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Der wahre Jakob: illustrierte Zeitschrift für Satire, Humor und Unterhaltung — 16.1899

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https://doi.org/10.11588/diglit.8255#0199
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3097

melte er nur die kurze Bemerkung „Ueber-
geschnappt" vor sich hin und theilte beim Serviren
den bevorzugteren Stammgästen unterm Siegel
der Verschwiegenheit mit, Hungerbcin sei nun
doch leider vollständig reif für Dalldorf.

Unser Held aber rannte inzwischen, ohne Rück-
sicht auf die Hühneraugen der ihm begegnenden
Mitmenschen, seiner Wohnung zu.

Hier angelangt, suchte er mit Hast aus dem
geringen Wäschevorrath ein ncugesteiftes Vor-
hemdchen heraus, legte die fadenscheinigen schwarzen
Feiertagsbeinkleider und den nicht viel tröstlicheren
Frack an, fuhr mit der Bürste ein paar Mal
durch die bereits stark gelichteten Haare und trabte
dann der Stadtgegend zu, wo der wohlhabende
Mittelstand vorzugsweise sein Quartier aufge-
schlagen hat.

„Aber", fragt der geneigte Leser, „wozu dies
Alles?" Sehr einfach! Hungerbein hatte das
Problem gelöst, täglich mehrere Stunden spazieren
gefahren zu werden, dazu ein oder auch ein paar
Gläser Rebensaft zu genießen, und zwar ohne
jedes andere Einlagekapital, als die vorbenannten
Kleidungsstücke und das Aushängeschild einer trüb-
seligen Miene.

Die Theorie war ihm völlig klar und bald
sollten sich seine Pläne auch in der Praxis
realisiren.

Hungerbein drängte sich durch die Wagenburg
der Trauerkutschen, welche vor dem Hause des
reichen Bäckermeisters Nudelmann hielten, machte
sich mit Regenschirm und Ellenbogen durch das
Heer der Gaffer Bahn und trat

'ne Thrän' im Aug',

Im Herzen aber froh —

unter die trauernden Verwandten, die dem Seligen

Der Leichenbmnmler bei der Arbeit.

die letzte Ehre geben wollten und sich soeben auf
die ergreifende Wirkung des Leichensermons durch
einen kleinen Imbiß vorbereiteten.

Zwar richtete sich mancher fragende Blick
nach dem unbekannten Manne mit der heftigen
Rührung — aber Hungerbein trauerte zu schön
und natürlich. Er hatte durchaus richtig kalkulirt,
man werde — bei solcher Gelegenheit jeden Eklat
vermeidend — mich dem fremden Leidtragenden
ein stilles Plätzchen gönnen, zumal ja in der
Traueranzeige von den zahlreichen Freunden des
Verstorbenen die Rede war. Es konnte doch Nie-
mand wissen, um mit Don Carlos zu sprechen,
„was ihm der Todte war!?"

Kurz und gut, unser Freund langte in bitterer
Trübsal wacker zu und der genossene Wein destillirte
als Thränen über seine abgehärmten Wangen.
Die Kutschen fuhren vor, man stieg ein — auch
Hungerbcin erhielt eine mollige Wagenecke, und
als er nun so dahingeschaukelt wurde auf den
weichen Polstern, da kam die freudige Gewißheit
über ihn, daß er so und nur so die Vorschrift
des Armenarztes befolgen und seine geschwächte
Konstitution wieder zu Kräften bringen könne.

Seit diesem ersten glücklichen Debüt ist Hunger-
bein der eifrige Leser der Todtcnliste; wo ein seinem
Zwecke entsprechendes Leichenbegängniß stattfindet,
wo den „zahlreichen Freunden und Bekannten des
edlen Dahingeschicdenen angezeigt wird, daß die
Beerdigung vom Trauerhause um die und die
Stunde erfolge", da sieht man unbedingt Hunger-
beins röthlich schimmernden Kastor, den er übrigens
in Anbetracht des neuen Geschäfts bald mit einem
neuen vertauschen wird.

Was kümmert's ihn, daß einzelne boshafte
Neider, denen ja auch das Ernsteste nicht heilig

ist, ihm den Spottnamen „Leichenbummler" ge-
geben? Er trauert rüstig weiter um die ver-
blichenen Menschen-
brüder und -Schwe-
stern; schon beginnen
seine hohlen Wangen
sich zu runden, und
der gütige Leser kann
sich der frohen Hoff-
nung hingeben, den
pensionirten Kol-
legien - Registrator
Hungerbein noch
lange unter den
Lebenden wandeln
zu sehen, obgleich er
einen nicht unbedeu-
tenden Theil sei-
nes Unterhalts den
Todten verdankt.

Modernes Schicksal.

Dreißig Jahre lang hat sie genäht,

Hat sie gestichelt von früh bis spät;
Manches entzückende Brautgewand
Lchuf ihre emsige blutleere Hand.

Manche Braut hat die Arme geschmückt
Mit den Fingern so flink und geschickt.
Anfangs nur fiel aöf das duftige Aleid
Thräne um Thräne voll Nummer und Leid,
Lpäter, da träumte von Liebe und Lust
Nimmer die schmerzende keuchende Brust.
Jeder Verlockung hat sie gewehrt.

Treulich die Mutter, die kranke, ernährt.
Das Brautgewand nähte sie mancher Maid,
Sich nur ein schmuckloses Lterbekleid. a. w.
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