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Der wahre Jakob: illustrierte Zeitschrift für Satire, Humor und Unterhaltung — 18.1901

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https://doi.org/10.11588/diglit.6609#0021
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— 3419 . •

Weihnachtabend war's. In der Lehrerwoh-
nung im Schulhaus herrschte eine dumpfe
Stille. Die Fensterläden waren halb geschlossen,
so daß das hereinfallende Licht die Stube nur
theilweise beleuchtete. Drinnen sah es ärmlich
aus und unordentlich, als ob hier seit Langem
die sorgende Hand fehle. Der Eindruck wurde
noch erhöht durch die großen Löcher, die herab-
gefallener Lehm in den feuchten Wänden und
der Decke hinterlassen hatte. Zwei blasse
Jungen hockten mit verweinten Augen am
Ofen und rührten sich nicht, während aus der
Nebenstube die Schritte des Lehrers widerhallten,
der dort mit zusammengekniffenen Lippen und
thränenleeren Augen neben einem roh gezim-
merten Sarge auf- und abging. Darinnen lag
die todte Frau, und wenn die Käthner, die
draußen auf der verschneiten Straße des Be-
gräbnisses harrten, durch die Fensterspalte
blickten, konnten sie das spitze Gesicht der
Todten sehen, das von so vielen Leiden er-
zählte.

Der Lehrer fuhr zusammen, als ein paar
der Leute eintraten und im Hausflur eine Trag-
bahre niedergesetzt wurde. Aus dem Dorfe
klang die Kirchenglocke herüber und jetzt kam
auch der Pfarrer feierlich gemessenen Schrittes
herein.

Dann traten die Käthner scheu zurück. Man
hörte Pferdegetrappel und das Knirschen von
Wagenrädern im Schnee; der Gutsherr er-
schien unter der Thüre, würdig, gerührt, theil-
nahmsvoll, um der todten Lehrersfrau das letzte
Geleite zu geben.

Wie sie die Leiche hinaustrugen, drückte er
dem Lehrer mit biederer Herablassung die
Hand und versicherte ihm laut, daß es Jeder
hörte, sein Beileid.

„Das hätte Niemand gedacht, daß es so
schnell gehen würde. Die arme Frau. . . . Die
gnädige Frau und ich hatten grade eine
schleunige Hilfeleistung beschlossen ... da kam
die Todesnachricht. Ja, Sterben greift an die
Nieren. Ich Hab' es erfahren. Wie ich noch
beim Regiment stand und mir mein bestes Renn-
pferd so auf einmal einging. . . ." Er stockte,
als er sah, wie es den Lehrer förmlich hob,
und etwas verlegen fügte er hinzu: „Nichts
für ungut ... es war blos ein Vergleich.
Nee, so plötzlich sterben und grade zu Weih-
nachten. . . ."

Der Zug schob sich langsam die Straße
hinunter; hinter der Bahre der Pfarrer, der
Lehrer, die beiden weinenden Jungen, dann
der Baron und der Gutsinspektor, in respekt-
vollem Abstand die Handvoll Käthner. Und
die Schneeflocken wirbelten herab auf das Be-
grnbniß armer Leute.

Auf dem Kirchhof standen bei der offenen
Gruft die Frauen aus dem Dorfe. Alles starrte
den Gutsherrn an. War es denn nicht eine
hohe Ehre für den Lehrer, daß der gnädige
Herr selbst mitging?

Der Pfarrer hatte seine Rede begonnen, die
Rede, die er immer hielt, wenn Einer aus dem
Dorfe starb. Eine Christin war gestorben, eine
treue Mutter bis an ihr Lebensende, ein Vor-
bild für die Gemeinde, Trost den weinenden
Hinterbliebenen. . .

Der Lehrer hörte von alledem nichts. Er
stierte auf den braunen Erdhaufen, in dem ein
Spaten steckte, auf den Sarg, der auf zwei
Brettern über dem gähnenden Erdloch stand,
er sah den Gutsherrn, der in tadellosem
Schwarz, ein korrekter Ehrenmann, ihm gegen-
über stand.

. . . Und weil sie so brav gewesen, sprach
der Pfarrer, trauert an ihrem Sarge die
Gemeinde und der gnädige Herr, der Herr
Baron. . .

Der Pfarrer hielt erschreckt mite; der Lehrer
hatte eine gräßliche, gellende Lache ausgestoßen.
Er streckte seine dürren Arme über das Grab
hin, nach dem Gutsherrn.

„Da steht ihr Mörder!"

Die Leute fuhren erschrocken auseinander und
traten vom Grabe zurück. Nur der Gutsherr,
der Lehrer und der Geistliche blieben stehen.

„Herr Lehrer", sagte der Pfarrer salbungs-
voll, „nehmen Sie sich doch zusammen; Sie
wissen nicht, was Sie sprechen."

„Und ich weiß es doch", schrie der Gequälte
mit wilder Stimme, sich an den Gutsherrn
wendend, „meine Frau brauchte nichts als ein
wenig Licht und Sonnenschein, welches Sie
von Ihrem Ueberfluß hergeben konnten, aber
Sie ließen uns in einem feuchten Lehmloch
verkommen! Mit erhobenen Händen Hab' ich
Sie gebeten, als es noch Zeit war. Sie ließen
sie zu Grunde gehen. . . Sie haben sie ge-
mordet und deshalb fort von dem Grab!"

Der Baron trat wie betäubt zurück. „Das
werden Sie zu bereuen haben", drohte er mit
heiserer Stimme und dann schwankte er hinaus
durch die Reihen seiner Käthner, die scheu aus-
wichen. Auch der Pfarrer und die Leute folgten.
Zwei Käthner ließen den Sarg an Stricken in
die Gruft hinab, dann gingen auch sie. Nur
der bleiche, bebende Mann stand noch da und
starrte in das Grab, in welches die Schnee-
flocken hinabtänzelten. Vom Thurme her läute-
ten die Weihnachtsglocken und eine Scholle
löste sich von dem Erdhaufen und schlug dumpf
ans den Sarg.
 
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