Das Testament öes boccacio.
Von Hans Wagemuth.
In dem schattigen Parke seines Landgutes, das in friedlicher Stille
am Ticino lag, lustwandelte Don Ferrante mit seinem Gaste. Es war
ein warmer Märzentag des Jahres 1497, die tiefgrünen Cypressen
zitterten im Sonnenglanze. Der Fremde, eine hagere, blasse Ge-
stalt mit schmalen, feingezeichneten Lippen, trug den schlichten, dunklen
Mantel des Gelehrten. Doch ein sonniges Lächeln wohnte über seinen
Brauen. Das war Herr Pietro Bembo, der ruhinreiche Humanist, der
Stolz Venedigs; er hatte sich der dringenden Einladung seines Freundes,
des als Bauherrn und Gönners der Wissenschaften wohlberufenen Don
Ferrante, nicht versagt, nach Mailand zu kommen, und dort mit ihm
über einige kostbare, eben gefundene alte Handschriften Zwiesprach zu
pflegen.
Da sie auf einer marmornen Ruhebank niedersaßen, und der Gast-
freund eine Rolle mit sorgsamer Hand entfaltete, nahte ein Diener
und überreichte Ferrante ein eilendes Schreiben. Er öffnete es und
im währenden Lesen schoß ihm die Zornröthe in die Stirne.
„Was sagt Ihr, Messer Pietro, zu diesem wahnwitzigen Domini-
kanermönche, der seit drei Jahren schon das stolze Florenz unter dem
dämonischen Banne seiner Beredtsamkeit hält und eine Tollheit nach der
andern anstiftet? Ich kenne mein Florenz, das dem Dienste der lichten
Schönheit und der Verehrnng der Musen und Grazien sich geweiht,
nicht wieder. Sie sind Alle bußfertig geworden, streuen Asche auf ihr
Haupt, das kaum noch die blühenden Rosenkronen schmückten, und
liegen Stoßgebete murmelnd auf den Knien. Höret, was mir mein
Vertrauter, der, tiefen Groll im Busen hegend, in Florenz haust,
soeben schreibt:
„Am letzten Karnevalstage ist auf dem Signorienplatz ein Opfer-
brand aufgezüngelt, desgleichen die Welt noch nicht gesehen.
„Rasende Knaben, Hymnen stammelnde Bacchanten, die Send-
boten des Savonarola, stürmten von Haus zu Haus, und heischten,
derweil draußen der bewaffnete Haufe auf- und abklirrte, der im
steten Gefolge des Mönches ist, alles, was Kunst und Weltlichkeit
Köstliches geschaffen, die unvergleichlichen Zierrathe, die der Goldschnned
gehämmert, Bildsäulen von göttlicher Schöne, farbenprächtige Gemälde,
und das, was die Weisheit der Alten und ihrer Nachfolger in der
großen Zeit der Wiedergeburt gedacht, gedichtet, geschrieben hat.
„Auf dem Signorienplatz strömten in Hellen Schaaren die Opfer-
knaben zusammen, die Vernichtung hinter sich lassend. Mein Herz
blutet mir, wenn ich, o theurer Ferrante, die leeren Gesimse erblicke,
in ihrer gähnenden Oede, der Bücherschätze beraubt. Mich jamniert es,
wie frech die Pergamente und Drucke fortgeschleppt wurden und vor
allem das kostbare Buch des Boccacio, der Decamerone, das Alle aufs
Höchste schätzen, die unvergleichliche Deo Erntins-Ausgabe aus dem
Jahre 1471. Und wögest Du sie mit Gold auf, sie ist heute schon
nicht mehr aufzutreiben.
„Erlasse es mir. Dir, Theilnehmendem, das Autodafe zu schildern.
Meine Zähren fließen, die Augen brennen noch vom Widerscheine der
Gluthen, worin die Lauten und Harfen, die Spiegel und Bilder im
wirren Durcheinander geschichtet lagen, obenauf die Pergamente und
Bücher. Da zerfielen in Asche Petrarca und Pulci, da züngelte
gierig die Flamme nach meinem Boccacio. Auf den Balkon trat
derweil die Signorie, unsere erleuchtete Regierung, die Glocken tönten,
Trompeten erschollen. Das Volk sang Jubellieder und tanzte um die
lodernde Stufenpyramide in drei Reihen eine wilde Runde, Mönche,
Engelknaben, Laien, Bürger, Greise und Priester, diese mit Oelbaum-
zweigen bekränzt.
„Die Barbaren triumphiren, und ich verhülle mein Antlitz.
Dein treuergebener Lorenw "
So las Don Ferrante und zerknitterte erzürnt den Brief, der
ihm so trübselige Botschaft gebracht hatte.
Pietro Bembo aber berührte vermahnend dem Erregten die Schulter.
„Laßt", so sprach er milde, „die Asche stieben. Der Geist bleibt lebendig
und wirkt übermächtig von Volk zu Volk, von Jahrhundert zu Jahr-
hundert. Der Bettelmönch, den ein heiliger Eifer treibt, ist seinem
Verhängniß verfallen. Er will edeln Sinnes das Verderbte und Ver-
altete niederreißen, doch seine Verzückung blendet ihn, daß er die ge-
schichtlichen Zusammenhänge übersieht. Die ihm heute helfen, Autodafes
zu errichten, werden bald ihn selber zum Scheiterhaufen schleppen. Doch
erhelle Dein Gemüthe in der sichern Hoffnung, daß die Wiedergeburt
der Geister kein eitler Traum ist. Um aber Deiner Seele das Gleich-
maß stolzer Haltung und die abgeklärte Heiterkeit, die uns geziemt,
wiederzugeben, sei Dir heute erzählt, was ich aus sicheren Urkunden
erforscht habe. Meine Geschichte soll Dir, vieledler Gastfreund, zeigen,
daß wenn auch Deines Vertrauten Lorenzo Boccacio-Ausgabe verbrannt
worden ist, der Dichter es versteht, fortzuleben und fortzuwalten. Lasse
Dir erzählen die Historie vom Testamente des Boccacio."
Und Pietro Bembo berichtete:
„Der theure Meister Giovanni Boccacio lebte, wie Ihr wißt, in
seinem Greisenalter da, wo er auch als Jüngling die frohesten Stunden
genossen hatte, in dem kleinen Flecken Certaldo bei Florenz, dem Heimaths-
orte seines Vaters. Seine Mutter war eine leichtblütige Dame aus
Paris, und aus unserem Boccacio kichern des gallischen Humors reine
Silberklänge vernehmlich genug heraus. Zwar war er ein Kind der
Liebe, doch hatte sein Vater sich sorglich für ihn bemüht. Nun ruhte
der Vielerfahrene, Weitgereiste in der idyllischen Herrlichkeit seines Land-
sitzes aus.
„Dort, umspielt von den lauen Lüften der Gärten gleichenden
Fluren, hauste Boccacio, der bedeutsamen Studien beflissen, denen die
Gelehrtenrepublik so Großes und Unvergängliches verdankt. Eine aus-
gesuchte Bibliothek, die Frucht jahrzehntelangen Sammelfleißes und
eifrigen Austausches, bot dem Nimmermüden ewig neuen Stoff und
stets wechselnde Anregungen.
„Doch wenn er ermüdete, den Spuren des Tacitus oder Cicero zu
folgen, so griff der Erfahrene unter die Rollen, die dem der alten Sprachen
Kundigen den lachenden Liebesfrühling, die Wonnen der Jugend, die
Holdseligkeiten des Genusses, die frei spielende Anniuth erschließen.
„Saget, mein theuer Ferrante, ist Euch, den die ganze Klerisei ob
des herrlichen Kirchenbaues preist, den Ihr, ein Privatmann, mit reichsten
Mitteln unternommen habt, nicht das Treiben der fahrenden Mönche
ein Greuel? Habt Ihr nicht mit eigenen Augen gesehen, wie sie in
dieser gesegneten Landschaft vor den Bauern als Heilige auftraten, mit
irgend einem Knochen heilten und Wunder verrichteten? Ihre Helfers-
helfer erschienen verstellt in Sieche und Lahme, küßten den Kuttensaum
der schändlichen Possenreißer und sprangen als Geheilte davon. Die
Landleute aber sangen gläubig Misericordia, und Protokolle wurden
ausgenommen." Don Ferrante nickte zustimmend, und Pietro Bembo
fuhr fort:
Von Hans Wagemuth.
In dem schattigen Parke seines Landgutes, das in friedlicher Stille
am Ticino lag, lustwandelte Don Ferrante mit seinem Gaste. Es war
ein warmer Märzentag des Jahres 1497, die tiefgrünen Cypressen
zitterten im Sonnenglanze. Der Fremde, eine hagere, blasse Ge-
stalt mit schmalen, feingezeichneten Lippen, trug den schlichten, dunklen
Mantel des Gelehrten. Doch ein sonniges Lächeln wohnte über seinen
Brauen. Das war Herr Pietro Bembo, der ruhinreiche Humanist, der
Stolz Venedigs; er hatte sich der dringenden Einladung seines Freundes,
des als Bauherrn und Gönners der Wissenschaften wohlberufenen Don
Ferrante, nicht versagt, nach Mailand zu kommen, und dort mit ihm
über einige kostbare, eben gefundene alte Handschriften Zwiesprach zu
pflegen.
Da sie auf einer marmornen Ruhebank niedersaßen, und der Gast-
freund eine Rolle mit sorgsamer Hand entfaltete, nahte ein Diener
und überreichte Ferrante ein eilendes Schreiben. Er öffnete es und
im währenden Lesen schoß ihm die Zornröthe in die Stirne.
„Was sagt Ihr, Messer Pietro, zu diesem wahnwitzigen Domini-
kanermönche, der seit drei Jahren schon das stolze Florenz unter dem
dämonischen Banne seiner Beredtsamkeit hält und eine Tollheit nach der
andern anstiftet? Ich kenne mein Florenz, das dem Dienste der lichten
Schönheit und der Verehrnng der Musen und Grazien sich geweiht,
nicht wieder. Sie sind Alle bußfertig geworden, streuen Asche auf ihr
Haupt, das kaum noch die blühenden Rosenkronen schmückten, und
liegen Stoßgebete murmelnd auf den Knien. Höret, was mir mein
Vertrauter, der, tiefen Groll im Busen hegend, in Florenz haust,
soeben schreibt:
„Am letzten Karnevalstage ist auf dem Signorienplatz ein Opfer-
brand aufgezüngelt, desgleichen die Welt noch nicht gesehen.
„Rasende Knaben, Hymnen stammelnde Bacchanten, die Send-
boten des Savonarola, stürmten von Haus zu Haus, und heischten,
derweil draußen der bewaffnete Haufe auf- und abklirrte, der im
steten Gefolge des Mönches ist, alles, was Kunst und Weltlichkeit
Köstliches geschaffen, die unvergleichlichen Zierrathe, die der Goldschnned
gehämmert, Bildsäulen von göttlicher Schöne, farbenprächtige Gemälde,
und das, was die Weisheit der Alten und ihrer Nachfolger in der
großen Zeit der Wiedergeburt gedacht, gedichtet, geschrieben hat.
„Auf dem Signorienplatz strömten in Hellen Schaaren die Opfer-
knaben zusammen, die Vernichtung hinter sich lassend. Mein Herz
blutet mir, wenn ich, o theurer Ferrante, die leeren Gesimse erblicke,
in ihrer gähnenden Oede, der Bücherschätze beraubt. Mich jamniert es,
wie frech die Pergamente und Drucke fortgeschleppt wurden und vor
allem das kostbare Buch des Boccacio, der Decamerone, das Alle aufs
Höchste schätzen, die unvergleichliche Deo Erntins-Ausgabe aus dem
Jahre 1471. Und wögest Du sie mit Gold auf, sie ist heute schon
nicht mehr aufzutreiben.
„Erlasse es mir. Dir, Theilnehmendem, das Autodafe zu schildern.
Meine Zähren fließen, die Augen brennen noch vom Widerscheine der
Gluthen, worin die Lauten und Harfen, die Spiegel und Bilder im
wirren Durcheinander geschichtet lagen, obenauf die Pergamente und
Bücher. Da zerfielen in Asche Petrarca und Pulci, da züngelte
gierig die Flamme nach meinem Boccacio. Auf den Balkon trat
derweil die Signorie, unsere erleuchtete Regierung, die Glocken tönten,
Trompeten erschollen. Das Volk sang Jubellieder und tanzte um die
lodernde Stufenpyramide in drei Reihen eine wilde Runde, Mönche,
Engelknaben, Laien, Bürger, Greise und Priester, diese mit Oelbaum-
zweigen bekränzt.
„Die Barbaren triumphiren, und ich verhülle mein Antlitz.
Dein treuergebener Lorenw "
So las Don Ferrante und zerknitterte erzürnt den Brief, der
ihm so trübselige Botschaft gebracht hatte.
Pietro Bembo aber berührte vermahnend dem Erregten die Schulter.
„Laßt", so sprach er milde, „die Asche stieben. Der Geist bleibt lebendig
und wirkt übermächtig von Volk zu Volk, von Jahrhundert zu Jahr-
hundert. Der Bettelmönch, den ein heiliger Eifer treibt, ist seinem
Verhängniß verfallen. Er will edeln Sinnes das Verderbte und Ver-
altete niederreißen, doch seine Verzückung blendet ihn, daß er die ge-
schichtlichen Zusammenhänge übersieht. Die ihm heute helfen, Autodafes
zu errichten, werden bald ihn selber zum Scheiterhaufen schleppen. Doch
erhelle Dein Gemüthe in der sichern Hoffnung, daß die Wiedergeburt
der Geister kein eitler Traum ist. Um aber Deiner Seele das Gleich-
maß stolzer Haltung und die abgeklärte Heiterkeit, die uns geziemt,
wiederzugeben, sei Dir heute erzählt, was ich aus sicheren Urkunden
erforscht habe. Meine Geschichte soll Dir, vieledler Gastfreund, zeigen,
daß wenn auch Deines Vertrauten Lorenzo Boccacio-Ausgabe verbrannt
worden ist, der Dichter es versteht, fortzuleben und fortzuwalten. Lasse
Dir erzählen die Historie vom Testamente des Boccacio."
Und Pietro Bembo berichtete:
„Der theure Meister Giovanni Boccacio lebte, wie Ihr wißt, in
seinem Greisenalter da, wo er auch als Jüngling die frohesten Stunden
genossen hatte, in dem kleinen Flecken Certaldo bei Florenz, dem Heimaths-
orte seines Vaters. Seine Mutter war eine leichtblütige Dame aus
Paris, und aus unserem Boccacio kichern des gallischen Humors reine
Silberklänge vernehmlich genug heraus. Zwar war er ein Kind der
Liebe, doch hatte sein Vater sich sorglich für ihn bemüht. Nun ruhte
der Vielerfahrene, Weitgereiste in der idyllischen Herrlichkeit seines Land-
sitzes aus.
„Dort, umspielt von den lauen Lüften der Gärten gleichenden
Fluren, hauste Boccacio, der bedeutsamen Studien beflissen, denen die
Gelehrtenrepublik so Großes und Unvergängliches verdankt. Eine aus-
gesuchte Bibliothek, die Frucht jahrzehntelangen Sammelfleißes und
eifrigen Austausches, bot dem Nimmermüden ewig neuen Stoff und
stets wechselnde Anregungen.
„Doch wenn er ermüdete, den Spuren des Tacitus oder Cicero zu
folgen, so griff der Erfahrene unter die Rollen, die dem der alten Sprachen
Kundigen den lachenden Liebesfrühling, die Wonnen der Jugend, die
Holdseligkeiten des Genusses, die frei spielende Anniuth erschließen.
„Saget, mein theuer Ferrante, ist Euch, den die ganze Klerisei ob
des herrlichen Kirchenbaues preist, den Ihr, ein Privatmann, mit reichsten
Mitteln unternommen habt, nicht das Treiben der fahrenden Mönche
ein Greuel? Habt Ihr nicht mit eigenen Augen gesehen, wie sie in
dieser gesegneten Landschaft vor den Bauern als Heilige auftraten, mit
irgend einem Knochen heilten und Wunder verrichteten? Ihre Helfers-
helfer erschienen verstellt in Sieche und Lahme, küßten den Kuttensaum
der schändlichen Possenreißer und sprangen als Geheilte davon. Die
Landleute aber sangen gläubig Misericordia, und Protokolle wurden
ausgenommen." Don Ferrante nickte zustimmend, und Pietro Bembo
fuhr fort: