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borgenen Wohlthaten zählen bei der großen
Abrechnung doppelt, — sagen unsere Weisen."
Als ihm aber draußen der Lehrer bestätigte,
daß Löb Goldstein gegen die Armen ein Herz
von Stein gehabt habe, wiederholte der Rabbi
seufzend: „Hätt' ich das gewußt!"
Dann suchten die Beiden den „Kälbermaier"
auf, einen geradsinnigen, begüterten Viehh ändler,
der wegen seiner Ehrlichkeit von den Bauern
„der christlich Jnd'" genannt wurde, aber in
Folge seiner Grobheit viele Feinde hatte.
Kaum hatten sie Platz genommen, da be-
gann der Maier: „Da sehen Sie, Rabbi,
was Sie haben angerichtet. Die dummen
Weibervölker heulen und greinen über Ihre
Predigt, obwohl sie doch wissen, daß Sie Vieles
haben gesagt, das nit wahr is. Man hat Sie
halt falsch berichtet. Sonst hätten Sie nicht
können predigen, daß der Löb Goldstein selig
sei gewesen ein Friedensucher und ein Frieden-
stifter. Is er doch gewesen ein jähzorniger,
boshafter Mensch, und kein Mann in der
ganzen Gemeinde hat gehabt in seinem Leben
mehr Händel und Streit, als er."
„Er hat seinen Frieden gefunden", entgegnete
der Rabbi ruhig und stand auf.
Als er aber vor dem Hause von dem Lehrer
hörte, daß der Kälbermaier die Wahrheit ge-
redet habe, stöhnte er wieder: „Hätt' ich das
gewußt! Hätt' ich das gewußt!"
Zuletzt klopften sie noch bei dem Kaufmann
Moritz Rosenstock an. Dieser war durch sein
Tuchgeschäft reich geworden. Früher hatte er
mit seinen Maaren hausirt und dabei Moses
Rosenstock geheißen, später aber modernisirte
er sich, wurde oommis voyageur, versuchte hoch-
deutsch zu sprechen und brachte jeden Sabbath
für seine Landsleute die „neuesten" schlüpfrigen
Witze mit, die er sich von den Reisenden, seinen
„Kollegen", hatte erzählen lassen.
Als das Gespräch im Gang war, ließ Rosen-
stock mit schlauem Schmunzeln und in halb-
laut-vertraulichem Tone einfließen: „Als Sie
heute haben so rührend gesagt, was für ein
musterhafter Familienvater und getreuer Ehe-
gatte ist gewesen der verstorbene Goldstein, da
habe ich mir vorgenommen, Ihnen, Herr Doktor,
zu erzählen etwas, was Ihnen wird sein neu.
Es ist nämlich gewesen ein Gottes Wunder,
daß fast jedes Jahr in das Goldsteinsche Haus
hat müssen kommen eine neue Magd, weil die
alte ist worden gesegnet durch besondere Um-
stände. Um abzuhelfen diesem Uebel, ließen
die Goldsteins machen vor vielleicht zehn Jahren
einen starken Schlüssel und schlossen jede Nacht
die Schlafstube des Mädchens von außen ab.
Aber es hat dann gegeben viel Unfriede im
Hause, weil der Goldstein hat wollen nehmen
den Schlüssel zur Verwahrung bis zum Morgen,
während seine Frau hat ihm wollen abnehmen
diese Mühe."
Wider Erwarten des Moritz Rosenstock ver-
jag jedoch der Rabbi keine Miene und sagte ab-
schiednehmend mit ernster Stimme:
„Auch dem frommen König David, der in
Weiberschlingen gefallen war, hat Gott wieder
verziehen."
Als er aber auf der Straße aus dem Munde
des Lehrers vernahm, daß Goldstein und seine
Gattin wie ein bissiger Hund und eine böse
Katze zusammengelebt hätten, entrang sich wieder
seinem gequälten Herzen: „Hätt' ich das ge-
wußt! Hätt' ich das gewußt!"
Schweigend gingen sie eine Weile neben ein-
ander her; schon ein paar Mal hatte der Lehrer
einen Ansatz gemacht, als wolle er reden. End-
lich faßte er sich ein Herz und sagte, stotternd
vor Verlegenheit: „Ich will auf den Tobten
'acht schelten, aber Sie werden gern die Wahr-
heit hören. Sie haben am Grabe verkündet.
wie Vieles und wie Großes der Goldstein selig
für die Gemeinde als Vorsteher gethan hat,
wie unermüdlich er gewirkt hat und was für
eine hervorragende Kraft er gewesen ist. Ich
will Ihnen aber sagen, daß er sich um gar
nichts gekümmert hat und daß er fast nicht
hat lesen und schreiben können. Im Geheimen
Hab' ich ihm müssen besorgen alle schriftlichen
Amtssachen."
„Hat er Sie dafür bezahlt?" warf der Rabbi
mit strengem Blicke ein.
Erschrocken bejahte der Gefragte.
„Nun denn", verwies ihn hierauf der Rabbi,
„steht nicht geschrieben im Talmud: In den
Brunnen, daraus Du Wasser getrunken, wirf'
keinen Stein?!"
Aber der Lehrer hörte doch, wie der Rabbi
auch jetzt wieder murmelte: „Hätt' ich das
gewußt! Hätt' ich das gewußt!"
Sie waren unterdessen bei dem Trauerhaus
angelangt, wo das einsitzige Wägelchen schon
angespannt war, das den Rabbi zur Bahn
bringen sollte.
Beim Abschied war der Rabbi sehr einsilbig.
Unterwegs frug er seinen Fuhrmann, einen
stämmig gebauten, grauköpfigen Schwarzwäldxr,
wie lange er schon bei Goldstein in Dienst stehe.
„Sitter, daß mi Frau g'schtorben isch."
„Wie lange ist Ihre Gattin schon tobt?"
„Ha! ebene sechs Johr. Wie m'r halt d'r
Hof verlora heim, hett sie glich ang'fanga
z' kränkle."
„Da waren Sie also früher nicht Knecht,
sondern selbständiger Bauer?"
„Sell glaub' i. D'r Lindehof isch schun vor
meh als hundert Johre minere Familli g'sin."
„Aber wie haben Sie denn Ihr Gut verloren ?"
„Des weiß i selwer nit rächt. I Hab halt
viel mit 'm Goldsteinlöbsälig g'handelt un
g'handelt un uff ai Mol Hab' i nix as Schulde
g'hett un mi Hof het im Löb g'hört. Kinder
hemm mir nit g'hett. Mi Frau isch bal
g'schtorbe; no bin i halt zum Löb gange."
Der Rabbi frug nicht weiter, — aber er
athmete tief und schwer.
Am Bahnhof der Residenz wurde er von
seinem jungen, schönen Weibe abgeholt, das
ihn nach dem Willkommkuß besorgt fragte,
was ihm denn fehle.
Da erzählte ihr der Rabbi, was ihm wider-
fahren war, und schloß unter schmerzlichem
Seufzen: „Hätt' ich das gewußt, Sara, hätt'
ich das gewußt!"
Liebevoll und bewundernd streichelte sie seine
Wangen und suchte ihn zu trösten:
„Du bist zu gewissenhaft. Du hast ja voll
guten Glaubens geredet. Du hast das alles
ja nicht wissen können, — wer wollte Dir
daraus einen Vorwurf machen oder Dir's zur
Sünde rechnen?!"
Aber mit überlegenem, melancholischem
Lächeln belehrte sie der Rabbi:
„Soll ich nicht traurig sein, Sara? Hätt'
ich das alles gewußt, hätt' ich das alles vor-
her gewußt, so hätt' ich von der Frau Gold-
stein können verlangen mindestens das Drei-
fache; sie hätte mir müssen geben dreihundert
Mark statt hundert."
Neues Laster.
Die Eifersucht ist weltbekannt,
Lie hat entfacht schon manchen Brand,
Bedrohte Leben und Verstand
Und lockerte manch festes Band.
Lin ähnlich Laster, stadtbekannt,
Hat auch entfacht schon manchen Brand;
vornehmlich ziert's den Lchutzmannftand:
Die Uebereiferfucht benannt.
borgenen Wohlthaten zählen bei der großen
Abrechnung doppelt, — sagen unsere Weisen."
Als ihm aber draußen der Lehrer bestätigte,
daß Löb Goldstein gegen die Armen ein Herz
von Stein gehabt habe, wiederholte der Rabbi
seufzend: „Hätt' ich das gewußt!"
Dann suchten die Beiden den „Kälbermaier"
auf, einen geradsinnigen, begüterten Viehh ändler,
der wegen seiner Ehrlichkeit von den Bauern
„der christlich Jnd'" genannt wurde, aber in
Folge seiner Grobheit viele Feinde hatte.
Kaum hatten sie Platz genommen, da be-
gann der Maier: „Da sehen Sie, Rabbi,
was Sie haben angerichtet. Die dummen
Weibervölker heulen und greinen über Ihre
Predigt, obwohl sie doch wissen, daß Sie Vieles
haben gesagt, das nit wahr is. Man hat Sie
halt falsch berichtet. Sonst hätten Sie nicht
können predigen, daß der Löb Goldstein selig
sei gewesen ein Friedensucher und ein Frieden-
stifter. Is er doch gewesen ein jähzorniger,
boshafter Mensch, und kein Mann in der
ganzen Gemeinde hat gehabt in seinem Leben
mehr Händel und Streit, als er."
„Er hat seinen Frieden gefunden", entgegnete
der Rabbi ruhig und stand auf.
Als er aber vor dem Hause von dem Lehrer
hörte, daß der Kälbermaier die Wahrheit ge-
redet habe, stöhnte er wieder: „Hätt' ich das
gewußt! Hätt' ich das gewußt!"
Zuletzt klopften sie noch bei dem Kaufmann
Moritz Rosenstock an. Dieser war durch sein
Tuchgeschäft reich geworden. Früher hatte er
mit seinen Maaren hausirt und dabei Moses
Rosenstock geheißen, später aber modernisirte
er sich, wurde oommis voyageur, versuchte hoch-
deutsch zu sprechen und brachte jeden Sabbath
für seine Landsleute die „neuesten" schlüpfrigen
Witze mit, die er sich von den Reisenden, seinen
„Kollegen", hatte erzählen lassen.
Als das Gespräch im Gang war, ließ Rosen-
stock mit schlauem Schmunzeln und in halb-
laut-vertraulichem Tone einfließen: „Als Sie
heute haben so rührend gesagt, was für ein
musterhafter Familienvater und getreuer Ehe-
gatte ist gewesen der verstorbene Goldstein, da
habe ich mir vorgenommen, Ihnen, Herr Doktor,
zu erzählen etwas, was Ihnen wird sein neu.
Es ist nämlich gewesen ein Gottes Wunder,
daß fast jedes Jahr in das Goldsteinsche Haus
hat müssen kommen eine neue Magd, weil die
alte ist worden gesegnet durch besondere Um-
stände. Um abzuhelfen diesem Uebel, ließen
die Goldsteins machen vor vielleicht zehn Jahren
einen starken Schlüssel und schlossen jede Nacht
die Schlafstube des Mädchens von außen ab.
Aber es hat dann gegeben viel Unfriede im
Hause, weil der Goldstein hat wollen nehmen
den Schlüssel zur Verwahrung bis zum Morgen,
während seine Frau hat ihm wollen abnehmen
diese Mühe."
Wider Erwarten des Moritz Rosenstock ver-
jag jedoch der Rabbi keine Miene und sagte ab-
schiednehmend mit ernster Stimme:
„Auch dem frommen König David, der in
Weiberschlingen gefallen war, hat Gott wieder
verziehen."
Als er aber auf der Straße aus dem Munde
des Lehrers vernahm, daß Goldstein und seine
Gattin wie ein bissiger Hund und eine böse
Katze zusammengelebt hätten, entrang sich wieder
seinem gequälten Herzen: „Hätt' ich das ge-
wußt! Hätt' ich das gewußt!"
Schweigend gingen sie eine Weile neben ein-
ander her; schon ein paar Mal hatte der Lehrer
einen Ansatz gemacht, als wolle er reden. End-
lich faßte er sich ein Herz und sagte, stotternd
vor Verlegenheit: „Ich will auf den Tobten
'acht schelten, aber Sie werden gern die Wahr-
heit hören. Sie haben am Grabe verkündet.
wie Vieles und wie Großes der Goldstein selig
für die Gemeinde als Vorsteher gethan hat,
wie unermüdlich er gewirkt hat und was für
eine hervorragende Kraft er gewesen ist. Ich
will Ihnen aber sagen, daß er sich um gar
nichts gekümmert hat und daß er fast nicht
hat lesen und schreiben können. Im Geheimen
Hab' ich ihm müssen besorgen alle schriftlichen
Amtssachen."
„Hat er Sie dafür bezahlt?" warf der Rabbi
mit strengem Blicke ein.
Erschrocken bejahte der Gefragte.
„Nun denn", verwies ihn hierauf der Rabbi,
„steht nicht geschrieben im Talmud: In den
Brunnen, daraus Du Wasser getrunken, wirf'
keinen Stein?!"
Aber der Lehrer hörte doch, wie der Rabbi
auch jetzt wieder murmelte: „Hätt' ich das
gewußt! Hätt' ich das gewußt!"
Sie waren unterdessen bei dem Trauerhaus
angelangt, wo das einsitzige Wägelchen schon
angespannt war, das den Rabbi zur Bahn
bringen sollte.
Beim Abschied war der Rabbi sehr einsilbig.
Unterwegs frug er seinen Fuhrmann, einen
stämmig gebauten, grauköpfigen Schwarzwäldxr,
wie lange er schon bei Goldstein in Dienst stehe.
„Sitter, daß mi Frau g'schtorben isch."
„Wie lange ist Ihre Gattin schon tobt?"
„Ha! ebene sechs Johr. Wie m'r halt d'r
Hof verlora heim, hett sie glich ang'fanga
z' kränkle."
„Da waren Sie also früher nicht Knecht,
sondern selbständiger Bauer?"
„Sell glaub' i. D'r Lindehof isch schun vor
meh als hundert Johre minere Familli g'sin."
„Aber wie haben Sie denn Ihr Gut verloren ?"
„Des weiß i selwer nit rächt. I Hab halt
viel mit 'm Goldsteinlöbsälig g'handelt un
g'handelt un uff ai Mol Hab' i nix as Schulde
g'hett un mi Hof het im Löb g'hört. Kinder
hemm mir nit g'hett. Mi Frau isch bal
g'schtorbe; no bin i halt zum Löb gange."
Der Rabbi frug nicht weiter, — aber er
athmete tief und schwer.
Am Bahnhof der Residenz wurde er von
seinem jungen, schönen Weibe abgeholt, das
ihn nach dem Willkommkuß besorgt fragte,
was ihm denn fehle.
Da erzählte ihr der Rabbi, was ihm wider-
fahren war, und schloß unter schmerzlichem
Seufzen: „Hätt' ich das gewußt, Sara, hätt'
ich das gewußt!"
Liebevoll und bewundernd streichelte sie seine
Wangen und suchte ihn zu trösten:
„Du bist zu gewissenhaft. Du hast ja voll
guten Glaubens geredet. Du hast das alles
ja nicht wissen können, — wer wollte Dir
daraus einen Vorwurf machen oder Dir's zur
Sünde rechnen?!"
Aber mit überlegenem, melancholischem
Lächeln belehrte sie der Rabbi:
„Soll ich nicht traurig sein, Sara? Hätt'
ich das alles gewußt, hätt' ich das alles vor-
her gewußt, so hätt' ich von der Frau Gold-
stein können verlangen mindestens das Drei-
fache; sie hätte mir müssen geben dreihundert
Mark statt hundert."
Neues Laster.
Die Eifersucht ist weltbekannt,
Lie hat entfacht schon manchen Brand,
Bedrohte Leben und Verstand
Und lockerte manch festes Band.
Lin ähnlich Laster, stadtbekannt,
Hat auch entfacht schon manchen Brand;
vornehmlich ziert's den Lchutzmannftand:
Die Uebereiferfucht benannt.