, die sich
wie spitzige Nadeln in die Haut bohrten. Bis
ins Mark erschauernd zog der Knabe sein leichtes
Jäckchen fester um sich und wankte weiter. Es
war unser Ceceo, der in Berlin das Kaufmanns-
handwerk bei dem Seelenverkäufer stndirte.

Wenn er heute wieder nichts von seiner Waare
los wurde, gab es Schläge von seinem Brodherrn
und nichts zu essen obendrein, ach und ihn hungerte
so sehr. Er öffnete, vom Schnee geblendet, die
nächste Thür und zwängte sich mit seinem Krani
hinein. Ein Restaurant. Wie war es hier so
hell und behaglich warm. An weiß gedeckten
Tischen saßen Herren und Damen bei Wein und
Braten und andern guten Dingen. Der kleine,
durchfrorene Handelsmann blieb stehen, sog den
köstlichen Brateirduft ein, der den Raum durch-
zog und vergaß darüber fast seine großen und
kleinen Küchenkasserole und Reibeisen zum Ver-
kauf anzubieten. „Kaufen Sie schöne. .." wollte
er eben in gebrocheneni Deutsch beginnen, aber
schon fuhr ein Kellner auf ihn ein: „Kannst Du

nicht lesen, Schlingel, was da draußen ange-
schrieben steht? Betteln und Hausiren ist verboten."

Eine rohe Faust faßte ihn im Genick und schon
stand Ceceo wieder draußen in Sturin und Wind.
Die Thränen traten ihm in die Augen und froren
auf seinen schmalen Wangen zu Eis. Treppauf,
treppab lief er wieder und überall wies man ihn
mißtrauisch und unbarmherzig von der Schwelle.
Es wurde dunkler und immer unfreundlicher blies
der Nordwind dem armen Ceceo durchs Gebein.
Noch keinen Pfennig hatte er eingenommen.

Muthlos und zunr Tode erschöpft war er
schließlich bis an den „Schlesischen Busch" ge-
kommen, wo er ermattet auf eine der beschneiten
Bänke niedersauk.

O, nur einen Augenblick ausruhen dürfen!
Die Müdigkeit war stärker als der nagende Hunger
und der Frost, der seine Glieder schüttelte. Ein
Rabe flog krächzend durch das kahle Geäst eines
der nächststehenden Bäume und die dunklen Augen
des Kiraben verfolgten eine Weile seinen Flug,
dann sanken ihm die breiten, langbewimperten
Lider herab — und der Rabe ward zu einer
fleckenlosen Taube auf dem sonnenbeglänzten
Markusplatz. Eine wohlige Wärme ging dem
jungen Schläfer durchs Geblüt. Wie war doch
der Himmel so azurblau, wie freundlich lächelten
die schönen Damen, die da soeben aus der Gondel
stiegen, wie melodisch plätscherte das Wasser der
Lagune. ..

Ein verlotterter Geselle schlich heran, löste den
Riemen, daran die heute vergeblich zum Kauf
ausgebotene Waare befestigt war, von der Schulter
des Knaben und machte sich eiligst davon.

Der kleine Hausirer träumte weiter ... ihm
war so leicht und froh zu Muthe. — Er war ja
im sonnigen Venedig, da hatte ihm niemals eine
Last die Schultern ivundgedrückt.

In der Nacht wurde von der Polizei eine
Razzia abgehalteu, um etwa in den öffentlichen
Anlagen umherirrendes Gesindel dingfest zu machen.
Auch der Schlesische Busch wurde abgesucht.

Man fand nur einen kleinen, erfrorenen Knaben,
um dessen blassen Mund ein glückliches Lächeln
spielte. Es war der arme Ceceo, der in Berlin
ein großer Kaufmann hatte werden sollen.
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