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Der wahre Jakob: illustrierte Zeitschrift für Satire, Humor und Unterhaltung — 16.1899

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https://doi.org/10.11588/diglit.8255#0233
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\ Itlustvirte *1

URtrrhaLtRirgs-VEaSr

des wahren Jacob

Der 13. Dezember 1899 ist der hundertjährige
Geburtstag Heinrich Heines, des deutschen
Aristophanes. Zur Feier dieses Tages rüstet sich
Alles, was in der deutschen Nation noch rein
und frei geblieben ist von reaktionärer Gesinnung
und spießbürgerlicher Versumpfung; insbesondere
wird das Proletariat die Feier mit freudiger Be-
geisterung begehen, denn Heinrich Heine war ein
Dichter des Volkes und der Freiheit.

Ueber Heines Leben und Wirken brachte der
„Wahre Jacob" bereits vor vier Jahren, in seiner
Nr. 237, aus der Feder Robert Schweichels eine
treffliche Schilderung. Es mögen daher für heute
einige flüchtige Streiflichter genügen.

Heinrich Heine wurde^ zu Düsseldorf von
jüdischen Eltern geboren. Seine Mutter, eine ge-
borene Betty van Geldern, übte auf seine geistige
Entwicklung einen günstigen Einfluß ans.

llnter Leitung seines reichen Onkels Salomon
Heine in Hamburg sollte sich Heinrich — oder
Harry, wie man ihn damals in der Familie
nannte — der kaufmännischen Laufbahn widmen.
Er zeigte für diese aber weder Lust noch Talent,
und der Versuch, ihn zum Kaufmann heranzu-
bilden, mußte bald aufgegeben werden. Heine
studirte dann in Bonn, Berlin und Göttingen
die Rechtswissenschaft und errang schließlich den
Doktortitcl, den er aber niemals führte. Er
nahm die Juristerei überhaupt nicht besonders
ernst, sondern interessirte sich mehr für Hegelsche
Philosophie und Literatur. Er trat im Jahre 1825
zum Protestantismus über — nicht aus religiöser
Ueberzeugung, sondern um, wie er sich ausdrückte,
das „Entreebillet zur europäischen Kultur zu er-
langen", das heißt um sich von der gesetzlichen
und gesellschaftlichen Aechtung zu befreien, die
damals noch auf dem Judenthum lastete.

Bereits int Jahre 1822 erschienen seine ersten
Gedichte — Theile des Buches der Lieder und
zwei klemeTragödien, „Almansor" und „Rateliff".
1826 folgten die „Reiscbilder", welche ungeheures
Aufsehen machten und durchschlagenden Erfolg
erzielten.

Es war eine trübselige Zeit, in die das erste
öffentliche Auftreten Heinrich Heines fiel. Alle
politischen Verhältnisse beherrschte eine starre Re-
aktion. Der berüchtigte „Deutsche Bund" hatte
jene Hoffnungen vernichtet, die von aufgeklärten
Geistern an die nationale Erhebung der sogenann-
ten Freiheitskriege geknüpft worden waren. In
der Literatur herrschte die romantische Schule
mit ihrer krankhaften Sentimentalität und über-
spannten Phantasterei.

Heinrich Heine, der selbst in die romantische
Schule gegangen war, aber — wie er spottend
sagt — alsbald den Schulmeister geprügelt hatte,
schlug einen neuen, frischen Ton an, er über-
schüttete mit Spott Alles, was dem Philister als
unantastbar erhaben dünkte, er entlarvte die
Heuchelei, er höhnte den allmächtigen Despotis-
mus. Und sein sonniger Humor weckte die Heiter-
keit der Leser, seine Sprache drang zu den Herzen,
Der Bann der Finstcrniß und Unnatur war ge-
brochen.

Die Heinesche Lyrik entschleierte sich im „Buch
der Lieder" in wunderbarer Schönheit. Seine
Verse sind — um ein Heinesches Bild zu brauchen —

Heinrich Heine. ^

klingende Sonnenstrahlen; sie gewähren uns Ein-
blick in sein tiefes, reiches Dichtergemüth. Aber
sie klingen selten harmonisch aus, der Dichter
zerstört muthwillig die Stimmung, die er ge-
schaffen und schließt mit einem Spottwort, mit
einer grellen Dissonanz. Er höhnt die Lyrik,
>uie er der Romantik spottete. Ein Kritiker sagt
von ihm: „Er hob die Fackel der Lyrik noch ein-
mal himmelhoch empor und schleuderte sie dann
in den Abgrund".

Natürlich fiel die ganze deutsche Philisterschaft
über den frivolen Spötter her, der den Kirchhofs-
frieden der Reaktion zu stören wagte. Heine be-
inerkt darüber gelegentlich, er hätte nie geglaubt,
daß Deutschland so viele faule Stepfel produzire,

Heinrrch Heine.

Nach einem Medaillon-Relief von David d'Angers.

wie man ihm zugeworfcn habe. Die Philister
haben ihm bis auf den heutigen Tag nicht ver-
ziehen. Auch die Behörden wandten ihm ihre
Aufmerksamkeit zu und Heinrich Heine hatte gute
Gründe, im Jahre 1831 Deutschland zu verlassen
und nach Paris überzusiedeln. Im Jahre 1835
verbot der deutsche Bundestag alle vorhandenen
und auch alle zukünftigen Schriften Heines, die
in Folge dessen natürlich nur um so eifriger
gelesen wurden.

In Paris entwickelte sich Heinrich Heine in
Prosa-Schriften und neuen Dichtungen auch als
politischer Schriftsteller, der den Feinden alles
Fortschritts, den Ausbeutern und Unterdrückern
des Volkes ernst und scharf zu Leibe ging. Sein
„Deutschland, ein Wintermärchen" ist eine Perle
politischer Satire, welche niemals ihren Glanz
verlieren wird. „Atta Troll" schließt sich dem
würdig an und in den „Neuen Gedichten" kündet
sich das Wetterleuchten der 1848er Revolution.
Heine glossirt hier unter Anderem den Besuch
Herweghs beim König von Preußen, er widmet
dem Letzteren das Gedicht „Der Kaiser von China"
(welches unsere Leser in vorliegender Beilage
abgedruckt finden), er widmet Ludwig dem Ersten
von Bayern gallenbittere Verse und zürnt über
die Geduld der Deutschen.

Auch die soziale Frage, „Die große Suppen-
frage", wußte Heine zu würdigen. Schon in

seinem Rateliff, den er im Jahre 1821 schrieb,
läßt er den Helden sagen:

„ . . . Robin ist

Ein Mann; und einen Mann ergreift der Zorn,

Wenn er betrachtet, wie die Pfennigseelen,

Die Buben, oft im Ueberflusse schwelgen.

In Sammt und Seide schimmern, Austern schlürfen.

Sich in Champagner baden . . .

In goldnen Wagen durch die Straßen rasseln.

Und stolz yerabsehn auf den Hungerleider,

Der mit dem letzten Hemde unterm Arm
Langsam und seufzend nach dem Leihhaus wandert.

O seht mir doch die klugen, satten Leute,

Wie sie mit einem Walle von Gesetzen
Sich wohlverwahret gegen allen Andrang
Der schreiend überläst'gen Hungerleider!

Weh' dem, der diesen Wall durchbricht!

Bereit sind Richter, Henker, Stricke, Galgen —

Je nun! Manchmal giebt's Leut', die das nicht scheuen."

Und Tom, der Wirth einer Spelunke, antwortet:

„So dacht' ich auch, und theilte ein die Menschen
In zwei Nationen, die sich wild bekriegen.

Nämlich in Satte und in Hungerleider.

Weil ich zu letzterer Partei gehörte.

So mußt' ich mit den Satten oft mich balgen. .

Schärfer, wie es hier geschieht, können die
sozialen Gegensätze kaum gekennzeichnet werden.
Dieselbe Auffassung kehrt wieder in dem späteren
Gedicht „Die Wanderratten", welches wir um-
stehend vollständig wicdergeben, und an vielen
anderen Stellen, so z. B. im Wintermärchcn:
„Verschlemmen soll nicht der faule Bauch, was
fleißige Hände erwarben", im Lazarus: „Ein
Recht zum Leben, Lump, haben nur, die etwas
haben" u. s. w. Das ist eine deutliche Sprache,
deren Wirkung durch gelegentliche absprechende
Bemerkungen, die Heine über die Kommunisten
machte, nicht abgeschwächt wird.

Heinrich Heine hatte im Leben viele Bitter-
nisse zu erdulden. Oft bedrängten ihn die Gläu-
biger, noch öfter kränkten ihn die zahlreichen
Feinde, die er nicht nur im Lager der politischen
Gegner, sondern auch unter seinen Gesinnungs-
genossen durch seine nie rastende und nie schonende
Spottsucht sich zugezogen hatte. Unter ihnen be-
fand sich auch Ludwig Börne, den der gleiche Frei-
heitsdrang, die gleiche zornige Vaterlandsliebe
des Exilirten beseelte.

Am 17. Februar 1856 starb Heine in seiner
„Matratzengruft" zu Paris nach Jahre langen
furchtbaren Leiden. Auf dem Montmartre kündet
die Inschrift einer einfachen Sandsteinplatte:
„Heinrich Heine".

Viel wurde gestritten um Errichtung eines
Heine-Denkmals auf deutschem Boden. Der Haß
der Reaktionäre, der ihn übers Grab hinaus ver-
folgt, hat bisher den Platz für ein solches Denk-
mal verweigert. Jenseits des Meeres, im Stadt-
park zu New Dork, hat Heines Denkmal, von
Professor Herter künstlerisch vollendet, seine Stätte
gefunden. Es zeigt die „Loreley" als Brunnen-
figur; am Sockel befindet sich das Reliefbild des
Dichters, umgeben von den Idealfiguren der
„Lyrik", der „Satire" und des „Weltschmerz".
Das Ganze ist in schönem Marmor ausgeführt,
ein Kunstwerk, würdig seiner edlen Bestimmung.
(Siehe die vierte Seite.)

In Deutschland selbst aber hat Heinrich Heine
ein noch schöneres unvergänglicheres Denkmal —
im Herzen des Proletariats, das liebend der
Helden der Freiheit gedenkt. at. k.

Beilage zum „wahren Jacob" Nr. 349 m, 1899.
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