3302
Das warme Ler?.
von Morn.
Der Graf Egon von und zu Brägenfels
saß traurig am Rande seiner fünfundzwanzig-
tausend Morgen großen Besitzung und weinte
so heiße Thränen, daß sie sich unmittelbar nach
der Geburt in Dampf auflöste», weshalb man
auch glauben konnte, der Kopf rauche ihm
vom vielen Denken.
Es hatte aber der Graf, wie man ahnen
wird, einen schweren Gram.
Nichts fehlte ihm. Er hatte Weib, Kinder,
viel Gold und Papiere und zahllose Sklaven,
und vor allen Dingen war er vom ältesten
Adel, und trotzdem hatte der Graf einen schweren
Gram.
Denn er hatte die stärksten Waden, die
mau nur in den erregtesten Fieberphantasten zu
denken und zu wünschen vermag, die ganze
Familie hatte solche starke Waden und Egon
besaß wieder die stärksten von all seinen Ver-
wandten. Denn kürzlich erst hatten sie am
Familientag der Brägenfelse eine allgemeine
Messung der Waden vorgenommen und dabei
ergab sich die unbezweifelbare Meisterschaft
Egons.
Man kann sich denken, daß Graf Egon von
und zu Brägenfels nicht wenig stolz auf diese
Eigenschaft war, mit der ihn Natur, Kultur,
Glück und Verdienst gleichermaßen ausgestattet.
Aber darin lag auch gerade sein unheilbarer
Gram! Denn wer wußte von diesem Reize
männlicher Kraft? Mau verhüllte die Beine
in den abscheulichen Futteralen, und seine
Sklaven hätten ihn ausgelacht, wenn er sich
ihnen in Kniehosen und seidenen Strümpfen
gezeigt hätte.
Es begab sich aber, daß der Fürst des
Ländchens desselbigen Weges einherschritt,
wo Graf Egon am Rande seines Gutes saß
und weinte. Als Höchstheit das sah, sprach
er in seiner zugleich menschenfreundlichen wie
geistvollen Weise zu dem Trauernden: „Ihnen
fehlen?"
Da schüttete Graf Egon sein übervolles
Herz aus, also daß nichts in ihm blieb, und
erzählte die trübe Geschichte von den stolzen
Waden, die ihren Zweck verfehlt hätten, weil
sich Niemand an ihnen weiden dürfte. Als der
Fürst das gehört, sagte er huldreich: „Leicht
helfen können!"
„Aber wie, Höchstheit?" schluchzte Graf
Egon.
Der Fürst lächelte fein und holte aus seiner
allergnädigsten Rocktasche Höchstallerselbst ein
Portefeuille.
„Wie?" stammelte Graf Egon, der nicht
begriff.
„Kultusministerium!" versetzte der Fürst und
drückte ihm leutselig die Hand, „gestatten, als
Erster gratuliren dürfen!"
Nun verstand Graf Egon und mit hin-
sterbendem Danke verneigte er sich tief vor der
allerhöchstselbst fortwandelnden Höchstheit.
Der Fürst kehrte noch einmal zurück und
sprach: „Verlegenheit! Portemonnaie augen-
blicklich vergessen! Aushelfen können?"
„Wieviel?" fragte der Graf demüthig.
„2500000 Goldgülden", versetzte der Fürst
heiter.
Graf Egon seufzte ein wenig, gab ihm fünf-
zig Gulden in baar — denn mehr hatte er nicht
bei sich — und überreichte ihm eine Anweisung
von 2499950 Goldgülden auf die „Allgemeine
Kohlrüben- und Kartoffelbank."
Acht Tage darauf stand Graf Egon vor seinem
Fürsten. Er sah prachtvoll aus: Violetter
Sammtfrack, gelbe Kniehosen und grünseidene
Strümpfe, deren kühngeschwungene Linien dem
Kenner sofort verriethen, daß es sich hier
um echtes Material, nicht um angeklebten
Stuck handelte.
Indessen war das Antlitz des Grafen von und
zu Brägenfels äußerst trübe. In der Hand
hielt er das juchtenlederne Portefeuille des
Kultusministeriums und gab es seinem Fürsten
mit folgender Ansprache zurück:
„Höchstheit! ich weiß die hohe Auszeichnung
wohl zu würdigen und ihre segensreichen Wir-
klingen auf die allgemeiile Ausbreitung der
Kenntniß meiner Kraft, aber ich habe nicht
das Zeug zum Kultusminister. Ich verstehe
von der Sache nichts. Ich habe gestern — er
seufzte in der Erinnerung an die ausgestandene
Pein — zur Probe Goethe gelesen, Wilhelm
Meisters Wanderjahre, und kein Wort begriffen.
Nein, ich verstehe nichts von diesem Ressort.
Vielleicht begnadigen mich Höchstheit lieber mit
dem Ackerbauministerium."
Der Fürst verlor keinen Augenblick seine
heitere und imposante Ruhe. Dann sagte er:
„Geht nicht. Ackerbau besetzt sein. Müssen
Kultus behalten. Vorkenntnisse nicht brauchen.
Was hier haben?" Damit zeigte der Fürst
mitten auf seine Brust.
„Das Herz, Höchstheit!"
„Kalt oder warm?"
„Warm, Höchstheit!"
„Also was haben zusammen?"
„Ich habe ein warmes Herz, Höchstheit."
„Genügt allen Anforderungen. Damit seit
Generationen mein Geschlecht regiert, viele
Minister", fuhr der Fürst fort. „Nichts weiter
sagen brauchen. Ich habe ein warmes Herz —
für Lehrer, Armee, Beamte, Landwirthschaft,
Industrie, Arbeiter u. s. w. So regieren. Alle
Angelegenheiten erledigen können. Punktus!"
So übernahm Graf Egon von und zu Brä-
genfels das Kultusministerium und verwal-
tete es mit dem warmen Herzen, das alle
Schwierigkeiten überwand, alle Konflikte löste,
die Opposition beschwichtigte, die Parteien
sammelte und gute Gesinnung weit und breit
pflanzte.
Wenn Graf Egon mit seinem violetten Frack,
den gelben Hosen und den in grünen Strümpfen
strotzenden Waden vor einer widerwilligen Ver-
sammlung stand, so brauchte er nur die Hand
auf die Brust zu legen und mit sonorem Klange
zu betheuern: „Meine Herren, ich habe ein
warmes Herz für —", alsbald schwiegen die
grimmsten Gegner. Bald stand es fest, daß
Graf Egon der größte Mann seiner Zeit im
Besonderen und seines Jahrtausends im All-
gemeinen war. In jedem bürgerlichen Hause
hingen mindestens zwei Bilder des Grafen,
natürlich in ganzer Figur, was denn zur Folge
hatte, daß er tagtäglich zahllose Liebeserklä-
rungen erhielt.
Als aber der Landesfürst einen „Strammen-
Waden-Orden", unterhalb des rechten Knies
zu tragen, für Verdienste um Kunst, Wissen-
schaft und soziale Fürsorge, stiftete und den
Grafen zum ersten Ritter dieses Ordens er-
nannte, da unternahm es die Wochenschrift
„Das warme Herz", die eigens zu dem Zwecke
begründet war, unter Anführung von Zeug-
nissen der größten Denker des Grafen Egon
welthistorische Bedeutung unter vorzüglicher
Berücksichtigung seiner Wadenmuskeln zu er-
härten. Selbst Doktordissertationen gab es
über den „Zusammenhang der menschlichen
Kultur mit dem Zellengewebe der Waden des
Grafen Egon von und zu Brägensels im Lichte
einer kraftethischen Weltanschauung".
Indessen mitten auf der Höhe seines segens-
reichen Wirkens erkrankte der Wadenheros des
Jahrtausends. Er schwand dahin, die seidenen
Strümpfe flatterten wie Segel in erlöschendem
Winde um seine Unterschenkelknochen, und alle
Aerzte waren rathlos. Vergebens flüsterte Graf
Egon jedem neuen Arzt schmeichelnd entgegen:
„Ich habe stets ein warmes Herz für die
Medizin gehabt". — Niemand konnte ihm
helfen; ja er wurde gerade nach solcher Ver-
sicherung jedesmal wie mit einem Ruck noch
elender.
Endlich wurde der berühmteste Spezialist
für Herzkrankheiten zitirt und der entdeckte
alsbald die Ursache des Siechthums: Das Herz
war um 12 Grad abgekühlt!
„Sie haben eben zuviel Wärme verbraucht",
sagte der durch seine urwüchsige Grobheit be-
kannte Spezialist. „Das hält ja kein Ochse
aus. Wollen Sie Ihr Leben retten, so müssen
Sie fortan die Wärme Ihres Herzens für sich
behalten. Noch ein einziges Mal: Ich habe
ein warmes Herz — und Sie kommen ins
Familienmausoleum."
Egon aber wollte leben, schon weil im
Mausoleum die unerhörten Waden verfallen
mußten, und er enthielt sich von Stund an
jeder Betheuerung seines warmen Herzens.
Und da es gerade ein außergewöhnlich warmer
Sommer war, bekam sein Herz bald wieder
die gehörige Temperatur, ja seine Strümpfe
mußten sogar eine Nummer weiter gewählt
werden.
Dafür aber warf er alle Petenten die Treppe
hinunter, erklärte im Parlament, die Herren
Das warme Ler?.
von Morn.
Der Graf Egon von und zu Brägenfels
saß traurig am Rande seiner fünfundzwanzig-
tausend Morgen großen Besitzung und weinte
so heiße Thränen, daß sie sich unmittelbar nach
der Geburt in Dampf auflöste», weshalb man
auch glauben konnte, der Kopf rauche ihm
vom vielen Denken.
Es hatte aber der Graf, wie man ahnen
wird, einen schweren Gram.
Nichts fehlte ihm. Er hatte Weib, Kinder,
viel Gold und Papiere und zahllose Sklaven,
und vor allen Dingen war er vom ältesten
Adel, und trotzdem hatte der Graf einen schweren
Gram.
Denn er hatte die stärksten Waden, die
mau nur in den erregtesten Fieberphantasten zu
denken und zu wünschen vermag, die ganze
Familie hatte solche starke Waden und Egon
besaß wieder die stärksten von all seinen Ver-
wandten. Denn kürzlich erst hatten sie am
Familientag der Brägenfelse eine allgemeine
Messung der Waden vorgenommen und dabei
ergab sich die unbezweifelbare Meisterschaft
Egons.
Man kann sich denken, daß Graf Egon von
und zu Brägenfels nicht wenig stolz auf diese
Eigenschaft war, mit der ihn Natur, Kultur,
Glück und Verdienst gleichermaßen ausgestattet.
Aber darin lag auch gerade sein unheilbarer
Gram! Denn wer wußte von diesem Reize
männlicher Kraft? Mau verhüllte die Beine
in den abscheulichen Futteralen, und seine
Sklaven hätten ihn ausgelacht, wenn er sich
ihnen in Kniehosen und seidenen Strümpfen
gezeigt hätte.
Es begab sich aber, daß der Fürst des
Ländchens desselbigen Weges einherschritt,
wo Graf Egon am Rande seines Gutes saß
und weinte. Als Höchstheit das sah, sprach
er in seiner zugleich menschenfreundlichen wie
geistvollen Weise zu dem Trauernden: „Ihnen
fehlen?"
Da schüttete Graf Egon sein übervolles
Herz aus, also daß nichts in ihm blieb, und
erzählte die trübe Geschichte von den stolzen
Waden, die ihren Zweck verfehlt hätten, weil
sich Niemand an ihnen weiden dürfte. Als der
Fürst das gehört, sagte er huldreich: „Leicht
helfen können!"
„Aber wie, Höchstheit?" schluchzte Graf
Egon.
Der Fürst lächelte fein und holte aus seiner
allergnädigsten Rocktasche Höchstallerselbst ein
Portefeuille.
„Wie?" stammelte Graf Egon, der nicht
begriff.
„Kultusministerium!" versetzte der Fürst und
drückte ihm leutselig die Hand, „gestatten, als
Erster gratuliren dürfen!"
Nun verstand Graf Egon und mit hin-
sterbendem Danke verneigte er sich tief vor der
allerhöchstselbst fortwandelnden Höchstheit.
Der Fürst kehrte noch einmal zurück und
sprach: „Verlegenheit! Portemonnaie augen-
blicklich vergessen! Aushelfen können?"
„Wieviel?" fragte der Graf demüthig.
„2500000 Goldgülden", versetzte der Fürst
heiter.
Graf Egon seufzte ein wenig, gab ihm fünf-
zig Gulden in baar — denn mehr hatte er nicht
bei sich — und überreichte ihm eine Anweisung
von 2499950 Goldgülden auf die „Allgemeine
Kohlrüben- und Kartoffelbank."
Acht Tage darauf stand Graf Egon vor seinem
Fürsten. Er sah prachtvoll aus: Violetter
Sammtfrack, gelbe Kniehosen und grünseidene
Strümpfe, deren kühngeschwungene Linien dem
Kenner sofort verriethen, daß es sich hier
um echtes Material, nicht um angeklebten
Stuck handelte.
Indessen war das Antlitz des Grafen von und
zu Brägenfels äußerst trübe. In der Hand
hielt er das juchtenlederne Portefeuille des
Kultusministeriums und gab es seinem Fürsten
mit folgender Ansprache zurück:
„Höchstheit! ich weiß die hohe Auszeichnung
wohl zu würdigen und ihre segensreichen Wir-
klingen auf die allgemeiile Ausbreitung der
Kenntniß meiner Kraft, aber ich habe nicht
das Zeug zum Kultusminister. Ich verstehe
von der Sache nichts. Ich habe gestern — er
seufzte in der Erinnerung an die ausgestandene
Pein — zur Probe Goethe gelesen, Wilhelm
Meisters Wanderjahre, und kein Wort begriffen.
Nein, ich verstehe nichts von diesem Ressort.
Vielleicht begnadigen mich Höchstheit lieber mit
dem Ackerbauministerium."
Der Fürst verlor keinen Augenblick seine
heitere und imposante Ruhe. Dann sagte er:
„Geht nicht. Ackerbau besetzt sein. Müssen
Kultus behalten. Vorkenntnisse nicht brauchen.
Was hier haben?" Damit zeigte der Fürst
mitten auf seine Brust.
„Das Herz, Höchstheit!"
„Kalt oder warm?"
„Warm, Höchstheit!"
„Also was haben zusammen?"
„Ich habe ein warmes Herz, Höchstheit."
„Genügt allen Anforderungen. Damit seit
Generationen mein Geschlecht regiert, viele
Minister", fuhr der Fürst fort. „Nichts weiter
sagen brauchen. Ich habe ein warmes Herz —
für Lehrer, Armee, Beamte, Landwirthschaft,
Industrie, Arbeiter u. s. w. So regieren. Alle
Angelegenheiten erledigen können. Punktus!"
So übernahm Graf Egon von und zu Brä-
genfels das Kultusministerium und verwal-
tete es mit dem warmen Herzen, das alle
Schwierigkeiten überwand, alle Konflikte löste,
die Opposition beschwichtigte, die Parteien
sammelte und gute Gesinnung weit und breit
pflanzte.
Wenn Graf Egon mit seinem violetten Frack,
den gelben Hosen und den in grünen Strümpfen
strotzenden Waden vor einer widerwilligen Ver-
sammlung stand, so brauchte er nur die Hand
auf die Brust zu legen und mit sonorem Klange
zu betheuern: „Meine Herren, ich habe ein
warmes Herz für —", alsbald schwiegen die
grimmsten Gegner. Bald stand es fest, daß
Graf Egon der größte Mann seiner Zeit im
Besonderen und seines Jahrtausends im All-
gemeinen war. In jedem bürgerlichen Hause
hingen mindestens zwei Bilder des Grafen,
natürlich in ganzer Figur, was denn zur Folge
hatte, daß er tagtäglich zahllose Liebeserklä-
rungen erhielt.
Als aber der Landesfürst einen „Strammen-
Waden-Orden", unterhalb des rechten Knies
zu tragen, für Verdienste um Kunst, Wissen-
schaft und soziale Fürsorge, stiftete und den
Grafen zum ersten Ritter dieses Ordens er-
nannte, da unternahm es die Wochenschrift
„Das warme Herz", die eigens zu dem Zwecke
begründet war, unter Anführung von Zeug-
nissen der größten Denker des Grafen Egon
welthistorische Bedeutung unter vorzüglicher
Berücksichtigung seiner Wadenmuskeln zu er-
härten. Selbst Doktordissertationen gab es
über den „Zusammenhang der menschlichen
Kultur mit dem Zellengewebe der Waden des
Grafen Egon von und zu Brägensels im Lichte
einer kraftethischen Weltanschauung".
Indessen mitten auf der Höhe seines segens-
reichen Wirkens erkrankte der Wadenheros des
Jahrtausends. Er schwand dahin, die seidenen
Strümpfe flatterten wie Segel in erlöschendem
Winde um seine Unterschenkelknochen, und alle
Aerzte waren rathlos. Vergebens flüsterte Graf
Egon jedem neuen Arzt schmeichelnd entgegen:
„Ich habe stets ein warmes Herz für die
Medizin gehabt". — Niemand konnte ihm
helfen; ja er wurde gerade nach solcher Ver-
sicherung jedesmal wie mit einem Ruck noch
elender.
Endlich wurde der berühmteste Spezialist
für Herzkrankheiten zitirt und der entdeckte
alsbald die Ursache des Siechthums: Das Herz
war um 12 Grad abgekühlt!
„Sie haben eben zuviel Wärme verbraucht",
sagte der durch seine urwüchsige Grobheit be-
kannte Spezialist. „Das hält ja kein Ochse
aus. Wollen Sie Ihr Leben retten, so müssen
Sie fortan die Wärme Ihres Herzens für sich
behalten. Noch ein einziges Mal: Ich habe
ein warmes Herz — und Sie kommen ins
Familienmausoleum."
Egon aber wollte leben, schon weil im
Mausoleum die unerhörten Waden verfallen
mußten, und er enthielt sich von Stund an
jeder Betheuerung seines warmen Herzens.
Und da es gerade ein außergewöhnlich warmer
Sommer war, bekam sein Herz bald wieder
die gehörige Temperatur, ja seine Strümpfe
mußten sogar eine Nummer weiter gewählt
werden.
Dafür aber warf er alle Petenten die Treppe
hinunter, erklärte im Parlament, die Herren