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Der wahre Jakob: illustrierte Zeitschrift für Satire, Humor und Unterhaltung — 17.1900

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https://doi.org/10.11588/diglit.8185#0160
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3304

in Südafrika viel schlimmer, wie unsere Boxer;
die Franzosen haben ihren Generalstab, die
Deutschen ihre Antisemiten — warum soll China
nicht seine Boxer haben? Oder meinen Sie, daß
die Engländer den General Roberts aufhängen
werden?"

Ich konnte das mit gutem Gewissen nicht be-
haupten, ließ deshalb diesen Punkt fallen und
machte dem Chinesen ernste Vorhalte darüber,
daß China sich von der europäischen Kultur ab-
schließe.

Li Hung Tschang lachte, daß ihm der Zopf
wackelte. „Wenn Euch das Abschließen so ärgert",
rief er, „warum macht Ihr es uns denn nach?
Ihr schließt Eure Häfen gegen billiges Getreide
ab, damit Eure Armen nothlciden müssen —
Ihr schreit nach der „offenen Thür" in China
und die eigene Thür wollt Ihr bei der Er-
neuerung Eurer Handelsverträge immer mehr
verrammeln, — so dumm seid Ihr und bildet
Euch ein, uns Weisheit lehren zu können!"

„Ihr zerstört sogar Eisenbahnen", zankte ich.

„Kommt vor", nickte der Chinese. „Aber da
sollte kürzlich in Rußland oder da herum ein
wichtiges Verkehrsniittcl, nämlich ein Kanal
gebaut werden, und die dortigen Boxer duldeten
es nicht — das ist doch dasselbe, wie bei uns in
China."

Ich nierkte, auf wirthschaftlichem Gebiet war
diesem Zopfmann nicht beizukommen und faßte
die Sache anders an; ich steckte eine scheinheilige
Miene auf und sagte vorwurfsvoll:

„Wir versuchen, Euch das Christenthum zu
bringen, und Ihr mißhandelt unsere Missionäre!"

„Hm", brummte Li Hung Tschang, „dasChristen-
thum — alle Achtung; aber was nützt uns eine
Religion, die nicht befolgt wird? Alle Menschen
sollen Brüder sein — wie steht's damit bei Euch?
Kommerzienräthe, Tischlergesellen, Hofmarschälle,
Harisirer, Generalmajore, Straßenkehrer, Groß-
herzöge — sind das Brüder? — Wer zwei Röcke
hat — Sie haben doch zwei Röcke?"

Ich bejahte. „Sogar noch einen Sommerüber-
zieher", bekannte ich.

„Na also, geben Sie das Ueberflüssige erst an
die Armen, ehe Sie mit Christenthum reuom-
miren. Schöne Sprüche haben wir selbst, Buddha
und Konfuzius bieten darin Großartiges. Was
würden Sie aber sagen, wenn chinesische Missionäre
damit nach Berlin kämen und den Berlinern
sagten, sie seien blinde Heiden, sie müßten sich
zu Konfuzius bekehren, damit sie vor deni Christen-
thum gerettet würden und die Berliner armen
Seelen in einen chinesischen Himmel kämen?
Meinen Sie, daß diese chinesischen Missionäre in
Berlin unbehelligt blieben?"

„Kaum", mußte ich bekennen. „Man würde
sie wegen Religionsschmähung einsperren und nach
verbüßter Strafe des Landes verweisen. Aber",
fügte ich hinzu, „das ist alles noch keine Ent-
schuldigung dafür, daß Ihr die Fremden todt-
schlagen wollt."

„Bedarf auch keiner Entschuldigung", sagte
der Chinese sauft. „Wir folgen danüt nur glor-
reichen europäischen Beispielen. Die Engländer
schlagen die Buren nieder — mit dem Rechte

des Stärkeren, denn sie sind zahlreicher wie die
Buren. Hier in China sind wir die Stärkeren,
warum also sollten wir Euch nicht todtschlagen!"

Er sah mich dabei scharf an und ich griff eilig
nach meinem Hute und empfahl mich, denn die
Logik des Chinesen wurde lebensgefährlich.

Kunsequen;.

Hrskig für die kapfrrn Buren schwürnien,
Sich um Krüger und um Cronjr härmen,
Wider England« Raubgelüstr lärmen,

Bis ;u Opfern selber sich erwärmen,

Wir bei einer VÜIKrrfrriheik lenx,

Gleich darauf jedoch mit wilder, neuer
Unternehmungslust und raschem Feuer
Hurrah schrei'« als Patriot und treuer
Anterthan xum China-Abrnleuer —

Zv was nennt man — deutsche Konsequenz.

Der Traum des Freiwilligen.

Die Dämmerung kam langsain heran und
aus der uralten Hauptstadt Peking stieg nur
ein schwacher Lichtschimmer empor. Die Söhne
des Reiches der Mitte vermutheten den Feind
nicht so nahe und schliefen meist sorglos, während
draußen vor den Thoren die internationalen
Truppen sich zum Angriff auf die Stadt ord-
neten. Bärtige Kosaken, blonde Engländer und
Deutsche, schwarzhaarige Franzosen und Italiener,
sowie braune Indier kämpften hier eiumüthig
nebeneinander.

Alle waren muthig und voll Siegeszuversicht,
aber keinem schlug das Herz höher als dem Ge-
freiten Haase aus Leisnig in Sachsen. Er sah
in eine große Zukunft hinein.

„Haase", sagte er mehrmals leise zu sich,
„heute Nacht mußt du ein großer und berühmter
Mann werden." —

Zu diesem Zweck war Haase nach China ge-
gangen. Zu Hause mußte er bei seinem Vater,
einem vor der Stadt wohnenden Kleinbauern,
auf dem Felde arbeiten. Dabei konnte nian
gewiß nicht General, nicht einmal Unteroffizier
werden. Aber in China! Und Haase hatte ein-
mal irgendwo gelesen, daß schon unter dem alten
Napoleon die Soldaten Marschallstäbe im Tor-
nister getragen hätten. Diese schöne Sitte schien
ihm leider abhanden gekommen zu sein.-

Auf einmal verbreiteten die Scheinwerfer eine
Tageshelle, es ward zum Angriff geblasen und
die Geschütze donnerten. Die Mauern von Peking
fielen um, wie wenn sie von Pappe gewesen
wären, und die Vertheidigcr mit den langen
Zöpfen ergriffen die Flucht, als sie die fremden
Truppen in Masse herandringcn sahen, Haase
immer Allen voran und auf den kaiserlichen
Palast los. Die alte Kaiserin zu fangen, das
war sein Gedanke; wenn er sie seinen! Koni-
mandanten vorführte, ihren langen Zopf um
seine Faust gewickelt, so war ihm eine große

Auszeichnung sicher und die Bahn zum Ruhme
und zur Größe war eröffnet.

Er drang in den Palast ein. Anfangs fand er
sich in dem Labyrinth von Geiuächern nicht zurecht;
bald aber sah er vor einer goldstrahlenden Flügel-
thür einen sieben Fuß hohen Kerl stehen. Ah, das
mußte der Leib-Eunuche der Kaiserin sein, von
dem es hieß, daß er eigentlich gar kein Eunuche
sei. Der Kerl wollte sich wehren, aber Haase schoß
ihn über den Haufen und drang in die geheimen
Gemächer der Kaiserin ein. Er sah die Alte
zitternd vor sich knieen. Sie rang die Hände.

„Ach, liebster Haase", flehte sie, „laß mich
laufen. Dort in meiner Schatulle sind ein paar
tausend Millionen, nimm Dir einige hundert davon
und bringe nrich sicher hinaus."

Haase zögerte. „Wenn Du nicht so alt wärst",
nieinte er, „würde ich Dich heirathen, dann wäre
ich Kaiser von China und als solcher wollte ich
die Anderen schon hinausschlagen."

„Ach", sagte die Kaiserin, „ich kann doch nichts
dafür, daß ich schon so alt bin."

Haase ward immer nachdenklicher. Endlich sagte
er: „Na, was kann da sein, ich heirathe Dich."

Sie stürzte sich an seine Brust.

„Haase, inein Haase", schluchzte sie, „Du bist
also in der That der edle und großmüthige Mensch,
als der Du mir im „Lokal-Anzeiger" geschildert
worden bist."

„Hurrah", schrie Haase, „ich bin der Kaiser
von China!" und — erwachte in der Schifsskoje.

„Ein Esel bist Du", schrie sein Unteroffizier,
„und wenn Du fortfährst, solchen Radau zu
machen, so laß ich Dich Kniebeuge machen, bis
Du in ich für die Kaiserin von China ansiehst,
verstanden, altes Kameel?" b.

Das Versuchskaninchen.

„Sie sind schon aus dem Spital zurück? Wo
hat's denn gefehlt?"

„Nichts. Kleine Augenentzündung."

„Ist aber glücklich geheilt, was?"

„Selbstverständlich. Mußte mir nachher blos
noch 'ne Gonorrhöe eininipfen lassen."

„Das lief doch gut ab?"

„Ganz ausgezeichnet! Hatte dafür nur einen
künstlichen Bauchtyphus aufzunehmen."

„Natürlich auch schon überstanden?"

„Und wie! Weil ich grade im Spital war,
ließ man mir gleich das neue Malariaserum
einspritzen, nachdem man probeiveise ein Malaria-
fieber in mir erregt hatte."

„Und der Versuch gelang?"

„Vorzüglich! Beinah'besser, als die Vernähung
eines Nabelbruchs, den ich früher noch nicht
besessen hatte. Zu Unterrichtszwecken trepanirte
inan mir noch ein bischen den Schädel."

„Brachte ihn aber wieder in Ordnung?"

„Tadellos! Steckte mir auch säinmtliche aus-
gezogenen Zähne wieder hinein. Wie Sie sehen,
fehlt niir gar nichts inehr."

„Na, dann gratulire also herzlichst!"

„Danke."

Berantwortiich sür die Redaktion Friedr. Fischer in Stuttgart. — Beklag und Druck von I. H. W. Dietz Aachs. <G. IN. b.H.) in Stuttgart, Furthbachstratze 12.
 
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