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Erwartung,
Jank dir, holde Osterzeit
In des jungen Frühlings prangen,
tzast vom Reichstag uns befreit,
Der in Ferien ist gegangen.
Ach, wie dieser Reichstag stört
Frommer Bürger Wohlbehagen,
Ls ist einfach unerhört
Und mit Ruhe kaum zu tragen.
Lrst will dieser Sündenbock
Von der Sittlichkeit nichts wissen»
Venns soll Jacket und Rock,
Auch das Feigenblatt gar missen.
Und als man gesichert schon
Glaubte Tugend, Scham und Sitte
Hob ihr Haupt die Obstruktion
plötzlich in des Reichstags Mitte.
wiederhall im Reichstag fand
Der Protest des Volks, der laute,
Balle st rem erbeben- stand,
Als er die Revolte schaute.
Frege ließ sich nicht mehr sehn,
Denn — so hörte man im Saale
Unverbürgte Sagen gehn —
Lr war- blaß zum ersten Male.
Ist das noch ein Parlament
Rach dem Herzen der Philister,
Das als höchste Pflicht erkennt»
Zu befehden die Minister?
Nein, das ist ein Sündenpfuhl,
Line Brutstatt für Rebellen,
Und man möge nur den Stuhl
Bald ihm vor die Thüre stellen.
Um die starke Flotte wird
Ietzt -er große Ranrpf entbrennen,
Ieden, -er dann opponirt,
wird als Reichsfeind man benennen.
Und holt die Regierung sich
wiederum hier eine Schlappe,
Naht der Ranzler fürchterlich,
In der Hand die rothe Mappe.
Holder Osterfriede ist
Heute bei uns eingekehret,
Line letzte Galgenfrist
ward dem Reichstag noch gewähret,
Daß er von -er Sünde Bahn
Rann zurück, der arme Pracher,
wart', bis dreimal kräht der Hahn,
Ist vollendet wohl der Schacher!
Inhalt der Unterhaltungs-Beilage.
Nix zu handeln? Illustration. — Sprüche. — Der
Jubilar. (Jllustrirt.) — Gedankenbalken. — Allerlei Anzüg-
liches. — Der Silberschatz. — Schicksalstücke. — Die Rache
der Götter. Illustration. — Schnitzel von Arno Holz. —
Der vierrädrige Sarg. Humoreske von Tarub. (Jllustrirt.)
Krieg und Frieden. Illustration. — Lex Heinze. — Inserate.
Der Nuditälsrath.
Wer ist der Herr mit ernstem Gesicht,
Der immer nolirl und wenig spricht?
Das ist der Herr Muditätsrakh!
Er insxhirk gar treu fürwahr,
Ob unfern Seelen droht Gefahr —
O seht den Herrn Nuditälsrath!
Bemerkt er irgend Etwas, das nackt,
So nimmt er schleunig davon Akt —
Ja ja, der Herr Nuditälsrath!
Mit schwarzem Flor bedeckt er dann
Was unserer Unschuld schaden kann —
Das thut der Herr Nuditälsrath!
Auch Manches, was nicht grade nackt,
Beseitigt er in feinem Takt —
Ja ja, der Herr Nuditälsrath!
Er hat das normale Schamgefühl
Und unsre Kettung ist sein Ziel —
Hoch lebe der Nuditälsrath! Jgnotus.
Eva.
So splitternackend stehst du da,
Ganz wie dich Gott geschaffen!
Ja freilich, er fragte keinen Schrempf
Und keinen Zentrumspfaffen.
Berliner Typen.
Schultze: Glaubst Du an einen König von
Gottes Gnaden?
Lehmann: Ja, aber ich glaube nicht an
einen Gott.
Poli;eitechnik.
von vr. Latyricus.
Das geflügelte Wort vom beschränkten Unter-
thancnverstand ist doch nicht so dumm, wie es
aussieht. Wer von uns hätte vor der Prosti-
tutionsrede des Hamburger Senators Or.Burchard
im Reichstag eine Ahnung von der Existenz einer
Polizeitechnik? Wir wußten wohl von der Technik
in den verschiedenen Industrien, in Kunst und
Kunstgemerbe, aber von einer Polizeitechnik wußten
wir nichts. Jetzt erst geht uns ein Licht auf,
weshalb die Wege der Polizei so wunderbar sind.
Ein polizeitechnisch geschärftes Auge sieht eben
die Welt ganz anders als das gewöhnlicher Sterb-
licher. In ihm malen sich die Dinge in ihrer
wahren, nackten, illusionslosen Wirklichkeit.
Die Polizeitechnik ist das „zweite Gesicht" der
Polizei, wogegen wir Anderen beständig an Ein-
bildungen leiden und z. B. höchst ehrbare Häuser,
vielleicht sogar solche, in denen Betstunden ab-
gehalten werden, für Bordelle halten.
Wem iväre es nicht schon ausgefallen, daß
die sonst so scharf- und argusäugige Polizei wider
Verfehlungen von Kapitalisten und Arbeitgebern
gegen Bestiminungen der Arbeiterschutzgesetze nicht
einschreitet? Daß sie Arbeiter voin Streikposten-
stehen wegweist, aber Unternehmer und ihre
Werber duldet? Daß sie von so mancher noblen
Lasterhöhle nichts weiß, deren Vorhandensein die
Spatzen von den Dächern pfeifen? Und dergleichen
noch allerlei.
Jetzt löst sich das Räthsel in ungetrübter Klar-
heit : Alles was die Polizei ungeschoren läßt, das
existirt polizeitechnisch gar nicht, nur dem be-
schränkten Unterthanenverstand scheint es zu
existiren.
Der Philosoph Cartestus bezweifelte bekannt-
lich, ob wir überhaupt existiren, und wies auf
chirurgische Spitäler hin, wo mancher an einem
Gliede Schmerzen zu empfinden glaubt, das ihm
längst abgenommen ward. Nunmehr wissen wir
aber, daß in der That Vieles in der Welt zu
existiren scheint, was nur eine Einbildung des
beschränkten Unterthanenverstandes ist. Die Polizei-
technik aber ist die höhere Philosophie, die der
Dinge Wesenheit ergründet. Und ebenso wie sie
nicht sieht, was wir sehen, so sieht sie auch oft,
was mir nicht sehen, z. B. Umsturzgefahr, Ver-
stöße gegen Gesetz und Sitte, groben Unfug und
dergleichen.
Manche ehrbare Frau ist schon von Organen
der Polizei auf die Wache geschleppt und nicht
selten mißhandelt worden, so daß der Ruf: „Schutz
vor Schutzleuten!" mehr Berechtigung hatte, als
der Ruf: „Schutz vor Räubern und Mördern."
Das Wort Polizeitechnik erklärt Alles. Plötzlich
enthüllen sich Dinge und Vorgänge, die sonst
dem beschränkten Unterthanenverstand glücklich
verborgen geblieben wären.
Ein Brief Beinzes.
An das Reichstags-Präsidium ist folgende
Zuschrift gelangt:
Berlin, Zuchthaus im Frühjahr 1900.
Veroerte Herren! Ick habe mit jeschmeichelter
Verwunderung jelesen, det Sie 's mit ineiner so-
jenannten lwx et jar so eilig haben, un det Sie
fuchdig sind, weil die Herren Obstrukteure nich
leiden, daß Sie den Kitt haste was kannste fertig
machen. Da muß ick doch zur Beruhigung
melden, det ick noch janze 7'/- Jährchen spinnen
muß und nachher wenigstens een halbet Jahr
Erholung brauche, ehe ick mir wieder durch Kunst-
werke und Theaterstücker zum Nachtwächtermord
uffreizen lassen kann.
Sie haben also noch jut und fern acht Jahre
Zeit, die Sache zu befummeln und können ruhig
erst andere Arbeet verrichten.
Uebrijens, der Wahrheit die Ehre: det Freilein
Venus, die an Allen Schuld sein soll, kenn' ick
jar nich, und weeß nich, wo det Aas wohnt:
ooch det Freilein Leda, uff die die Herren von's
Zentrum immer rumreiten, is mir jänzlich un-
bekannt. Mit Gruß Ihr
Heinze,
Nachtwächtermörder.
Unsere nächste Nunrnrer erscheint als Mai-Numrner. Etwaige LNehrbestellungen bitten wir bald aufzugeben.
Erwartung,
Jank dir, holde Osterzeit
In des jungen Frühlings prangen,
tzast vom Reichstag uns befreit,
Der in Ferien ist gegangen.
Ach, wie dieser Reichstag stört
Frommer Bürger Wohlbehagen,
Ls ist einfach unerhört
Und mit Ruhe kaum zu tragen.
Lrst will dieser Sündenbock
Von der Sittlichkeit nichts wissen»
Venns soll Jacket und Rock,
Auch das Feigenblatt gar missen.
Und als man gesichert schon
Glaubte Tugend, Scham und Sitte
Hob ihr Haupt die Obstruktion
plötzlich in des Reichstags Mitte.
wiederhall im Reichstag fand
Der Protest des Volks, der laute,
Balle st rem erbeben- stand,
Als er die Revolte schaute.
Frege ließ sich nicht mehr sehn,
Denn — so hörte man im Saale
Unverbürgte Sagen gehn —
Lr war- blaß zum ersten Male.
Ist das noch ein Parlament
Rach dem Herzen der Philister,
Das als höchste Pflicht erkennt»
Zu befehden die Minister?
Nein, das ist ein Sündenpfuhl,
Line Brutstatt für Rebellen,
Und man möge nur den Stuhl
Bald ihm vor die Thüre stellen.
Um die starke Flotte wird
Ietzt -er große Ranrpf entbrennen,
Ieden, -er dann opponirt,
wird als Reichsfeind man benennen.
Und holt die Regierung sich
wiederum hier eine Schlappe,
Naht der Ranzler fürchterlich,
In der Hand die rothe Mappe.
Holder Osterfriede ist
Heute bei uns eingekehret,
Line letzte Galgenfrist
ward dem Reichstag noch gewähret,
Daß er von -er Sünde Bahn
Rann zurück, der arme Pracher,
wart', bis dreimal kräht der Hahn,
Ist vollendet wohl der Schacher!
Inhalt der Unterhaltungs-Beilage.
Nix zu handeln? Illustration. — Sprüche. — Der
Jubilar. (Jllustrirt.) — Gedankenbalken. — Allerlei Anzüg-
liches. — Der Silberschatz. — Schicksalstücke. — Die Rache
der Götter. Illustration. — Schnitzel von Arno Holz. —
Der vierrädrige Sarg. Humoreske von Tarub. (Jllustrirt.)
Krieg und Frieden. Illustration. — Lex Heinze. — Inserate.
Der Nuditälsrath.
Wer ist der Herr mit ernstem Gesicht,
Der immer nolirl und wenig spricht?
Das ist der Herr Muditätsrakh!
Er insxhirk gar treu fürwahr,
Ob unfern Seelen droht Gefahr —
O seht den Herrn Nuditälsrath!
Bemerkt er irgend Etwas, das nackt,
So nimmt er schleunig davon Akt —
Ja ja, der Herr Nuditälsrath!
Mit schwarzem Flor bedeckt er dann
Was unserer Unschuld schaden kann —
Das thut der Herr Nuditälsrath!
Auch Manches, was nicht grade nackt,
Beseitigt er in feinem Takt —
Ja ja, der Herr Nuditälsrath!
Er hat das normale Schamgefühl
Und unsre Kettung ist sein Ziel —
Hoch lebe der Nuditälsrath! Jgnotus.
Eva.
So splitternackend stehst du da,
Ganz wie dich Gott geschaffen!
Ja freilich, er fragte keinen Schrempf
Und keinen Zentrumspfaffen.
Berliner Typen.
Schultze: Glaubst Du an einen König von
Gottes Gnaden?
Lehmann: Ja, aber ich glaube nicht an
einen Gott.
Poli;eitechnik.
von vr. Latyricus.
Das geflügelte Wort vom beschränkten Unter-
thancnverstand ist doch nicht so dumm, wie es
aussieht. Wer von uns hätte vor der Prosti-
tutionsrede des Hamburger Senators Or.Burchard
im Reichstag eine Ahnung von der Existenz einer
Polizeitechnik? Wir wußten wohl von der Technik
in den verschiedenen Industrien, in Kunst und
Kunstgemerbe, aber von einer Polizeitechnik wußten
wir nichts. Jetzt erst geht uns ein Licht auf,
weshalb die Wege der Polizei so wunderbar sind.
Ein polizeitechnisch geschärftes Auge sieht eben
die Welt ganz anders als das gewöhnlicher Sterb-
licher. In ihm malen sich die Dinge in ihrer
wahren, nackten, illusionslosen Wirklichkeit.
Die Polizeitechnik ist das „zweite Gesicht" der
Polizei, wogegen wir Anderen beständig an Ein-
bildungen leiden und z. B. höchst ehrbare Häuser,
vielleicht sogar solche, in denen Betstunden ab-
gehalten werden, für Bordelle halten.
Wem iväre es nicht schon ausgefallen, daß
die sonst so scharf- und argusäugige Polizei wider
Verfehlungen von Kapitalisten und Arbeitgebern
gegen Bestiminungen der Arbeiterschutzgesetze nicht
einschreitet? Daß sie Arbeiter voin Streikposten-
stehen wegweist, aber Unternehmer und ihre
Werber duldet? Daß sie von so mancher noblen
Lasterhöhle nichts weiß, deren Vorhandensein die
Spatzen von den Dächern pfeifen? Und dergleichen
noch allerlei.
Jetzt löst sich das Räthsel in ungetrübter Klar-
heit : Alles was die Polizei ungeschoren läßt, das
existirt polizeitechnisch gar nicht, nur dem be-
schränkten Unterthanenverstand scheint es zu
existiren.
Der Philosoph Cartestus bezweifelte bekannt-
lich, ob wir überhaupt existiren, und wies auf
chirurgische Spitäler hin, wo mancher an einem
Gliede Schmerzen zu empfinden glaubt, das ihm
längst abgenommen ward. Nunmehr wissen wir
aber, daß in der That Vieles in der Welt zu
existiren scheint, was nur eine Einbildung des
beschränkten Unterthanenverstandes ist. Die Polizei-
technik aber ist die höhere Philosophie, die der
Dinge Wesenheit ergründet. Und ebenso wie sie
nicht sieht, was wir sehen, so sieht sie auch oft,
was mir nicht sehen, z. B. Umsturzgefahr, Ver-
stöße gegen Gesetz und Sitte, groben Unfug und
dergleichen.
Manche ehrbare Frau ist schon von Organen
der Polizei auf die Wache geschleppt und nicht
selten mißhandelt worden, so daß der Ruf: „Schutz
vor Schutzleuten!" mehr Berechtigung hatte, als
der Ruf: „Schutz vor Räubern und Mördern."
Das Wort Polizeitechnik erklärt Alles. Plötzlich
enthüllen sich Dinge und Vorgänge, die sonst
dem beschränkten Unterthanenverstand glücklich
verborgen geblieben wären.
Ein Brief Beinzes.
An das Reichstags-Präsidium ist folgende
Zuschrift gelangt:
Berlin, Zuchthaus im Frühjahr 1900.
Veroerte Herren! Ick habe mit jeschmeichelter
Verwunderung jelesen, det Sie 's mit ineiner so-
jenannten lwx et jar so eilig haben, un det Sie
fuchdig sind, weil die Herren Obstrukteure nich
leiden, daß Sie den Kitt haste was kannste fertig
machen. Da muß ick doch zur Beruhigung
melden, det ick noch janze 7'/- Jährchen spinnen
muß und nachher wenigstens een halbet Jahr
Erholung brauche, ehe ick mir wieder durch Kunst-
werke und Theaterstücker zum Nachtwächtermord
uffreizen lassen kann.
Sie haben also noch jut und fern acht Jahre
Zeit, die Sache zu befummeln und können ruhig
erst andere Arbeet verrichten.
Uebrijens, der Wahrheit die Ehre: det Freilein
Venus, die an Allen Schuld sein soll, kenn' ick
jar nich, und weeß nich, wo det Aas wohnt:
ooch det Freilein Leda, uff die die Herren von's
Zentrum immer rumreiten, is mir jänzlich un-
bekannt. Mit Gruß Ihr
Heinze,
Nachtwächtermörder.
Unsere nächste Nunrnrer erscheint als Mai-Numrner. Etwaige LNehrbestellungen bitten wir bald aufzugeben.