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Masse gehört. Der Platz auf dem Friedhof
sah aus wie ein neubestellter sandiger Acker,
auf dem eine dichte Menge kleiner Holzkreuze
wuchsen, regellos verstreut, gedrängt an einigen
Stellen, weitläufiger gestellt an den andern.
Zur Rechten dehnte sich eine noch größere
kahle Wüste, wo die schwarzen Kreuzchen,
ganz kleine Kreuze mit weißen Nummern, sich
noch dichter hintereinander drängten. Das
war der Platz der Kinder jener Namenlosen.
Aber nach links — oh nach links war es
anders. Dort grünten Kränze und blühten
Topfpflanzen hinter zierlichen schwarzen und
goldenen Gittern, vor Marmortafeln mit golde-
nen Inschriften, vor bunten Porphprsäulen
mit den weißen Reliefbildern der Verstorbenen,
vor blinkenden Statuen mit verhüllten Ge-
sichtern und gerungenen Händen.
So ehrte man Diejenigen, denen es im Leben
gut und behaglich ergangen, und die sich des-
halb, weil es ihnen so gut und behaglich er-
gangen, als Ausnahmen emporhoben und nicht
verwechselt werden durften mit der dunklen
unterschiedslosen großen Masse, selbst nicht
im Tode!
Ein breiter Fußsteig trennte das Villen-
viertel des Kirchhofs von dem Armenviertel.
Mutter Fumasoli wußte von allen diesen
Dingen nichts. Sie wußte überhaupt sehr
wenig. Sie war ein armgeborenes und arm-
gebliebenes, unwissendes altes Weib. War
einmal ein Gedanke in ihrem Kopfe gewesen,
so hatte die Noth und das Elend ihn längst
vertrieben. Sie verglich nicht, sie überlegte
nicht.
Sie sah nur.
Sah mit ihren halb ausgeweinten Angen
auf das sandige Loch im gelben Boden, in
das sie ihren Giuseppe gelegt hatten, und das
eben jetzt der Todtengräber verdrossen und eilig
zuschaufelte. Und wenn der Todtengräber bei
seiner Arbeit zwischen sie und das Grab trat,
dann sah sie seitwärts, links, die brennend
roten Geranien, die blassen Rosen und die
grünen Palmwedel auf den Gräbern des
Villenviertels.
Endlich hatte der Todtengräber die Arbeit
gethan. Der Mann glättete ein wenig die
gröbsten Unebenheiten des Grabes, spuckte aus,
schulterte den Spaten und ging.
Mutter Fumasoli richtete sich schwerfällig
auf, schlug das Kreuz und verbeugte sich vor
dem bluttriefenden Christus, der mitten auf
dem Fußsteig an dem Marterholz hing, nahm
Weihwasser und sprengte es mit zitternden
srostblauen Fingern auf das frische Grab.
Dann schlich sie' zögernd nach der linken Seite
an ein besonders reich und bunt mit Topf-
blumen geschmücktes Grab, griff über das
niedere Gitter und brach von einem Geranium-
stock einen Zweig mit Blüthen, roth wie frisches
Blut. Den Zweig gegen das blutende Herz
gepreßt, kam sie zu dem Grabe ihres Giuseppe,
warf sich nieder, und steckte zärtlich und be-
hutsam den blühenden Zweig in den lockeren
Boden, die einzige Blüthe hier auf dem großen
kreuzebesteckten Massenacker.
Das heißt, — sie wollte das Zweiglein in
das schon mit dem Finger gebohrte Loch
stecken, als der Friedhofgärtner sie ertappte.
Vom Ende des Fußsteigs hatte er den Raub
gesehen und war mit langen Schritten herbei-
geeilt. Sein Gesicht war zorngeröthet, seine
Geberde wild.
Das wäre eine schöne Weltordnung, wenn
Jeder kommen könnte und die Gräber des
Villenviertels berauben, von deren Pflege er
sein Brot aß!
„Was hast Du gestohlen, alte Hexe?" schrie
er der zitternden Diebin entgegen, „das Grab
des Herrn Unterpräfekten hast Du gewagt zu
berauben! Ich Hab' es wohl gesehen! Aber
schlecht wird es Dir bekommen."
Und er stellt die Blumentöpfe, die er trägt,
hastig auf den Boden, und wie ein guter
scharfer Wachthund packt er mit der einen
Hand das Zweiglein blühenden Geraniums,
mit der andern den dürren Arm der Mutter
Fumasoli und schleppt die ihr Verbrechen
kaum Begreifende, vor Schrecken und vor
Scham fast Sinnlose zum Friedhofsthor hin-
aus, hinaus auf die menschenvolle Straße,
hinüber zu der Polizeiwache, die wie eine
Fallgrube am Wege lauert.
„Gestohlen? Nun also! Paragraph so und
so des Strafgesetzbuchs kommt hier in An-
wendung, und fertig. Nichts einfacher als
das." Mutter Fumasoli ward wegen Berau-
bung eines Grabes zu acht Tagen Gefängniß
verurtheilt.
Das elegante Mailand, das schöne itali-
enische Paris, ist ganz in froher Aufregung.
Es feiert den Frühling mit einem Blumen-
korso. Die Spiegelscheiben der Auslagen
glitzern noch einmal so blank, aus den Fen-
stern sind bunte Teppiche gehängt, Fahnen
und Fähnchen, Stangen mit Fichtengrün um-
wunden, an denen farbige Bänder flattern.
Quer über die breiten Straßen ziehen sich
Guirlanden mit Inschriften, mit Versen, mit
bunten schaukelnden Ballons. Der ganze Weg,
den der prächtige, duftende Zug nehmen wird,
ist dekorirt, bis zu den öffentlichen Gärten,
wo man seit Tagen schon grast, hackt, säubert,
um die Spuren des Winters zu vertilgen.
Blendend flimmert die scharfe Märzsonne
auf dem weißen Marmordom, schneidend
pfeift die Bise durch den Korso Garibaldi
herunter von den Bergen, — Frühling soll
sein!
Wie sie sich drängen auf den Plätzen und
Straßen, wie die Hahnenfedern der Bersa-
glieri, die beordert sind, die Straßenmitte frei
zu halten, um die Wette flattern mit den
weißen Schleiern und schwarzen Mantillen
der Frauen, — Frühling ist da! Es soll
Frühling sein.
Evviva, der Herold!
Evviva, der Sonnenstrahl als Herold!
Irgend ein junger schöner Mann in gold-
glänzender Seide sprengt heran. Er eröffnet
den Zug. Sein Rappe trägt vergoldete Zäume,
vergoldete Hufe, sogar die Mähne ist mit
Goldstaub bestreut. Ein kurzer Strahlenman-
tel umfliegt des Herolds Schultern, ein langes
schmales goldgelbes Seidenfähnlein schwenkt
er ohn' Unterlaß. Und sein schönes schwarz-
äugiges Gesicht lächelt so stolz und siegreich
nach allen Seiten, als wär' er wirklich der
Sonnengott.
Und hinter ihm quillt und schwillt es von
blumenüberschütteten, in Blumen gehüllten ele-
ganten Wagen.
Eine wahre Blumenorgie, eine Blumenfluth,
eine duftende, quellende, blühende Vergeudung
des übermüthigen Reichthnms!
Masse gehört. Der Platz auf dem Friedhof
sah aus wie ein neubestellter sandiger Acker,
auf dem eine dichte Menge kleiner Holzkreuze
wuchsen, regellos verstreut, gedrängt an einigen
Stellen, weitläufiger gestellt an den andern.
Zur Rechten dehnte sich eine noch größere
kahle Wüste, wo die schwarzen Kreuzchen,
ganz kleine Kreuze mit weißen Nummern, sich
noch dichter hintereinander drängten. Das
war der Platz der Kinder jener Namenlosen.
Aber nach links — oh nach links war es
anders. Dort grünten Kränze und blühten
Topfpflanzen hinter zierlichen schwarzen und
goldenen Gittern, vor Marmortafeln mit golde-
nen Inschriften, vor bunten Porphprsäulen
mit den weißen Reliefbildern der Verstorbenen,
vor blinkenden Statuen mit verhüllten Ge-
sichtern und gerungenen Händen.
So ehrte man Diejenigen, denen es im Leben
gut und behaglich ergangen, und die sich des-
halb, weil es ihnen so gut und behaglich er-
gangen, als Ausnahmen emporhoben und nicht
verwechselt werden durften mit der dunklen
unterschiedslosen großen Masse, selbst nicht
im Tode!
Ein breiter Fußsteig trennte das Villen-
viertel des Kirchhofs von dem Armenviertel.
Mutter Fumasoli wußte von allen diesen
Dingen nichts. Sie wußte überhaupt sehr
wenig. Sie war ein armgeborenes und arm-
gebliebenes, unwissendes altes Weib. War
einmal ein Gedanke in ihrem Kopfe gewesen,
so hatte die Noth und das Elend ihn längst
vertrieben. Sie verglich nicht, sie überlegte
nicht.
Sie sah nur.
Sah mit ihren halb ausgeweinten Angen
auf das sandige Loch im gelben Boden, in
das sie ihren Giuseppe gelegt hatten, und das
eben jetzt der Todtengräber verdrossen und eilig
zuschaufelte. Und wenn der Todtengräber bei
seiner Arbeit zwischen sie und das Grab trat,
dann sah sie seitwärts, links, die brennend
roten Geranien, die blassen Rosen und die
grünen Palmwedel auf den Gräbern des
Villenviertels.
Endlich hatte der Todtengräber die Arbeit
gethan. Der Mann glättete ein wenig die
gröbsten Unebenheiten des Grabes, spuckte aus,
schulterte den Spaten und ging.
Mutter Fumasoli richtete sich schwerfällig
auf, schlug das Kreuz und verbeugte sich vor
dem bluttriefenden Christus, der mitten auf
dem Fußsteig an dem Marterholz hing, nahm
Weihwasser und sprengte es mit zitternden
srostblauen Fingern auf das frische Grab.
Dann schlich sie' zögernd nach der linken Seite
an ein besonders reich und bunt mit Topf-
blumen geschmücktes Grab, griff über das
niedere Gitter und brach von einem Geranium-
stock einen Zweig mit Blüthen, roth wie frisches
Blut. Den Zweig gegen das blutende Herz
gepreßt, kam sie zu dem Grabe ihres Giuseppe,
warf sich nieder, und steckte zärtlich und be-
hutsam den blühenden Zweig in den lockeren
Boden, die einzige Blüthe hier auf dem großen
kreuzebesteckten Massenacker.
Das heißt, — sie wollte das Zweiglein in
das schon mit dem Finger gebohrte Loch
stecken, als der Friedhofgärtner sie ertappte.
Vom Ende des Fußsteigs hatte er den Raub
gesehen und war mit langen Schritten herbei-
geeilt. Sein Gesicht war zorngeröthet, seine
Geberde wild.
Das wäre eine schöne Weltordnung, wenn
Jeder kommen könnte und die Gräber des
Villenviertels berauben, von deren Pflege er
sein Brot aß!
„Was hast Du gestohlen, alte Hexe?" schrie
er der zitternden Diebin entgegen, „das Grab
des Herrn Unterpräfekten hast Du gewagt zu
berauben! Ich Hab' es wohl gesehen! Aber
schlecht wird es Dir bekommen."
Und er stellt die Blumentöpfe, die er trägt,
hastig auf den Boden, und wie ein guter
scharfer Wachthund packt er mit der einen
Hand das Zweiglein blühenden Geraniums,
mit der andern den dürren Arm der Mutter
Fumasoli und schleppt die ihr Verbrechen
kaum Begreifende, vor Schrecken und vor
Scham fast Sinnlose zum Friedhofsthor hin-
aus, hinaus auf die menschenvolle Straße,
hinüber zu der Polizeiwache, die wie eine
Fallgrube am Wege lauert.
„Gestohlen? Nun also! Paragraph so und
so des Strafgesetzbuchs kommt hier in An-
wendung, und fertig. Nichts einfacher als
das." Mutter Fumasoli ward wegen Berau-
bung eines Grabes zu acht Tagen Gefängniß
verurtheilt.
Das elegante Mailand, das schöne itali-
enische Paris, ist ganz in froher Aufregung.
Es feiert den Frühling mit einem Blumen-
korso. Die Spiegelscheiben der Auslagen
glitzern noch einmal so blank, aus den Fen-
stern sind bunte Teppiche gehängt, Fahnen
und Fähnchen, Stangen mit Fichtengrün um-
wunden, an denen farbige Bänder flattern.
Quer über die breiten Straßen ziehen sich
Guirlanden mit Inschriften, mit Versen, mit
bunten schaukelnden Ballons. Der ganze Weg,
den der prächtige, duftende Zug nehmen wird,
ist dekorirt, bis zu den öffentlichen Gärten,
wo man seit Tagen schon grast, hackt, säubert,
um die Spuren des Winters zu vertilgen.
Blendend flimmert die scharfe Märzsonne
auf dem weißen Marmordom, schneidend
pfeift die Bise durch den Korso Garibaldi
herunter von den Bergen, — Frühling soll
sein!
Wie sie sich drängen auf den Plätzen und
Straßen, wie die Hahnenfedern der Bersa-
glieri, die beordert sind, die Straßenmitte frei
zu halten, um die Wette flattern mit den
weißen Schleiern und schwarzen Mantillen
der Frauen, — Frühling ist da! Es soll
Frühling sein.
Evviva, der Herold!
Evviva, der Sonnenstrahl als Herold!
Irgend ein junger schöner Mann in gold-
glänzender Seide sprengt heran. Er eröffnet
den Zug. Sein Rappe trägt vergoldete Zäume,
vergoldete Hufe, sogar die Mähne ist mit
Goldstaub bestreut. Ein kurzer Strahlenman-
tel umfliegt des Herolds Schultern, ein langes
schmales goldgelbes Seidenfähnlein schwenkt
er ohn' Unterlaß. Und sein schönes schwarz-
äugiges Gesicht lächelt so stolz und siegreich
nach allen Seiten, als wär' er wirklich der
Sonnengott.
Und hinter ihm quillt und schwillt es von
blumenüberschütteten, in Blumen gehüllten ele-
ganten Wagen.
Eine wahre Blumenorgie, eine Blumenfluth,
eine duftende, quellende, blühende Vergeudung
des übermüthigen Reichthnms!