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Der wahre Jakob: illustrierte Zeitschrift für Satire, Humor und Unterhaltung — 17.1900

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https://doi.org/10.11588/diglit.8185#0056
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•. 3198

danken. Da erfolgte plötzlich ein feiger Ueber-
fall; von zwei Seiten angegriffen, stäubte die
Menge auseinander, und nun wurde die Re-
volution, bis dahin eine schwärmende Maid,
zur zürnenden Walküre. Der Sturm brach
los. Rache! Zu den Waffen! Barrikaden!
Vergebens ließ der König, entsetzt über das
brausende, tosende Volksmeer, den Ueberfall
für ein „Mißverständniß" erklären, wie sein
„lieber Bruder" Louis Philipp drei Wochen
vorher, am 24. Februar, es von einem ähn-
lichen Ueberfall erklärt hatte. Vierundzwanzig
Stunden nach dem Pariser Mißverständniß
war Louis Philipp in London. Und vierund-
zwanzig Stunden nach dem Berliner „Miß-
verständniß" war der Bruder des Königs auf
dem Wege nach London. Nicht der König.

Nachdem in zwölf Stunden blutigen Kampfes
sein Heer von dem Volke geschlagen, das Schloß
des Prinzen von Preußen, der für den Ur-
heber des Ueberfalls galt, um es vor dem
Volkszorn zu schützen, zu Nationaleigenthum
erklärt worden, und der Prinz selbst, der spätere
Kaiser von Deutschland, entflohen war — zog
das siegreiche Volk abermals vor das Schloß,
wie am Tage vorher. Aber nicht in heiterer
Feststimmung und Sonntagsgewand — die
Gesichter von Pulver geschwärzt, die Kleider
beschmutzt und voran auf Brettern die zer-
fetzten Leichen der im Kampfe Gefallenen. Und
vor den Leichen, vor seinen Opfern, mußte
der König den Hut abnehmen, seine Reverenz
machen vor der siegreichen Revolution. Das
Volk zog wieder ab und der König blieb König.

Das war der 16. März 1848. Die sieg-
reiche Märzrevolution, die den Sieg nicht
ausnutzte, weil sie kein Ziel hatte. Die Fest-
ungen der Zwingherren waren in der Gewalt
des Volkes, aber das Volk schleifte die Festungen
nicht, nachdem es sie erstürmt, und ließ in ihnen
die alten Besatzungen. In Frankfurt, der „alten
Kaiserstadt", sollte die deutsche Einheit und
Freiheit begründet werden.

Da wurde in Paris das Schicksal der März-
revolution entschieden: das französische Prole-
tariat stellte sich in der Junischlacht gegen
die republikanische Bourgeoisregierung, die ihm
den Handschuh hingeworfen hatte. Die Ar-
beiter erlagen und das Tischtuch war zerschnitten
zwischen Bourgeoisie und Proletariat. Die
Bourgeoisie sah von nun an nur noch einen
Feind: das Proletariat, und nur noch einen
Regierungszweck: die Unterdrückung des Prole-
tariats. Die französische Bourgeoisie suchte sich
in Bonaparte einen Retter der Gesellschaft;
und das deutsche Bürgerthum empfand Grauen
vor der Revolution. So hatte die Reaktion
freies Feld. Sie organisirte die Kontre-
revolution. Am 9. November wurde in
Wien Robert Blum erschossen und rückte in
Berlin General Wrangel mit dem Belage-
rungszustand ein.

Im Mai 1849 zuckte die sterbende Revo-
lution noch einmal auf. Den Volkserhebungen
in Dresden, in Schlesien und der Rheinprovinz,

Dschaggernauth.

in Baden und der Pfalz folgten die Orgien
des preußischen Standrechts, das hinter dem
österreichischen nicht Zurückbleiben wollte. Noch
einige Wochen und das ungarische Volk, welches
am längsten die Fahne der Revolution hoch-
gehalten hatte, wurde von der Uebermacht der
vereinten Oesterreicher und Russen erdrückt.
Die Märzrevolution war tobt.

Nicht die Revolution, welche war, ist
und sein wird. Sie lebt fort in dem Sozia-
lismus, dem natürlichen, wenn auch ver-
leugneten Kinde der bürgerlichen Gesellschaft,
die dem Kapitalismus verfallen war. Der
Kapitalismus braucht „Ordnung": er diente
der Reaktion, schuf aber, durch Vernichtung des
Kleineigenthums und der Mittelstände, im
Stillen die Revolution—den Sozialismus. Das
Proletariat gelangte zum Klassenbewußtsein,
und 1863 entstand der Allgemeine Deutsche
Arbeiterverein in Deutschland, 1864 in
England die Internationale Arbeiter-
assoziation.

Die triumphirende Reaktion blieb nicht
einig. Das österreichische und das preußische
Standrecht geriethen in Streit miteinander,
der 1866 mit dem Siege des preußischen endete.
Mittlerweile hatte die Angst des Bürgerthums
vor der Revolution in Frankreich Bonaparte
zum Staatsstreichkaiser und in Deutschland
Bismarck zum Diktator gemacht. Und wie
1866 das österreichische und preußische Stand-
recht, so geriethen 1870 das Bonapartische und
Bismarckische Säbelregiment in Streit. Der
Bruderkrieg zwischen Frankreich und Deutsch-
land gab dem siegreichen Deutschland das
Kaiserreich, von dem das besiegte Frankreich er-
löst ward. Der furchtbare,Krieg hatte ein Nach-
spiel, ein Aufleuchten der Revolution in dieser
Nacht der mörderischen Kriegsgreuel. Die fran-
zösische Bourgeoisie versuchte die Republik zu
erdrosseln, die ihr kein genügendes Bollwerk
gegen die proletarische Revolution zu bieten
schien. Paris, dessen Arbeitervolk die festeste
Stütze der Republik war, und während des
Krieges mehr Vaterlandsliebe gezeigt hatte, als
die Bourgeoisie, die nur das Ich und den Geld-
sack anbetet — Paris sollte entwaffnet werden.

Es war am 18. März 1871.

Die Truppen der provisorischen Regierung
rücken von Versailles heran — auf Befehl des
Herrn Thiers, Vertrauensmanns der Bour-
geoisie; sie wollen die Kanonen wegfahren,
die, von Proletariern bedient, die Ehre des
von dem Kaiser und den herrschenden Klassen
feige verrathenen Frankreich gerettet hatten —
das Proletariat widersetzt sich; ein Theil der
Soldaten geht zum Volke über und erschießt
zwei Generale, die zum Brudermord komman-
diren. Das Volk hat gesiegt. Die „siegenden
Geschlagenen" der Junischlacht haben ihre
Revanche. Eine Arbeiterregierung wird er-
richtet, die Wahlen für die Kommune
ausgeschrieben.

Das war der 18. März des sozialistischen
Paris. Der erste Klassen sieg des Prole-

tariats, wie der Junikampf von 1848 die erste
Klassenschlacht des Proletariats gewesen war.
Und der erste Regierungsantritt. Die
Kommune wurde freilich nur die Regierung
von Paris — nicht Frankreichs, mit dem sie,
durch den eisernen Reif der noch um Paris
lagernden deutschen Armee abgesperrt, nicht in
Verbindung treten konnte. Sie hatte nur sich
selbst — der Feind konnte fortwährend frische
Truppen heranziehen. So war das Ende nur
eine Frage der Zeit. Fast drei Monate dauerte
das Kämpfen und Sterben. In der blutigen
Maiwoche senkte sich der Vorhang. Die Kom-
mune war todt und die Republik ge-
rettet.

Wildes Triumphgeschrei der Sieger. Mit
der Kommune war der Sozialismus todt, und
der geschändete Leichnam sollte verscharrt
werden, um dem Antlitz der Menschen für
immer zu entschwinden. Die Bourgeoisie hatte
die Rechnung ohne das Proletariat gemacht.
Begeistert durch das heroische Selbstopfer des
französischen Proletariats reichten sich, über
der gemordeten Kommune, die Proletarier aller
Länder die Hand; die Internationale Arbeiter-
assoziation nahm Fleisch und Blut an, und die
Mahnung des Kommunistischen Manifestes

Proletarier aller Länder vereinigt
Euch!

war erfüllt.

Die Proletarier aller Länder sind vereinigt.

Umsonst trachtet die reaktionäre Bour-
geoisie, durch ihre Bevollmächtigten im Klassen-
staat: die Regierungen mit Polizei, Militär,
Parteijustiz, denSiegesmarsch des sozialistischen
und internationalen Proletariats zum Stehen
zu bringen und die Klassenbewegung der Ar-
beiter zu ersticken. Die Bewegung wird stärker
von Tag zu Tag, und die reaktionäre Bour-
geoisie ist es selbst, die ihr Kräfte zuführt.
Wie hat das Sozialistengesetz uns gekräftigt!
Welch reiche Quelle der Kraft war für uns das
Zuchthausgesetz! Und während wir spielend
über alle Hindernisse hinwegschreiten, ver-
stricken die kapitalistischen Parteien sich immer
mehr in den Maschen ihrer reaktionären Politik.
Beutekrieg nach Innen! Veutekrieg nach
Außen! ist die letzte Losung des Kapitalismus.
Unser Kampf gegen ihn ist ein Kampf für die
Kultur, für die Freiheit, für den Frieden, für
die Verbrüderung der Menschen und Völker!
Und diesem heiligen Krieg ist der 18. März
gewidmet — der Ehrentag der bürgerlichen
Märzrevolution und der Geburtstag der sozia-
listischen Kommune.

Krieg auf Leben und Tod dem inter-
nationalen Kapitalismus! Die Bru-
derhand dem arbeitenden Volke aller
Nationen!

Gewaltig ist der Fortschritt vom 18. März
1848 bis zum 18. März 1871; gewaltig der
Fortschritt vom 18. März 1871 bis heute.

Wir nähern uns dem Ziel.

Vorwärts!
 
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