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Der wahre Jakob: illustrierte Zeitschrift für Satire, Humor und Unterhaltung — 17.1900

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https://doi.org/10.11588/diglit.8185#0181
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3325

mentarische Taktik. Auf meiner Seite stand auch Schraps, der
innerlich nicht mehr zu uns gehörte. Ich verlangte, daß wir,
wo immer es angängig schiene, unsere Anträge stellen und durch
die Reden, die wir dazu hielten, nach außen hin agitirten.
Liebknecht war gegen das „Parlamenten", wie er es nannte,
das uns und die Partei kompromittire und korrumpire. Als
wir uns nicht verständigen konnten, hielt er Ende Mai 1869
jene Rede im Berliner demokratischen Arbeiterverein, die unter
dem Titel: „lieber die
Stellung der Sozial-
demokratie insbeson-
dere mit Bezug ans
den Reichstag", als
Broschüre den Partei-
genossen bekannt ge-
worden ist. Ich hatte
damals insofern einen
ganz unerwarteten
parlamentarischen
Erfolg, alsbeiderBe-
rathung der Gewerbe-
ordnung ein von mir
gestellter Antrag auf
Abschaffung der Ar-
beitsbücher mit Hilfe
der Unterstützung, die
Lasker ihm lieh, An-
nahme fand und Ge-
setzeskraft erlangte.

Allerdings hat dann
zehn Jahre später die
Majorität des Reichs-
tags die Arbeitsbücher
für die nichtmündigen
Arbeiter wieder einge-
führt. Liebknecht hat,
wie er in späteren Aus-
lagen seiner Broschüre
darlegt, seinen dama-
ligen Standpunkt in
Bezug auf die par-
lamentarische Taktik
ausgegeben,weildurch
die Gründung des
Deutschen Reiches die
Situation eine an-
dere wurde. Es ver-
steht sich von selbst,
daß solche Meinungs-
verschiedenheiten, die
in jeder Partei un-
ausbleiblich und bei
der Verschiedenheit
der Charaktere natür-
lich sind, in keiner
Weise unsere persön-
lichen Beziehungen
berührten/ diese blie-
ben nach wie vor die
denkbar besten.

Der deutsch-französische Krieg.

Das folgende Jahr brachte uns den deutsch-französischen Krieg,
den Liebknecht im „Demokratischen Wochenblatt" und später im
„Volksstaat" unausgesetzt als die nothwendige Konsequenz der
Ereignisse von 1866 vorausgesagt hatte. Wir, die wir die Er-
eignisse des Jahres 1866 auf das Entschiedenste bekämpft hatten,
die in dem neugeschaffenen Nordbund alles andere als die Er-
füllung der Wünsche der deutschen Demokratie erblickten, der viel-
mehr im Gcgentheil dazu geschaffen worden war, dieselben für
immer unmöglich zu machen, besaßen keine Neigung, die Suppe
auslöffeln zu helfen, die Bismarck eingebrockt hatte. Wir waren

also, als die Kriegserklärung kam und der Reichstag einberufen
wurde, um die Mittel zur Kriegführung zu bewilligen, einig
darin, diese nicht zn bewilligen. Aber über die Form, in der
dieses geschehen sollte, waren wir uneinig. Liebknecht befürwortete
einfache Ablehnung, indem wir dazu eine entsprechende Erklärung
abgebeu sollten. Ich war für Stimmenthaltung, weil eine direkte
Ablehnung der Vorlage den Eindruck erwecken müßte, als stünden
wir auf Napoleons Seite. Nach langen Erörterungen, die wir

auf dem Gößnitzer
Bahnhof hatten, wo
wir, von einer Kon-
ferenz von Hohenstein
kommend, wegen der
durchpassirenden
Trnppenzüge auf ei-
nige Zeit die Reise
unterbrechen mußten,
stiinmteLiebknechtmir
bei und beauftragte
mich, die Erklärung
abzufaffcn. Ich legte
ihm dieselbe nächsten
Tages in Berlin vor,
worauf er dieselbe in
einigen Punkten mit
meiner Zustimmung
änderte und ich den
Auftrag erhielt, sie
im Reichstag zu ver-
lesen.

Das setzte aber einen
gewaltigen Sturm ab
innerhalb und außer-
halb des Reichstags,
um so mehr, da
Schweitzer und Ge-
nossen, im Gegensatz
zu uns, für die An-
leihe gestinnnt hatte».
Auch mit dem Partei-
ausschuß in Brauu-
schweig und der Kou-
troll - Kommission in
Hamburg kamen wir
in Konflikt, der erst
ausgeglichen wurde,
als »ach der Nieder-
lage und Gefangen-
nahme Napoleons in
derSchlachtbeiSedan
die Situation mit
einem Schlage eine
andere wurde. Wir
hatten aber während
dieser Zeit Böses ans-
zustehen gehabt. Die
sogenannte öffentliche
Meinung war aufs
Furchtbarste gegen
uns erregt worden und Schweitzer benutzte die Situation und
schickte einen seiner Agitatoren nach dem andern nach Leipzig,
um in Volksversammlungen gegen die „Landesverräther" Liebknecht
und Bebel donnern zu lassen, zu welchen Versammlungen durch
Plakate an den Straßenecken die patriotische Studentenschaft
Leipzigs als Hilfstruppe aufgerufen wurde. Diese Versammlungen
fielen zwar sehr zu Ungunsten ihrer Veranstalter aus, denn auch
unsere Anhänger geriethen jetzt in Wuth und es kam in den be-
treffenden Versammlungen mehrfach zu regelrechten Schlägereien, bei
denen die Gegner den Kürzeren zogen; aber angenehm war die
Situation keineswegs. Der Besuch von öffentlichen Lokalen war
uns unmöglich gemacht, mehrfach machten namentlich die Studen-
ten Versuche, mir eine Katzenmusik unter obligatem Fenster-
 
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