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Die Schuld.
Daß nichts euch das Genießen stört.
Daß nichts den satten Zinn berührt,
Daß ihr mit offnen Augen blind,
Daß euer Dhr den Groll nicht hört
Der durch des Mannes Murren klingt
Dest' Kraft )n früh der Hunger brach,
Der aus des Weibes Stöhnen weint,
Daß all der Groll nicht ?it euch dringt,
Daß all das Glend dieser Welt
Guch nicht mit Furcht die Seele füllt,
Luch nicht das Her? ^usammenkrampft,
Die geile -Lust euch nicht vergällt:
Das ist die schwere Sündenschuld,
Die euch so stark, so ernst verklagt,
Daß keine -Lieb' vergeben kann,
Selbst keines Heilands Gnadenhuld.
Franz Philips.
Katharine Stiöeli.
von Don (Juixote
Die wuchtigsten Anklagen der sozialistischen
Blätter gegen unsere infame Gesellschafts-
ordnung kann ich lächelnd lesen, aber ein
bürgerlicher Zeitungswisch bringt mich oft
außer Rand und Band, daß ich die Welt in
Rauch und Flammen ersticken könnte, damit
sie zu Grunde gehe, wie Sodom und Gomorrha!
Ach, könnt' ich sie blos vertilgen, diese
glänzende, prachtschimmernde, sündige Gesell-
schaft, diese menschlichen Thiere, die einander
quälen und peinigen! Alle Pein und alle
Schmerzen, welche der Mensch dem Menschen
von dem ersten Kain an bis zur modernen,
zivilisirten Hyäne verursacht hat, sollte sie
durchkosten! * *
Katharine Stibek hat als Handschuhnäherin
in Wien wöchentlich zwei Gulden verdient.
Sie wurde schwanger und ihr Geliebter ver-
ließ sie. Als sie entbunden war, hatte sie nichts
mehr zum Essen und für ihr Kindlein keine
Milch in den Brüsten.
So ging sie in ein Wirthshaus, aß dort in
einer Ecke um vier Kreuzer Suppe — denn
auch in der Kaiserstadt wird keine Suppe ver-
schenkt —, und da sie nicht bezahlen konnte,
wurde sie festgenommen, und in einem schönen
Saale des prächtigen Justizgebäudes wurde
das schuldige Mutterthier, das Nahrung stehlen
wollte für seine Leibesfrucht, zu 24 Stunden
Arrest verurtheilt.
Die Teufel halten sich den Bauch vor Lachen
über die thränengetränkte Komik dieser Szene.
Aber der Himmel schweigt, die Wolken theilen
sich nicht und keine Stimme ertönt von oben
zu fragen: „Kain, Kain, was machst du mit
deinem Bruder Abel?"
Und die feinen Damen und Herren können
beim Frühstück, zwischen allerhand Tages-
nachrichten lesen, daß über Katharine Stibek
das Urtheil gesprochen ist. Gott sei Dank, es
giebt noch Recht und Gerechtigkeit auf Erden,
das Auge des Gesetzes wacht und gestattet
nicht, daß die Stibeks Milch für ihre Kinder
stehlen. * *
Gnädige Frau! Brennt Ihnen denn die Haut
nicht unter diesem Handschuh? Hören Sie das
Wimmern der hungrigen Würmer der Katharine
Stibek nicht?
Sie sind gewiß zufrieden mit unseren Gesetzen
und mit unseren Richtern, gnädige Frau? Mit
diesen fein ausgezirkelten Gesetzen, zu deren
Durchführung Sie sich so weise Richter, so sichere,
solide Kerker und so stramme Henker halten?
Ja, Sie, meine Gnädige! Sie, Sie! Denn
Sie sind die Gesellschaft; die Katharine Stibek
gehört nicht zu ihr, sie steht ganz außerhalb.
Sie sind es, die das Gesetz machen, die Stibeks
machen nur Handschuhe, — Handschuhe zu
Ihrem Gebrauch!
In die Oper fahren Sie, gnädige Frau?
Gute Unterhaltung! Ich kann Ihnen nicht
folgen, aber Sie imponiren mir mit Ihrer
Hand, die Ihnen nicht brennt unter diesem
mit Schande und Blut genähten Handschuh!
Wissen Sie denn nicht, daß die Stibek viel
mehr gearbeitet hat in ihrem Leben, als Sie
mitsammt Ihrer nichtsnutzigen Sippe. Sie
Die (Uablen in Italien.
Jetzt wird der alte italienische Stiefel wieder
Glanz kriegen.
hat ihre Pflicht erfüllt, denn während Sie
sich gelangweilt haben, ernährte die sich von
ihrer Hände Arbeit, saß frierend in ihren
Lumpen und nähte in der kalten Stube Hand-
schuhe für Sie.
Ja die Stibek! Sie kann nach einer schlecht
bezahlten Arbeit nicht einmal ehrlich Mutter
werden! — Der Säugling kommt sofort mit
dem Gesetzbuch in Kollision! —
Die Gesellschaft hat es herausgefunden, wo-
mit sie die kleinen Kinder am Leichtesten sättigen
kann. Mit dem Gesetzbuch!
Es kommt ein Kind zur Welt und die Ge-
sellschaft hält dem armen Wurm — das Gesetz-
buch hin!
Schrei doch nicht, Du kleines Geschöpf!
Weißt Du denn nicht, daß Du in einer ge-
ordneten Welt das Licht erblickt hast? Da
geht es nicht zu, wie bei den Thieren, die auf
dem Felde Nahrung finden und ihren Jungen
dann was zum Trinken geben können. Oho,
bei uns, da ist es anders, bei uns herrscht
Ordnung. Mein, dein, sein wird ein jedes
Ding benannt und es giebt keine Milch für
die Brüste einer jeden Mutter! Und weißt
Du auch, für welche Mutter keine Milch da
ist? Gerade für die, welche arbeiten.
Ist das nicht nett? Wachse nur, meinHerzchen;
wenn Du 'mal größer sein wirst, lernst Du noch
mehr solcher Dinge kennen. Du wirst schon
sehen, was für eine nette Gesellschaft wir find!
Und wenn Du 'mal die große, schwere Arbeit
und all das Elend hinter Dir haben wirst,
dann hast Du vielleicht auch 'mal versucht, zu
stehlen und Du wirst den Kerker, diese glor-
reiche Einrichtung, die Du schon im Säuglings-
alter kennen gelernt hast, wiedergefunden haben.
Und wenn Du, in Elend geboren, elend gelebt
und verkommen, vielleicht auch noch tödten
solltest, dann machst Du gewiß mit der anderen
glorreichen Einrichtung dieser Welt, mit unserem
Freund, dem Henker, Bekanntschaft.
Wird es Dir einfallen, wenn Du dann den
Kopf in der Schlinge hast, daß Kain mit seinem
Bruder Abel einstens dasselbe gethan hat?
Wachse nur, mein Kindchen und immer wirst
Du dasselbe erfahren, wie in der ersten Woche
Deines Leben: die Gesellschaft kümmert sich nicht
um Dich, wenn Du hungerst, aber wenn Du
stolpern solltest auf Deinem holperigen, schweren
Lebensweg, dann ist sie gleich da, um Dir mit
dem Strafgesetzbuch, dem Kerker und dem
Henker unter die Arme zu greifen.
Und nun kusch Dich und geh' schön ein in
den Arrest!
Schnitzel. -V'<<-
Ls ist ein wahres Tlück, daß nicht jeder Tauner
Geheimpolizist und jeder adelige Dummkopf Minister
werden kann. *
Der Begriff „Gott" wird für Alles verantwortlich ge-
macht, wofür sich kein Mensch die Verantwortung zu
tragen getraut. *
Bei Menschen mit fürstlichem Teblüt haben alle Ligen-
schaften andere Namen. Dort heißt die Frechheit Stolz,
die Dummheit Tüte, die Rohheit Araft, die Tharakter-
schwäche Nachgiebigkeit — und ihre Schweine-
reien darf man höchstens liebenswürdige Nei-
gungen nennen. .
*
Die Stigmata des Alerus aller Ronfesfionen sind:
Herrschsucht, Herzlosigkeit und Lüsternheit. Und ihre Te-
lübde sind: Demuth, Tehorsam und Enthaltsamkeit.
Die ärgsten Totteslästerer und Majestätsbeleidiger
find die Denunzianten und alle Diejenigen, die ihnen
Tlauben schenken. *
Tb wohl der Tod das Hofzeremoniell beobachtet, wenn
er sich einen Uönig holt?
Im Mittelalter verachtete man die Scharfrichter und
spuckte vor ihnen aus. Heutzutage interviewt man sie,
photographirt sie und verbreitet ihre Bilder in den illu-
strirten Zeitschriften.
Ein Rituslmvrd.
Humoreske von U.
Das sonst so ruhige Landstädtchen Pimplowitz
war der Schauplatz einer ungeheuren Auf-
regung.
Schulkinder hatten in der Vorstadt an einem
Gartenzaun ein großes Schlächtermesser gefun-
den und jenseits des niederen Zaunes in Gras
und Gestrüpp hatten sie eine nackte Kindes-
leiche liegen sehen — „mit durchschnittener
Gurgel", so behaupteten sie steif und fest.
Die Schuld.
Daß nichts euch das Genießen stört.
Daß nichts den satten Zinn berührt,
Daß ihr mit offnen Augen blind,
Daß euer Dhr den Groll nicht hört
Der durch des Mannes Murren klingt
Dest' Kraft )n früh der Hunger brach,
Der aus des Weibes Stöhnen weint,
Daß all der Groll nicht ?it euch dringt,
Daß all das Glend dieser Welt
Guch nicht mit Furcht die Seele füllt,
Luch nicht das Her? ^usammenkrampft,
Die geile -Lust euch nicht vergällt:
Das ist die schwere Sündenschuld,
Die euch so stark, so ernst verklagt,
Daß keine -Lieb' vergeben kann,
Selbst keines Heilands Gnadenhuld.
Franz Philips.
Katharine Stiöeli.
von Don (Juixote
Die wuchtigsten Anklagen der sozialistischen
Blätter gegen unsere infame Gesellschafts-
ordnung kann ich lächelnd lesen, aber ein
bürgerlicher Zeitungswisch bringt mich oft
außer Rand und Band, daß ich die Welt in
Rauch und Flammen ersticken könnte, damit
sie zu Grunde gehe, wie Sodom und Gomorrha!
Ach, könnt' ich sie blos vertilgen, diese
glänzende, prachtschimmernde, sündige Gesell-
schaft, diese menschlichen Thiere, die einander
quälen und peinigen! Alle Pein und alle
Schmerzen, welche der Mensch dem Menschen
von dem ersten Kain an bis zur modernen,
zivilisirten Hyäne verursacht hat, sollte sie
durchkosten! * *
Katharine Stibek hat als Handschuhnäherin
in Wien wöchentlich zwei Gulden verdient.
Sie wurde schwanger und ihr Geliebter ver-
ließ sie. Als sie entbunden war, hatte sie nichts
mehr zum Essen und für ihr Kindlein keine
Milch in den Brüsten.
So ging sie in ein Wirthshaus, aß dort in
einer Ecke um vier Kreuzer Suppe — denn
auch in der Kaiserstadt wird keine Suppe ver-
schenkt —, und da sie nicht bezahlen konnte,
wurde sie festgenommen, und in einem schönen
Saale des prächtigen Justizgebäudes wurde
das schuldige Mutterthier, das Nahrung stehlen
wollte für seine Leibesfrucht, zu 24 Stunden
Arrest verurtheilt.
Die Teufel halten sich den Bauch vor Lachen
über die thränengetränkte Komik dieser Szene.
Aber der Himmel schweigt, die Wolken theilen
sich nicht und keine Stimme ertönt von oben
zu fragen: „Kain, Kain, was machst du mit
deinem Bruder Abel?"
Und die feinen Damen und Herren können
beim Frühstück, zwischen allerhand Tages-
nachrichten lesen, daß über Katharine Stibek
das Urtheil gesprochen ist. Gott sei Dank, es
giebt noch Recht und Gerechtigkeit auf Erden,
das Auge des Gesetzes wacht und gestattet
nicht, daß die Stibeks Milch für ihre Kinder
stehlen. * *
Gnädige Frau! Brennt Ihnen denn die Haut
nicht unter diesem Handschuh? Hören Sie das
Wimmern der hungrigen Würmer der Katharine
Stibek nicht?
Sie sind gewiß zufrieden mit unseren Gesetzen
und mit unseren Richtern, gnädige Frau? Mit
diesen fein ausgezirkelten Gesetzen, zu deren
Durchführung Sie sich so weise Richter, so sichere,
solide Kerker und so stramme Henker halten?
Ja, Sie, meine Gnädige! Sie, Sie! Denn
Sie sind die Gesellschaft; die Katharine Stibek
gehört nicht zu ihr, sie steht ganz außerhalb.
Sie sind es, die das Gesetz machen, die Stibeks
machen nur Handschuhe, — Handschuhe zu
Ihrem Gebrauch!
In die Oper fahren Sie, gnädige Frau?
Gute Unterhaltung! Ich kann Ihnen nicht
folgen, aber Sie imponiren mir mit Ihrer
Hand, die Ihnen nicht brennt unter diesem
mit Schande und Blut genähten Handschuh!
Wissen Sie denn nicht, daß die Stibek viel
mehr gearbeitet hat in ihrem Leben, als Sie
mitsammt Ihrer nichtsnutzigen Sippe. Sie
Die (Uablen in Italien.
Jetzt wird der alte italienische Stiefel wieder
Glanz kriegen.
hat ihre Pflicht erfüllt, denn während Sie
sich gelangweilt haben, ernährte die sich von
ihrer Hände Arbeit, saß frierend in ihren
Lumpen und nähte in der kalten Stube Hand-
schuhe für Sie.
Ja die Stibek! Sie kann nach einer schlecht
bezahlten Arbeit nicht einmal ehrlich Mutter
werden! — Der Säugling kommt sofort mit
dem Gesetzbuch in Kollision! —
Die Gesellschaft hat es herausgefunden, wo-
mit sie die kleinen Kinder am Leichtesten sättigen
kann. Mit dem Gesetzbuch!
Es kommt ein Kind zur Welt und die Ge-
sellschaft hält dem armen Wurm — das Gesetz-
buch hin!
Schrei doch nicht, Du kleines Geschöpf!
Weißt Du denn nicht, daß Du in einer ge-
ordneten Welt das Licht erblickt hast? Da
geht es nicht zu, wie bei den Thieren, die auf
dem Felde Nahrung finden und ihren Jungen
dann was zum Trinken geben können. Oho,
bei uns, da ist es anders, bei uns herrscht
Ordnung. Mein, dein, sein wird ein jedes
Ding benannt und es giebt keine Milch für
die Brüste einer jeden Mutter! Und weißt
Du auch, für welche Mutter keine Milch da
ist? Gerade für die, welche arbeiten.
Ist das nicht nett? Wachse nur, meinHerzchen;
wenn Du 'mal größer sein wirst, lernst Du noch
mehr solcher Dinge kennen. Du wirst schon
sehen, was für eine nette Gesellschaft wir find!
Und wenn Du 'mal die große, schwere Arbeit
und all das Elend hinter Dir haben wirst,
dann hast Du vielleicht auch 'mal versucht, zu
stehlen und Du wirst den Kerker, diese glor-
reiche Einrichtung, die Du schon im Säuglings-
alter kennen gelernt hast, wiedergefunden haben.
Und wenn Du, in Elend geboren, elend gelebt
und verkommen, vielleicht auch noch tödten
solltest, dann machst Du gewiß mit der anderen
glorreichen Einrichtung dieser Welt, mit unserem
Freund, dem Henker, Bekanntschaft.
Wird es Dir einfallen, wenn Du dann den
Kopf in der Schlinge hast, daß Kain mit seinem
Bruder Abel einstens dasselbe gethan hat?
Wachse nur, mein Kindchen und immer wirst
Du dasselbe erfahren, wie in der ersten Woche
Deines Leben: die Gesellschaft kümmert sich nicht
um Dich, wenn Du hungerst, aber wenn Du
stolpern solltest auf Deinem holperigen, schweren
Lebensweg, dann ist sie gleich da, um Dir mit
dem Strafgesetzbuch, dem Kerker und dem
Henker unter die Arme zu greifen.
Und nun kusch Dich und geh' schön ein in
den Arrest!
Schnitzel. -V'<<-
Ls ist ein wahres Tlück, daß nicht jeder Tauner
Geheimpolizist und jeder adelige Dummkopf Minister
werden kann. *
Der Begriff „Gott" wird für Alles verantwortlich ge-
macht, wofür sich kein Mensch die Verantwortung zu
tragen getraut. *
Bei Menschen mit fürstlichem Teblüt haben alle Ligen-
schaften andere Namen. Dort heißt die Frechheit Stolz,
die Dummheit Tüte, die Rohheit Araft, die Tharakter-
schwäche Nachgiebigkeit — und ihre Schweine-
reien darf man höchstens liebenswürdige Nei-
gungen nennen. .
*
Die Stigmata des Alerus aller Ronfesfionen sind:
Herrschsucht, Herzlosigkeit und Lüsternheit. Und ihre Te-
lübde sind: Demuth, Tehorsam und Enthaltsamkeit.
Die ärgsten Totteslästerer und Majestätsbeleidiger
find die Denunzianten und alle Diejenigen, die ihnen
Tlauben schenken. *
Tb wohl der Tod das Hofzeremoniell beobachtet, wenn
er sich einen Uönig holt?
Im Mittelalter verachtete man die Scharfrichter und
spuckte vor ihnen aus. Heutzutage interviewt man sie,
photographirt sie und verbreitet ihre Bilder in den illu-
strirten Zeitschriften.
Ein Rituslmvrd.
Humoreske von U.
Das sonst so ruhige Landstädtchen Pimplowitz
war der Schauplatz einer ungeheuren Auf-
regung.
Schulkinder hatten in der Vorstadt an einem
Gartenzaun ein großes Schlächtermesser gefun-
den und jenseits des niederen Zaunes in Gras
und Gestrüpp hatten sie eine nackte Kindes-
leiche liegen sehen — „mit durchschnittener
Gurgel", so behaupteten sie steif und fest.