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Der wahre Jakob: illustrierte Zeitschrift für Satire, Humor und Unterhaltung — 17.1900

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https://doi.org/10.11588/diglit.8185#0222
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3366

-$• Agrariers Glaubensbekenntmtz. -Z-

Ob Chlodwig geht und dafür Bülow kommt,

Ob Waldersee und feiner Chinairuppe
Die Temp'ratur im fernen Osten frommt,

Das, meine Herrn, ist mir entschieden schnuppe.

Und treibt man's auch in China noch so toll
Und spukt es noch fo heftig in der Presse —

Ich habe nur für den Getreidesoll
Und für die Höhe dieses Zolls Int'resse.

Man schmäht von dem, was sonst für uns geschieht
Und nimmt den Mund voll hochgeschwollner Phrasen,
Doch wenn die Sache man bei Licht besteht,

So ist man kalt wie alle Hundenasen.

Platonisch eben bleiben Lieb und Groll
Und einig gehen drin der Preuhe, Bayer, Hesse:
Wie wird's demnächst mit dem Gelreidezoll?
Die Frage ist für uns allein noch von Int'resse.

Ein Patriot bin ich ja sicherlich

Und weih gelegentlich sogar zu schwärmen.

Doch werd' ich nur für meine Tasche mich
Und für die Rente meines Guts erwärmen.

Man wirft mir vor, und zwar in Dur und Moll,

Dah ich des Volkes letztes Mark erpresse.

Was schadet das? Nur der Getreidesoll
Hat für den adligen Besitz Int'resse.

Man schimpft natürlich wieder lästerlich,

Doch alles Zetern lätzi und alles Schreiben
Mich völlig kühl, denn Ich bin eben Ich
Und werde stets mir selbst der Nächste bleiben.

Ob man verhungert, ob man toll und voll
Nach leidiger Proletenart sich fresse,

Was kümmert's mich? Nur der Getreidezoll

Und seine Höhr hat für mich Int'resse. eim«* von r>«r sn,ner.

(Nicht unter 1000 Hektar.)

Berlin, Anfang November.

Lieber Jacob!

Also der Reichstag is uff'n vierzehnten innberufen, zu seine jewöhn-
liche Zeit, wenn wir keenen Krieg mit China hatten un nich so nn so ville
Dausend Soldaten ibers Wasser jeschickt un nich so un so ville Millionen
dafor ausjejeben hätten. In andere Staaten is et Mode, bet, wenn sonne
Sachen jcmacht werden, bet Parlament um seine Meinung jcfragt un um
Bewillijung for de nothwendijen Jelder anjejangen wird; bei uns aber muß
sich der Reichstag schon jlicklich schätzen, wenn er hinterher erfahren dhut.

wat man alles, ohne ihn zu fragen, jemacht hat. Det Maul kann man ja
in'n Reichstag Keenen verbieten, aber reden dhut weiter nich weh, denken
sich de Minister un hören denn de Entristungsreden seelenruhig mit an,
indem se de Daumen ibern Bauch drehen, wenn se eenen haben.

Aber ick weeß nich, et kommt mir so vor, als ob man doch 'n bisken
bange vor dem Reichstag hat un wat eenen da Allens jesagt werden
kann. Onkel Chlodwigen is 't sicher so jejangen, denn er hat sich noch
vor Dhoresschluß dinne jemacht. Kinder, mag er zu seine Kinder jesagt
haben, ick mach nich mehr mit. Ick armet unschuldijet Wurm habe lange

Inhalt der Unterhaltungs-Beilage.

Die Nachwahl im VI. Berliner Reichstagswahlkreise. Illu-
stration. — Der vergnügte Staatsanwalt. Gedicht. — Ein
internationaler Kriegskongreß. — Weltpolitik vor fünfzig
Jahren. Gedicht und Illustration. — Die schöne Marietta.
Von K. v. Heugel. — Die Mutter. Gedicht und Illustration.

— Parlamentarische Nachrichten. — Der neue Antrag Kanitz.

— Die verkehrte Welt. — Gebet vor der Schlacht. Illu-
stration. — Holländisches. Illustration. — Literarische An-
zeigen.

Aus Südafrika.

Der olle ehrliche John Bull ist außer sich, daß
Onkel Krüger einen tüchtigen Klumpen Goldes
bei Seite geschafft. Es ist in der That eine
grenzenlose Gemeinheit, besagten braven John
Bull auf diese Weise um sein sauer durch Raub,
Mord und Diebstahl erworbenes Hab und Gut
zu bringen. Die europäischen Mächte werden
hoffentlich nicht verfehlen, dem gekränkten John
Fahnderdienste zu leisten und den Verbrecher Paul
Krüger, der bereits steckbrieflich verfolgt wird,
festzunehmen. In, Namen der europäischen Kultur
und Gesinnung! x

Neuestes von Serenissimus.

Serenissimus liest einen Zeitungsausschnitt,
auf dem die Mittheilung steht, daß unter der
Leitung des Vize - Reichskanzlers, des
Krafen von posadowsky, der Spezia-
list für Auchthausgesetze und Arbeiter-
fürsorge Lserr von woedtke sich von der
Scharfmacherklique Stumm, Arupp,
Bueck u. Gen. Zwölftausend Mark hat
ausgeborgt, um eine Agitation dafür zu ent-
falten, daß alle Ltreikbrüder ins Zuchthaus
eingesperrt werden können.

„tzm, meint Serenissimus, dem Grafen von
Posadowsky will ich doch für diese staats-
erhaltende Chat sofort meine Büste und dem
guten woedtke den gelben kjahnenorden mit
Greifenklauen schicken."

Idealer aus öem Königsplatz in Berlin.

Bim bam, bim bam, geöffnet ist das Raus,
Hun strömt herbei, gerichtet ist die Bühne,
man spielt ein Stück voll Cragik und Rumor,
Und nennt es „Boxerschuld u. Runnensübne“.

Gin grosses Stück, o-und ein wirkungsvolles,
So glänzend ward kein „Laufs" je inszenirt!
Und Reden, - Reden werden drin gehalten,
Da seid ihr sprachlos einfach und frappirt.

Und Achtung jetzt! Uerscbwunden der Statist,
Gin neuer Rerr, der „Reld“ betritt die Szene;
Gin schöner mann, wie nur ein Reld es ist,
Gewandt, galant, bald Bass--, bald Jlötentöne.

man wird erstaunt, berauscht sein vor ent-
zücken,

3a, der - der kann’s; ja das ist ein Akteur.
GJie weiss er der Regie sich zu bequemen,
Spricht jedes Ulort genau wie der Souffleur.

Der Düse grösstes, männlich Gegenstück,
UJie kann er Andre trefflich nachempfinden.
Der zieht, der zieht. Und um den Ausgang

jetzt

Des Stückes muss jedwede Sorge schwinden.

Ob auch der Pöbel pfeift im „Paradiese“,*
mit dem als Reld, da fällt das Stück nicht durch;
Dein, siegen wird’s, begeisternundentzünden,
UJie nur ein Blumenthal und Radelburg.

* Oberste Batterie im Cbeater.

Wshrscheinlichkeiks-Iustix.

In Magdeburg ist kürzlich der Redakteur der
„Volksstimme" wegen Majestätsbeleidigung ver-
urtheilt worden. In dem Prozeß vertrat der
Staatsanwalt die Anschauung, „daß das Ver-
brechen des Angeklagten zwar nicht mit mathe-
matischer Sicherheit zu beweisen sei, doch spreche
ein hoher Grad von Wahrscheinlichkeit dafür."

Es ist selbstverständlich, daß wir bei dieser
neuesten Errungenschaft nicht stehen bleiben dürfen;
vielmehr muß nun, nach der „wahrscheinlichen
Schuld" auch der Begriff der „wahrschein-
lichen Verurtheilung" in die deutsche Rechts-
pflege eingeführt werden.

Der Herr Staatsanwalt schöpft z.B. Verdacht,
daß der X. den A. u in g e b r a ch t hat. Vorsichtiger
Weise erhebt er die Anklage nur auf wahr-
scheinlichen Mord. Der Gerichtshof verurthcilt
den Angeklagten wahrscheinlich zum Tode.

Der wahrscheinliche Verbrecher fragt nun den
Vorsitzenden: Werde ich geköpft oder nicht?

Der Vorsitzende: Hm — wahrscheinlich!

Verbrecher: Darf ich mich entfernen?

Der Präsident zuckt blos mit den Achseln.

Der wahrscheinliche Verbrecher geht nun viel-
leicht unbehelligt fort, wahrscheinlich aber erwischt ihn
der Scharfrichter am Kragen und macht ihn wahr-
scheinlich am nächsten Morgen einen Kopf kürzer.

Einfach.

In Mansfeld ist einem armen Arbeiter auf
offener Postkarte folgende Mahnung zugegaugen:
Ihr Sohn Hermann ist ain vergangenen
Palmsonntag von inir eingesegnet worden. Für
seine Einsegnung ist jetzt eine Gans an die
Mansfelder Pfarrkasse zu entrichten. Sie
werden hiedurch ersucht, mir im Laufe einer
Woche die Gans zu bringen, oder mit
3,50 Mk. bezahlen. Wehm er, Pastor,

Rendant der Pfarrkasse.

Der „Herr Paster" scheint demnach geradewegs
seinen Bauch als Pfarrkasse zu betrachten.
 
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