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Der wahre Jakob: illustrierte Zeitschrift für Satire, Humor und Unterhaltung — 17.1900

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https://doi.org/10.11588/diglit.8185#0092
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Die TeufelsßriÜ'e.

Skizze von L. St.

Es war einmal in deutschen Landen ein
frommer Mann; der hatte durch Beten und
Fasten alle Sinnlichkeit in sich crtödtet und
verineinte deshalb, ganz Seele zu sein. Viele
Jahre der Buße und Kasteiung hatte er dazu
gebraucht, um den bösen Satan unterznkriegen
und den bunten Trug der Welt unter seine
Füße zu stampfen. Aber jetzt war er ruhig
und zufrieden und fühlte sich so sicher vor aller
Anfechtung, daß er oft bedauerte, daß keine
Versuchung mehr an ihn herantreten konnte.
Der fromme Mann seufzte. Wie er aber
seufzte, stand mit einem Male ein feiner Herr
neben ihm mit Zylinder und Glacehandschuhen
und einem großen pappdeckelnen Kasten unter
dem linken Arm. „Brillen jefällig?" schnarrte
der Fremde im reinsten Berlinerisch. Der
fromme Mann blickte den Hausirer, der so
urplötzlich aus dem Boden geschossen war,
kopfschüttelnd an. Weil er aber wirklich nicht
mehr gut sah, wählte er sich eine Nickelbrille
mit großen runden Gläsern und zwei soliden
Ohrhaltern aus. „Was kostet die?" fragte er
leichthin, während er sie auf die Nase setzte,
um die Schärfe der Gläser zu prüfen. „Zehn
Jahre Fegefeuer pränumerando", war die selt-
same Antwort. Und wie der fromme Mann
sich nach dem Fremden umwandte, war der
mitsammt seinem Kasten verschwunden. An
der Stelle aber, wo er gestanden hatte, stieg
ein Wölkchen Rauch aus der Erde und das
roch stark nach Pech und Schwefel.

Entsetzt wollte der fromme Mann, dem
nichts Gutes ahnte, die Brille wieder von der
Nase reißen, aber o weh! sie war festgewachsen
und ließ sich mit aller Gewalt nicht von der
Stelle rücken. Er wollte auf die Kuiee fallen,
aber siehe da, er fiel auf den Hintern; er ivollte
ein Vaterunser beten, statt dessen brüllte er
das Lied vom Wirthshaus an der Lahn. Er
fiel endlich in eine wohlthätige Ohnmacht. Als
er wieder zur Besinnung kam und sich ver-
gegenwärtigte, was ihm Böses widerfahren fei,
schaute er wie hilfesuchend um sich. Aber was
war das? Aeffte ihn ein Traum oder ein
Blendwerk der Hölle? Was trug die Amme,
die dort nach der Kirche ging, auf dem Kissen?
Doch gewiß ein Neugeborenes, das getauft
werden sollte? Er aber sah statt des kleinen
Steckkissens ein großes Himmelbett und drin
statt des unschuldigen Kleinen ein herrliches
Weib im Spitzenhemd — oh, oh, oh!

Der fromme Mann kniff beide Augen zu-
sammen und rannte wie besessen zum Stadt-
thor hinaus. Als er auf freiem Felde war,
athmete er tief auf. Hier ist Ruhe und Friede»,
hier wird auch ihm Erlösung werden. Und
gläubig, wenn auch etwas zaghaft, wagt er es,
die geschloffenen Lider zu öffnen. Aber o
Schrecken! Was wankt dort im.Zickzack über
die braunen Schollen hin? Ein Säemann,

nichts weiter. Mit breiten Schritten geht er
der Furche nach und wirft mit der Rechten
in weitem Bogen die Samenkörner über die
fruchtbare Erde, die ihm im feuchten Herbst-
schauersehnsüchtig entgegendampft. Der fromme
Mann sieht's und verhüllt wimmernd das
Haupt! Er kann die fliegenden Samenkörner
nicht sehen, ohne an tausend unanständige
Dinge zu denken — Oh, wie's ihn wieder
schüttelt und rüttelt! — Wenn es nur keinen
Samen auf Erden gäbe. Wozu das ewige
Zeugen und Gebären in der Natur?

Mit einem jähen Ruck wendet sich der fromme
Mann nach der andern Seite. Da nickt ihm
ein schwerbeladener Apfelbaum entgegen. Ver-
führerisch blinzeln ihn die rothbackigen Aepfel
an — gerade wie der verhängnißvolle Apfel
im Paradiese! Da haben wir's! Stehen dort
nicht Adam und Eva unter dem Apfelbaum,
beide splitternackt, und grinsen dazu so frech,
als thäten sie sich noch etwas zu Gute dar-
auf, daß sie dem Schneider nichts zu verdienen
geben?

Der fromme Mann schwitzt wie die drei
Männer im feurigen Ofen und wirft sich
stöhnend auf den Rücken, um nichts mehr zu
sehen, was an diese sündige Erde erinnert.
Himmelan, nur himmelan schweift sein Blick,
hinauf ins unendliche Blaue, wo Gott selber
thront! Aber was ist das? Ist er verrückt
geworden? So wunderlich ist ihm das Himmels-
gewölbe noch gar nicht vorgekommen — und
daran die große glänzeude Sonne — so mollig
weich, so rundlich, so wie eine Fleischkugel ■—

so einladend zum Draufpatsche» — so wie-

Ha! Ha! Ha! So muß dem heiligen Antonius
in der Wüste zu Muthe gewesen sein. Entsetz-
lich! Gräßlich! Selbst der Himmel ist besudelt!

Der fromme Man» wankt stöhnend nach
Hause und setzt sich an den Schreibtisch. Er
ist mit Gott und den Menschen zerfallen; er
zürnt der Sonne, die selbst gemein, auch noch
den Gemeinheiten dieser Erde leuchtet, und der
Erde, daß sie das ewige Zeugen und Gebären
duldet. Aber noch mehr als ihr zürnt er den
Menschen, daß sie all' die Gemeinheiten, die sie
umgaukeln, abbilden und besingen, als wären
es hohe und erhabene Dinge und göttliche Ge-
heimnisse. Und er nimmt die Feder und schreibt
auf einen großen Bogen folgende seltsamen
Worte:

8 184».

Mit Gcsängniß bis zu sechs Monaten
oder mit Geldstrafe bis zn sechshundert
Mark wird bestraft, wer Schriften, Ab-
bildnngen oder Darstellungen, welche, ohne
unzüchtig zn sein, das Schamgefühl gröblich
verletzen, einer Person unter achtzehn Jahren
gegen Entgelt überläßt oder anbietet oder
zu geschäftlichen Zwecken oder in der Ab-
sicht das Schamgefühl zn verletzen an öffent-
lichen Straßen, Plätzen oder anderen Orte»,
die dem öffentlichen Verkehr dienen, in
Aergerniß erregender Weise ansstellt oder
anschlägt.

Wen's trifft.

„Jenny!"

„Ach Gott, Fritz, ich habe solche Angst."

„Du kannst mir's aber doch ganz gut geben.
Heute Abend hast Du's wieder. Ihr macht
doch erst Abends Kasse."

„Wenn aber Herr Cohn mal eher fort will,
muß ich um fünf Uhr abrechnen."

„Ach wenn, wenn, wenn! Er wird nicht!
Und heute Nachmittag habe ich Revision, hörst
Du? Revision! Achthundert Mark Defizit,
zwei Jahre Gefängniß. Jenny, gieb mir das
Geld, Du kannst's. Rette mich, bring' mich nicht
ins Unglück, ich geb' Dir's ja um halb Sieben
wieder!"

„Wenn aber was dazwischen kommt? Ach
mein guter Fritz, ich habe solche Angst!"

„Angst! Weßwegen den» nur? Um sechs
Uhr ist die Revision bei mir fertig, halb Sieben
hast Du das. Geld wieder, dann legst Du's in
die Kasse und alles ist im Lothe!"

Sie gab's ihm. Er war gerettet.

Herr Cohn wollte aber leider den Abend
ins Theater und rechnete um fünf Uhr ab. Er
holte die Polizei. Fräulein Jenny wartete nicht
darauf, sondern stürzte sich zwei Stock hoch
herunter auf die Straße. —

Fritz ist jetzt glücklich verheirathet und sieht
seiner Beförderung entgegen. ic. v.

Ein Normalmrnlch,

dessen Schamgefühl von Dingen, die gar nicht unzüchtig sind,
gröblich verletzt wird.

(Nach lex Heinze.)
 
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