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Der wahre Jakob: illustrierte Zeitschrift für Satire, Humor und Unterhaltung — 17.1900

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https://doi.org/10.11588/diglit.8185#0125
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Zum fünfhundertsten Geburtstage Gutenbergs,

Uon Jranz Mehring.

Bis auf die Zeit, in der wir selbst leben, giebt es in der deutschen
beschichte keine so bewegte und großartige Periode, wie die Zweite
Hälfte des fünfzehnten Jahrhunderts, wie heute die Emanzipation der
Arbeiterklasse, so bewirkte damals die Erhebung der Bürgerklaffe aus
dem feudalen Druck und Zwang des Mittelalters jene dichte ßülle und
unversiegliche Triebkraft des Daseins, worin es eine Lust war zu
leben. Die großen Rationen, die mit den Anfängen der kapitalistischen
Produktionsweise entstanden, schufen den internationalen Weltmarkt,
auf dem Deutschland eine herrschende Stellung einnahm. Gewerbe
und Handel blühten mächtig empor, und mit ihnen Künste und Wissen-
schaften. Nicht weniger als neun deutsche Hochschulen entstanden von
bis 1,506, und in unvergleichlicher Schönheit prangt heute noch,
was uns von den Kunstwerken eines Albrecht Dürer, eines Adam
Araft, eines Peter Bischer und wie vieler anderer erhalten worden ist.

Diese große Zeit Deutschlands schloß noch nicht mit dem fünfzehnten
Jahrhundert ab. Wie bekannt, fällt die deutsche Reformation erst in
das erste viertel des sechzehnten Jahrhunderts, von ihren kühnen
revolutionären Anfängen an, bis sie in allem Blut und Jammer des
großen Bauernkriegs erstickte. Aber im Ausgange des fünfzehnten Jahr-
hunderts wurden bereits die beiden geographischen Entdeckungen ge-
macht, die dem Welthandel eine neue Richtung gaben und die deutsche
Aalion für mehrere Jahrhunderte vom Weltmarkt verdrängten: die
Entdeckung Amerikas durch die Spanier und dis Entdeckung des See-
wegs nach Gstindien durch dis Portugiesen. Bon nun an ging es
rrst langsam, dann immer schneller bergab, in jähem Schicksalswechsel,
^er in all seiner tragischen Spannung nie das niederschlagende Gefühl
zu bannen vermag, wie steil und wie reich an Leidensstationen der
Aufstieg des deutschen Volkes zur Höhe einer modernen Kulturnation
gewesen ist. Jedoch auch darin ähnelt die zweite Hälfte des fünf-

zehnten Jahrhunderts unserer Zeit, daß sie wie die erste Norgenröthe
des Tages erscheint, der heute in siegender Pracht anbricht; welches
Zeitalter der deutschen Geschichte sonst stände den befreienden Rümpfen
des modernen Proletariats so nahe, wie jene herrlichen Jahrzehnte,
wo ein deutscher Genius die Kunst des Bücherdrucks erfand und wo
deutsche Arbeiter diese Kunst — die schwarze, die deutsche, die aller-
subtilste, die göttliche, die heilige Kunst, die Kunst der Künste und die
Wissenschaft der Wissenschaften, wie sie von den jubelnden Zeitgenossen
begrüßt wurde — durch alle Lande und Völker verbreiteten, mit einer
Betriebsamkeit und Schnelligkeit, die uns selbst in den Tagen der
Dampfbahnen und Dampfmaschinen unbegreiflich erscheinen will.

Der aber diese Kunst erfand und sich damit einen so unvergäng-
lichen Anspruch auf die dauernde Dankbarkeit der gesitteten Mensch-
heit erwarb, wie wenige Sterbliche vor oder nach ihm, war Johann
Gutenberg aus Mainz. Und nicht zuletzt die moderne Arbeiterklasse,
der das gedruckte Wort eine mächtige Waffe geworden ist, wird dieses
Mannes dankbar gedenken, in dem Jahre, wo sich ein halbes Jahr-
tausend seit seiner Geburt vollendet.

* *

*

Zahlreich sind die zeitgenössischen Zeugnisse, die Gutenberg preisen,
weil er die Kunst des Buchdrucks erfunden hat, aber dann ist ihm
dieser Ruhm jahrhundertelang streitig gemacht und einer großen Zahl
anderer, nicht nur deutscher, sondern auch ausländischer Buchdrucker
zugewandt worden. In Holland gilt ein gewisser Loster, in Italien
ein gewisser Gastaldi als Erfinder; jenem ist deshalb sogar in Haarlem,
diesem in Keltre ein Denkmal gesetzt worden. In Deutschland haben
namentlich §ust und Lchöffer in Mainz, Mentel in Straßburg, Pfister
in Bamberg mit Gutenberg um die Palme gerungen. Die weitläufige

^°>Iage zum „wahren Jacob" Nr. 3631», tS00.
 
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