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Der wahre Jakob: illustrierte Zeitschrift für Satire, Humor und Unterhaltung — 17.1900

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https://doi.org/10.11588/diglit.8185#0117
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*3Cfoftrirte

UirterhaLtARgS'VeMar

-es wahren Jacob

^ ^ Lin wohlthätigkeits-Konzert. ^ *

Der Geranieiyweig.

von Ilse zrapan.

Der Giuseppe Fnmasoli war gestorben. Sein
Erschüft hatte ihn nicht ernährt. Es ist kein
lohnendes Geschäft, aus alten Stiefeln neue
SN machen! Sie werden nicht neu, trotz aller
-stütze, und der Käufer, der Trödler, der
stoben der Synagoge wohnt, schwört bei jedem
Paar, das der Flickschuster ihm bringt, es
werde fern eit Abnehmer finden, lind bei

ledem Paar zahlt er wieder ein paar Centesimi
weniger.

@o kam es, daß Ginseppe Fnmasoli trotz
täglicher sechzehnstündiger Arbeit verhungerte.

fiel eines Tages ganz langsam von seinem
"einen Hocker herunter, nachdem er vorher
nur ein paarmal I,m° und hergeschwankt hatte,
als ob er betrunken sei.

Seine alte Mutter, die mit ihm in dem-
selben lustlosen, lichtlosen, halb kellerartigen
ivch wohnte, kam mit ihrem Sack voll alter
«nefel auf dem krummen Rücken ahnungslos
7°m und fand ihn da liegen zwischen den
avgeschncktenen Schäften, löcherigen Sohlen,
Machen den vertretenen Holzabsätzen, den
f UU^ t>em Handwerkszeug auf dem

schmutzigen gestampften Boden.

Er war schon todt und kalt.

Dm Mutter Fnmasoli warf ihren Sack von
der Schulter und sich selbst neben den todten
Sohn zwischen die Lederabfälle in den Schmutz.

Leilage zum ,N)ahren Jacob" Nr. 362 u, 1900.

Die Mutter Pompanini, in der Nachbarthür,
hatte den wilden Schreckensschrei gehört und
guckte herein. Da lag der wachsgelbe abge-
zehrte Kopf Giuseppes mit dem spitzen Kinn,
auf dem ein dünnes schwarzes Bärtchen stand,
leblos im Schoße seiner Mutter, und die
Miltter Fnmasoli hatte ihr schmerzversteintes
Gesicht mit dem losen rothen Kopftuch über
ihn gebeugt und gab keinen Laut von sich.

Sie saß noch so, als Mutter Pompanini
unter großem Geschrei das ganze Gäßchen zn-
sammengerufen und irgendwie auch einen Arzt
herbeigeschrieen hatte.

Der Arzt war ein ästhetisch gebildeter Herr,
und als er die Gruppe ani Boden sah,
frappirte ihn in der Haltung der Beiden der
ewig alte Vorivurf der Mutter mit dem
todten Christus. Und er dachte an seinen
Freund, den Maler „Symbolizetti", dem die-
ses Modell einer modernen „Pietä" leider
entging. Sonst gab es für ihn hier eigentlich
nichts mehr zu thun. Schnell untersuchte er
den lang hingestreckten Todten und bestätigte,
daß er todt sei. Todesursache: „ungenügende
Ernährung". Dann machte er sich eiligst aus
dem Staube, da er, vielleicht nicht mit Un-
recht, vermuthete, daß man ihn hier im Quar-
tier der Aermsten und Elendesten anbetteln
könne.

Der an chronischer Berhungerung gestorbene
Giuseppe wurde schon am nächsten Tage
begraben. Mutter Fnmasoli begriff davon
sehr wenig. Ohne die Pompanini wäre

der Giuseppe wohl gar ungewaschen in den
flachen Sarg gelegt worden, die gekrümm-
ten Finger schwarz vom Schnsterpech, und
in dem zerrissenen graukarrirten ArbeitS-
hemd.

Die Mutter Fnmasoli wusch ihren todten
Sohn nur mit ihre» Thränen und betrachtete
ihn unablässig, ohne eine Hand zur Hilfe zu
regen. Als der Armensarg über ihrem Gin-
seppe geschlossen ward, da traf jeder Hammer-
schlag sie ins zuckende Herz, und der ästhetisch
gebildete Arzt, wenn er sich noch einmal in
diese Höhle des Jammers getraut, hätte sie
wohl wieder vergleichen können mit der schmer-
zensreichen Madonna, in deren Brust sich sieben
Schwerter bohren.

Sieben Schwerter! Ja, warum nur sieben?

Da ist das Leid um den Sohn, daß er ge-
storben ist. Da ist das Weh, daß er so jung
gestorben ist. Da ist die tödtliche Angst um
den morgigen Tag. Da ist die Sehnsucht nach
dem Todten, der all ihre Sorgen theilte. Da
ist die Verzweiflung, daß er so allein sterben
mußte. Da ist das Herzeleid, daß ihn die
Entbehrung getödtet hat. Da ist das quälende
Verlangen, ihn noch einmal sprechen zu hören.
Da ist die schwarze Stelle, wo er todt am
Boden lag. Da ist der fressende Gram der
Vereinsamung. Da ist-

Sieben Schwerter? Ja, warum nur sieben?

Der Giuseppe wurde also begraben. In
einem Massengrab, denn er hatte ja auch
bei Lebzeiten zu der unterschiedslosen dunklen
 
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