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Der wahre Jakob: illustrierte Zeitschrift für Satire, Humor und Unterhaltung — 17.1900

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https://doi.org/10.11588/diglit.8185#0022
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3164

Man entschuldige übrigens die brave Hunde-
seele dieses rothbetreßten Lakaiengemüthes: was
versteht sie davon, wenn in einer Künstlerphantasie
die Stunde, die Gährnng künstlerischen Schaffens
beginnt? Seine devote Frage, ob gegen solches
Gehirnleiden vielleicht Huniady Janos oderBiliner
abführend wirke, kann selbst dem volksthümlich
milden hoheitlichen Hans nur ein mitleidiges
Lächeln entlocken.

Oft rieb er sich die heiß und heißer werdende
Stirn und murmelte dazu:

Hei, das wirbelt und schmettert ja wie Nachti-
gallen und Lerchen! Das muß 'raus ans Leben,
ans Tageslicht!

Der bereitstehende Flügeladjutant wurde herein-
gerufen. Diesem pfiff Hans, unruhig im Ge-
mache auf und nieder gehend, im Marschtakt,
eine Reihe auf- und abivärts steigender Töne
vor, bis ihm der Schweiß auf der Stirn stand.
Dann blieb er vor dein Getreuen stehen und
sagte:

„Nicht wahr, mein Lieber, wieder mal köstlich,
großartig! Schade, daß ich nicht als Kind des
Volkes geboren worden bin. Ich hätte, frei nach
Sheakcspeare, Wagner zehnmal überwagnert. Was
bin ich so? Eigentlich, na —"

„Königliche Hoheit beleidigen sich und vergesse»
über den Künstler den Landesvatcr! Aber der
Marsch ist göttlich, wirklich göttlich! . .."

Aber wie nun diesen noch im fürstlichen Hirn
rumorenden Marsch ans Tageslicht fördern?

Zeus, der leichtsinnige Gott der alten Griechen,
mar einmal seine eigene Hebamme, als er Athene,
die Göttin der Weisheit „gebar" oder vielmehr
von sich gab... . Aber das können nur nichts-
nutzige Götter. Und die sind lange, lange todt.
Wir Menschen, zu denen ja bis jetzt auch noch
leider die Fürsten gehören, müssen es anders an-
fangen.

Wie in diesein Falle mit seinem königlichen
Herrn zu verfahren mar, wußte der Adjutant.
Alleruntcrthänigst wagte er die erlösende Frage:
„Soll ich Kapellmeister Müller rufen lassen?"

„Ja, er mag kommen, er ist zwar kein schaffen-
der Künstler, aber die Noten, die er schreibt,
sehen wie gestochen aus, und er nimmt immer
das theuerste Papier! Hoffentlich ist der Kerl
nicht noch von gestern her besoffen."

Kapellmeister Müller erschien sehr bald -
der „Kerl" war durchaus nicht „besoffen", wenn
auch die Uniform unter dem Säbelgurt jeden
Augenblick zu platzen drohte. „Müllerchen, ich
habe diese Nacht einen Marsch im Bette gemacht!"

„Königliche Hoheit der muß .Träume'
heißen."

Hans begann zu pfeifen, wie vorher zum
Kammerdiener, zrim Adjutanten, nur ließ er sich
mehr gehen...

Müller strahlte.

„Hoheit: ,Wandelträume' muß er heißen."

„Alles verstanden und behalten?"

„Hoheit, gewiß!"

Herzog Hans tätschelte jetzt dem Kapelliiteister
die breiten Schultern und sagte vertraulich ab-
winkcnd zu beut Meister: „Na, liebes Müllerchen,
ivollen Sie das 'mal aufschreiben?"

„Gewiß, Königliche Hoheit!"

„Ich danke Ihnen. Auf Wiedersehen!"

Ein kräftiger Händedruck gleichgesinnter Künst-
lerseclen, und Müller hatte auf den hallenden
Flurgängen des Schlosses Zeit, um nachzudenken,
den Spuren irdischen, Kgl. Hoheitlichen Wandels
nachzuforschen. Denn ans der Vorpfeiferei war
er nicht klug geworden.

Da soll ein Sch.... draus klug werden —
dachte er, aber schweigend: in Folge seiner guten
Erziehung des lauten Denkens entwöhnt.

Er sann, er sann. Der Marsch, der Marsch
Sr. Kgl. Hoheit mußte komvonirt, mußte geliefert
werden und Herzog Hans mußte auch beim An-
hören sein geistiges Eigenthum miedererkennen.

Da traf Müller am Schloßportale denFlügel-
adjutanten. Müller, von dem Jeder wußte, daß

er oben einen Stein im Brette hatte, erlaubte
sich im Interesse der landesherrlichen Musikpflege
von Gerolstein die Anfrage, wo der Herzog gestern
Abend seine Zeit zu verbringen geruht hatte.

„In der Oper, lieber Kapellmeister! Wir
hörten die Regimentstochter."

Müller bedankte sich; als er allein war, stand
er da und machte ein Gesicht... na, der Aus-
druck war in der That eine bodenlos freche
Majestätsbeleidigung.

Nach zwei Stunden erschien er freudestrahlend
im Kabinett des Herzogs und spielte ihm auf dem
Bechsteinflügel einen Marsch vom Blatte, dessen
schwarzglänzende Noten noch feucht erschimmerten.

Es war ein prickelndes, trotz aller Handwerks-
mäßigkeit geschickt aneinander gereihtes Potpourri
von allerlei Themen aus der Regimentstochter.

„Wandelträume" — eine Reminiszenz, wollte
es bedachtlos Müller taufen; aber da fiel ihm
das Bessere ein: „Wandeltrüume, Armeemarsch
Nr. 789, komponirt von Sr. Kgl. Hoheit Herzog
Hans von Gerolstein und seinem Volke gewidmet."

Der Fürst war entzückt, schon den Orden für
den überseligen Müller aus der Schublade seines
Schreibtisches hervorlangend.

„Bravo, Müller, bravissimo, liebes Müllerchen!
Ha, wie genial Sie auf meine Intentionen ein-
gegangen sind! Auch nicht ein Thema ausgelassen!
Haben ein kolossales Gedächtniß!"

Der Kapellineister bekam seinen Orden, den
Musikdirektortitcl und für Unkosten 100 Mark
in Gold, Gerolstein erhielt seinen neuen Arinee-
marsch Nr. 789, und das Kompositionstalent des
kunstsinnigen Herzogs Hans von Gerolstein war
in den Augen seiner liebwerthen Vettern um
eine kostbare „Nriance" bereichert worden.
 
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