Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Der wahre Jakob: illustrierte Zeitschrift für Satire, Humor und Unterhaltung — 17.1900

DOI Seite / Zitierlink:
https://doi.org/10.11588/diglit.8185#0126
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
3270

Ltreitliteratur, die darüber entstanden ist, umfaßt manches Tausend
von Nummern, doch ist nach dem heutigen Ltande der Forschung,
nach Gewicht nnd Zahl der berufenen Ltimmen, Gutenberg als glän-
zender Lieger aus dem Wettstreit hervorgegangen.

Nan möchte fast sagen: als zu glänzender Lieger, denn manche
Vorkämpfer Gutenbergs stellen ihn im Lifer des Gefechts als einen
übermenschlichen Genius hin, der, wenn er ein halbes Jahrtausend
früher gelebt hätte, auch die schwarze Kunst erfunden haben würde,
während wir, wenn er heute erst geboren würde, vielleicht noch ein
halbes Jahrhundert darauf zu warten hätten. Nan gelangt damit
wieder zu den anmuthigen Lcherzen, in denen sich die ideologische
Geschichtsschreibung so oft gefallen hat, zu den geistreichelnden Phan-
tasiespielen etwa darüber, welchen Verlauf die Weltgeschichte wohl
genommen haben würde, wenn die alten Griechen das Pulver oder
die alten Römer den Letternguß erfunden hätten. Wissenschaftlich
betrachtet, ist jedoch jede
Lrsindung von den Bedürf-
nissen ihrer Zeit abhängig,
was mit anderen Worten
nur heißt, daß jede Lrsin-
dung ihre lange Vor-
geschichte hat.

Lrfindungen können der
geschichtlichen Lntwicklung
einen mächtigen Anstoß
geben, und wenige haben
ihr einen so mächtigen An-
stoß gegeben, wie die Lr-
findung des Buchdrucks,
aber jede Lrsindung wird
ihrerseits durch die geschicht-
liche Lntwicklung gereift;
das Gesetz der historischen
Dialektik verleugnet sich nie-
mals, auch wenn es noch
so heftig von superklugen
Ideologen geleugnet wird.

Und am wenigsten verliert
dadurch der Ruhm der
großen Lrfinder, die ein
großes Bedürfniß ihrer Zeit
in einer, für alle Folgezeit
epochemachenden Weise zu
befriedigen gewußt haben.

Ls ist gar nicht so selten,
daß bedeutsame Lrfin-
dungen sozusagen vorzeitig
und zufällig gemacht wor-
den sind, so die Lpinn- und
Webemaschine, so die für
industrielle Zwecks nutzbare
Dampfmaschine, ja auch
Gutenbergs Lrsindung ist,
wenn ein chinesisches Tuel-
lenwerk recht hat, schon
vierhundert Jahre vor ihm
gemacht worden, allein
solche zu früh aufgewucher-
ten Reime sterben gleich
ab und wachsen nicht zu
den mächtigen Bäumen empor, deren Laub noch den spätesten Ge-
schlechtern grünt.

von diesem einzig richtigen Ltandpunkt aus fällt dann auch ein
erklärendes Licht auf den dichten Kranz von Legenden, der sich um
die Lrsindung des Buchdrucks geschlungen hat. Nan beweist zu viel,
wenn man beweisen will, daß nur menschliche Leidenschaft, und meist
sehr niedriger Art, Gutenbergs Lorbeer zu zerpflücken gesucht hat.
Lolche Leidenschaft hat dabei oft genug und mehr als billig mit-
gespielt, aber schon die fast unbegreiflich schnelle Verbreitung der Lr-
sindung beweist schlagend, wie sehr sie ein überall dringend empfun-
denes Bedürfniß der Zeit war. Der Waarenhandel und die Waaren-
produktion, die sich am Ausgange des Mittelalters mächtig entwickelten,
hatten den geistigen Verkehr der Rationen so unendlich gesteigert, daß
er nach der schnellen Massenherstellung literarischer Lrzeugnisse hungerte.
Ls kann nicht an den mannigfachsten versuchen gefehlt haben, dies
Bedürfniß zu befriedigen, und solche versuche lassen sich in der Chat
weit zurückverfolgen. In gewissem Zinne führt es irre, von dem
Buchdruck als einer Lrsindung Gutenbergs zu sprechen. Die mecha-
nische Vervielfältigung von Lchrift und Zeichnung durch den Abdruck
war als Holzschnitt schon im Anfänge des fünfzehnten Jahrhunderts

gebräuchlich. Und von diesem Vorläufer der Buchdruckkunst galt
bereits, was ein Zeitgenosse Gutenbergs von ihr selbst gesagt hat und
was seitdem so unzählige Nale wiederholt worden ist, daß er nämlich
„der Freiheit des Menschen ein allergewaltigst zweischneidig Lchwert
in die Hand gebe, ein Lchwert gleich schneidig zum Guten und zum
Bösen, zum Kampfe für Tugend und Wahrheit, wie für Zünde und
Irrthum": Heiligenbilder und Lpielkarten waren die ersten Lrzeugnisse
des Drucks. Nun war es aber dem Nester der Holzschneider sehr
gleichgiltig, ob damit irgend eine Figur oder irgend ein Wort aus-
geschnitten wurde, und so entstanden erst Bilderbücher mit geschnittenem
Text und dann auch kleine Lchul- und Volksbücher ohne Bild, nur
mit Text. Dieser sogenannte Briefdruck bestand noch lange fort, nach-
dem Gutenberg seine Lrsindung gemacht hatte; die Briefdrucker bildeten
in Nürnberg, Augsburg, Köln, Mainz, Lübeck nnd anderen Ltädten zunft-
mäßige Genossenschaften, die sich gewöhnlich der Malerinnung anschlossen.

Nachdem man einmal
zu den Holztafeldrucken ge-
langt war, lag es nahe,
diePlatten in einzelneBuch-
staben zu zerschneiden und
durch die beliebige Zu-
sammensetzung dieser Buch-
staben die Vervielfältigung
der Bücher außerordentlich
zu erleichtern. Das schei-
terte aber an der Unmög-
lichkeit, mit hölzernen
Typen die erforderliche
Lbenmäßigkeit der Zeilen
herzustellen. Der nächste
Zchritt war dann, die Let-
tern in Netall zu schneiden,
aber auch damit wurde kein
durchschlagender Lrfolg er-
zielt, sowohl weil das
Lchneiden der Typen aus
freier Hand zu viel Zeit er-
forderte, als auch weil auf
diesem Wege die Ungleich-
heit der Buchstaben zwar
verringert, aber keines-
wegs aufgehoben wurde.
Diese Uebelstände wurden
erst beseitigt durch das
Gießen metallener Lettern,
womit die Kunst erfunden
war, mit einzelnen beweg-
lichen Buchstaben, ganze
Wörter, Zeilen, Lätze und
Leiten zusammenzusetzen
und dann durch Abdruck
zu vervielfältigen. Als
Fortschritt über die Aylo-
graphie, den Druck mit ge-
schnittenen Holzplatten, ist
die Typographie, der Druck
mit beweglichen gegossenen
Lettern, die eigentliche Lr-
sindung Gutenbergs.

Lie erschien sehr einfach,
nachdem sie einmal gemacht war. Allein dies Loos theilte sie gerade
mit den genialsten Lrfindungen, und man darf nicht, um Gutenbergs
verdienst zu steigern, die historisch-logische Abfolge verkennen, die von
der Aylographie zur Typographie geführt hat. Gutenberg mag per-
sönlich niemals mit hölzernen Lettern zu drucken versucht haben, und
sicherlich gehörte ein sehr mühsamer, sehr weiter, alle Hilfsmittel
eines ungemein geschmeidigen und kräftigen Geistes beanspruchender
Weg dazu, um von dem schöpferischen Gedanken der Typographie bis
zu der meisterhaften Ausführung zu gelangen, die dieser Gedanke
schon in Gutenbergs ersten Drucken gefunden hat. Allein immer war
der Lrfinder ein Kind seiner Zeit und beschritt nicht einsam einen ein-
samen Weg, sondern erreichte nur als Lrster ein Ziel, dem noch viele
Andere mit heißem Bemühen nachtrachteten. In der Legende, die den
Ruhmesglanz großer Lrfinder zu verdunkeln pflegt, liegt auch ein
Ltück ausgleichender Gerechtigkeit; sie haben allemal ihre Lchritt-
macher gehabt, deren Namen ganz oder halb verschollen sind.

Im Linzelnen freilich läßt sich schwer erkennen, wie sich dies ver-
hältniß bei Gutenberg gestaltet hat. Denn wir wissen wenig von
seinem Leben und auch dies Wenige ist in seiner Richtigkeit noch viel-
fach angefochten.

Gutenberg.
(Rach Chevet. ^58^.)
 
Annotationen