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Der wahre Jakob: illustrierte Zeitschrift für Satire, Humor und Unterhaltung — 17.1900

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https://doi.org/10.11588/diglit.8185#0093
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3236

Der Centrumsbobrer

Reicbstagsabgeordneter Hliiller- Julda mutbet unentwegt nach neuen
Steuern, um die Deckung für die Jlottenvorlage zu finden.

Lar! Gerte! f

Wiederum hat der Tod einen tapferen Mitstreiter
aus unseren Reihen gerissen. Larl Gertel, einer unserer
jüngsten Vertreter im Reichstage, wurde am 4- April
in der Heilanstalt Herzogshöhe bei Bayreuth vom
Herzschlag getroffen.

Larl Gerte! war geboren am 29. Januar
1866, als der Lohn des Raufmanns Gertel
in Dorchheim. Im Llternhause genoß unser
Parteigenosse eine vortreffliche Erziehung,
die durch den Besuch der Lateinschule in
Fürth und des Gombrichschen Lehr- und
Handelsinstituts in Nürnberg in wirk-
samster weise gefördert wurde.

Rach Absolvirung der Schule wid-
mete sich Gertel dem Rausmannsstande,
war als Rommis im Geschäfte des Vaters
thätig und nahm in dieser Eigenschaft
1883 Stellung bei der Firma wörlein und
Lomp. in Nürnberg. Unter dem Einfluß
Grillenbergers studirte Genosse Gertel mit
großem Eifer die sozialistische Literatur und
betrat frühzeitig die politische Laufbahn.

Grilllenberger selbst bestimmte ihn zu seinem
Nachfolger; man nannte Gertel daher scherz-
haft „Rronprinz".

Nach dem Tode des Genossen Grillen-
berger wurde Gertel bei der Ersatzwahl im Jahre
1,897 zum ersten Male in den Reichstag gewählt.

Bei der Reichstagswahl im Jahre 1898 vereinigten
Nürnbergs sozialdemokratisch gesinnte Wähler wieder-
um ihre Stimmen auf den Genossen Gertel und bei der
jüngsten Landtagswahl wurde ihm ein Mandat für die
bayerische Abgeordnetenkammer übertragen.

Genosse Gertel genoß in der Partei großes Ansehen und
vertrauen, er wurde im Jahre 1893 auch in die Parteileitung gewählt und bekleidete die Stelle
eines Parteirevisors bis zum letzen Parteikongreß.

Leine umfassende Bildung, verbunden mit Geschick und Fleiß, kamen unserem Genossen bei seiner
parlamentarischen Ausgabe sehr vortheilhaft zu statten und berechtigten zu den besten Hoffnungen.

Ls kam anders. Schon seit Jahren klagte Genosse Gertel über nervöse Störungen, die sich
in den letzten Monaten in heftigen Erregungen äußerten und trotz vielfach versuchter Abhilfe fort-
gesetzt steigerten. Als Genosse Gertel im Monat Ianuar einen Nervenarzt konsultirte, konstatirte
derselbe Neurasthenie, die sich so rasch entwickelte, daß am 18. März die Ueberführung unseres
Freundes in die Heilanstalt tzerzogshöhe bei Bayreuth verordnet werden mußte, woselbst ihm am
4. April der Tod ereilte.

An der Bahre unseres verstorbenen Parteigenossen trauert hoffnungslos eine liebe Gattin,
die in dreizehnjähriger Ehe Leid und Freud mit dem Gemahl getheilt hat; vier unversorgte Rinder
haben den Vater verloren.

Die Sozialdemokratie in Nürnberg hat einen Verlust erlitten, der schwer zu ersetzen ist. Die
sozialdemokratische Fraktionen im bayerischen Landtage und im Reichstage vermissen einen geschätzten
Rollegen und eifrigen Mitarbeiter.

Im schönsten Nannesalter hat unseren Freund der Tod ereilt; die deutsche Sozialdemokratie
zählt unseren Genossen Gerte! zu ihren treuesten Mitstreitern, wir werden ihm ein liebevolles An-
denken bewahren.

Verantwortlich für die Redaktion Georg Vaßler in Stuttgart. — Verlag und Druck von I. H. W. Dietz Nachf. (G. m. b. H.) in Stuttgart, Furthbachstraße 13.
 
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