8422
Agitator
Nun, Freunde, Iaht gemach das Reden sein,
Ein Agitator kam, der „über" doch uns allen;
Wo er erscheint, da schlägt er sicher ein,
Mag seine Art auch Manchem nicht gefallen.
Es schert ihn kein Verbot der Polizei,
Der peinlichen» der leicht gekränkten Dame,
Und unter offnem Himmel hält er frei
Versammlung ab, und — Winter ist sein Nanre.
Wen sonst kein Wort, kein Mahnen auch vielleicht
Aus seines Elends dumpfem Traum gerüttelt,
Er fährt empor, wenn ihn sein Arm erreicht,
Wenn seine Hand mit rauhem Griff ihn schültelt.
Er ruft ihm zu: Was bist du arm und blos,
Und sind doch Andre warm und weich geborgen?
Jst's deine Schuld, dasi Elend nur drin Loos,
Krankheit und Noth und Thränen heut' und morgen?
Was frierst du, sprich, und hungerst, arbeitslos?
Wuchs Brot genug nicht allen Menschenkindern?
Birgt Kohlen nicht genug der Erde Schvsi,
Den harten Frost durch heisze Gluth zu mindern?
Winter.
Wohl Manchen schon mein Hauch zum Tode traf,
Der gleich verhaßt bei Armen wie bei Reichen,
Doch wer auch sank vor mir irr Todesschlas,
Stets ivar's eiir Armer, stets nur deirresgleichen.
Noch drang ich rin irr keines Reichen Haus;
Der schlug rnir zu die Thüre vor der Nase.
Nur sucht' ich manches Opfer schon mir aus
Auf offnem Feld, auf schneeverwehter Straße.
Doch ob auch rauh und häßlich meine Art,
Und hmrdert schon vor mir am Wege starben,
Nicht ist mein Herz, wie das der Menschen hart,
Die sühllos sehn, wie ihre Brüder darben.
Und also mahnt der Winter hier und dort,
Und wo kein „Heher" noch bisher erhob die Stimme,
Da predigt er — und wär's der fernste Ort,
Ein Agitator nun mit scharfem Grimme.
Da kündet er des Volkes bittre Noth
Troß Polizei, Gendarm und Feierstunde;
Kein Staatsanwalt, der ihm das Wort verbot,
Und weiß es doch, daß er mit uns im Bunde. Dr.
Blitzdraht-Meldungen.
Berlin. Eine Unfallversicherung für Minister wurde soeben gegründet. Die-
selbe soll die schlimmen Wechselfälle, denen die Berufsklasse der Minister ausgesetzt ist,
mildern, und bei plötzlichem Fall die erste Hilfe und Obdach bieten.
— Es werden in der Bevölkerung allgemein Klagen über die zu große Billigkeit
des Brotes laut. Der Reichskanzler ist mit dem Bunde der Landwirthe in Verbindung
getreten, um dem Uebelstande möglichst gründlich abzuhelfen.
Belgrad. Das Denkmal König Milans wurde soeben enthüllt. Es ist auf Granit
fundirt und mit Eisengittern umgeben, damit Milan es nicht versetzen kann.
Inhalt der Unterhaltungsbeilage.
Deutsch -Oestreichisches. Illustration. — Ein Rezept für-
große Männer. — Die neue Methode. — Rußland in China. —
Edle Vorbilder. — Weltpolitik. Illustration. — Ein Rück -
blick ins alte und ein Ausblick ills neue Jahr-
hundert. Von August Bebel. — Pro patria — fürs Kapi-
tal. — Ein japanischer Arbeiterführer. — Des Volkes Quit-
tung. — Frau Moritz Frühzeitig. Von Don Quixote. —
Beim dritten Stockwerk. — Der Held von Südafrika. Illu-
stration. — Kaiser Kwang-Sü.
ITHquels Rücktritt.
Des Deutschen Ijerz wird nicht beklommen,
Wenn irgend ein Minister fällt,
Ja selbst der Kanzler geh'» und Kommen
Uns wenig nur in Spannung hält,
Wir können jeden gerne meiden,
Der beut der Held des Cages ist,
Doch anders ist es, wenn zum Scheiden
Der Vater MiqneI sich enfscbliesst.
Der Miguel, der mit kaltem Blute
Die Reicbsscbuld täglich wachsen siebt,
Der kräftig schwingt die Steuerruthe,
Den niemals schreckt ein Defizit,
Der aus der Uolkskraft reichen Schätzen
Die Jlotte und das Heer beschenkt —
Wer kann den Miguel uns ersetzen,
Wenn amtesmiid sein Haupt er senkt?
Der Miguel, der mit Junkern heute
Und morgen mit dem Krupp cbartnirt,
Der aus den Zöllen reiche Beute
Den stolzen Herren garantirt,
Der heute für und morgen wider
Projekte seine tanze bricht,
Und doch so brav erscheint, so bieder —
Solch einen Zweiten giebt es nicht.
Der Miguel, der auf rauhen Pfaden
Zu seinen Ordenssternen kam,
Der gradwegs von den Barrikaden
Den Weg zum Glanz des Hofes nahm,
kr kennt die tiefen und die Höhen
Auf unsres Erdenlebens Bahn,
Darum mit innigem verstehen
Setzt er die Steuerschraube an.
Was soll aus Deutschlands Weltmacht werden,
Wenn Miguel nicht dahinter steht?
Wer schafft das Geld, damit auf Erden
Jlllorts die deutsche flagge webt?
Wie soll die deutsche Reichsfregatte
Sich schützen gegen Sturm und Riff,
Wenn plötzlich treulos diese Ratte
Mit schnellem Sprung verlässt das Schiff?
Solch’ bange fragen jäh erwachen,
Wenn Vater Miguels Rücktritt droht,
Gs träumt von Krisen und von Krachen
Der zahlungsfähige Patriot.
Indess — „Was kümmert mich der Miguel?"
Der Proletarier lachend spricht.
„Gr nahm mir schon den letzten Dickel,
Mehr nimmt mir auch ein Andrer nicht.“
_ M. IC.
Ein netter „Knigge".
Wie uns von buchhändlerischer Seite geschrieben
wird, soll unter dem Titel „Der neue Knigge"
oder „lieber den Umgang mit Menschen" beim
nächst ein neues Werk erscheinen, das einen in
letzter Zeit vielgenannten Oberhofmeister zum Ver-
fasser hat. Derselbe ist der Ansicht, daß „der alte
Knigge" einem modernen christlichen Empfinden
nicht mehr zu genügen im Stande ist. Allein
nicht nur in gnalitativer, auch in gnantitativer
Hinsicht wird dieser „neue Knigge" den alten bei
Weitem übertreffen. So wird derselbe unter
anderem auch Kapitel enthalten mit der Ueber-
schrift: „Ueber den Umgang mit Bank-
direktoren", „lieber den Umgang mit Ar-
beitern" >t. s. w., wie man sieht alles Themen,
über die der selige Knigge nichts gesagt hat.
Ter mit dem Buche erzielte Gewinn ist für
den Ban einer neuen Kirche bestimmt.
Das Echo im Meirtzskag
bildete vor Kurzem den Gegenstand einer Unter-
suchung. Eine geheime Kommission, zusammen-
gesetzt ans Rednern, Musikern und Elektro-
technikern stellte Folgendes fest: Wurde vom
Regierungstisch ans nach der Mitte des Saales
zu gesprochen, so schallte ein lautes und deutliches .
Echo zurück. Nun ist auch die bekannte Be-
willignngsfrendigkeit des Zentrums in
Militärfragen erklärlich. Der Reichskanzler
hat eben nur nöthig, seine Marine- und Militär-
reden mit der stereotypen Frage zu schließen:
„Meine Herren Zentrumsmitglieder. stimmen Sie
für Marine und Militaria?" um sofort die ge-
wünschte Antwort zu erhalten: „I—a!"
Die an das Echo gestellten weiteren Fragen
und die prompten Antworten hat uns die mit
der Untersuchung betraute Kommission freundlich
zur Verfügung gestellt:
Kennst du den Mann, der höchst modern gekleidet.
Dem selbst Apollo seine Schönheit neidet.
Und der so klug, so chic und so mobil o?
Echo: Bülow!
Kennst du den Mann, der Vater von dem Worm ist.
Das Agnes heißt und sparsam ganz enorm ist?
Der Jreisinnsmannen großen Weisheilstrichter?
Echo: Richter!
Kennst du den Mann, der oft vor Schwäche um fällt.
Wie Joseph keusch ist und sich riesig frumm stellt.
Und der an Schläue fast dem Miguel über?
Echo: Lieber!
Kennst du den Mann, den jämmerlich Gehos'len,
Den einst im Reichstag Hohn und Spott umtosten.
Und der seither der Klown im Reichstagssaal ward?
Echo: Ahlwardt!
Kennst du den Mann, der züchtiglich mit Strümpfen
Und Nöcken kleiden will die Marmornymphen?
Glaubt denn der Mann, die nackten Puppen frören?
Echo: Roeren! . E. Gr.
Es ist immer von Zeit zu Zeit eine Flotten-
vorlage nöthig, damit das Zentrum der Regierung
seine Unterwürfigkeit beweisen kann.
Duellxwang.
Hinz: Warum sollen denn die Reserve-
offiziere gezwungen werden, sich gegenseitig im
Duell zu massakriren?
Kunz: Ans praktischen Gründen: damit diese
überflüssige Menschenklasse nicht gar so sehr
überhand nimmt.
Agitator
Nun, Freunde, Iaht gemach das Reden sein,
Ein Agitator kam, der „über" doch uns allen;
Wo er erscheint, da schlägt er sicher ein,
Mag seine Art auch Manchem nicht gefallen.
Es schert ihn kein Verbot der Polizei,
Der peinlichen» der leicht gekränkten Dame,
Und unter offnem Himmel hält er frei
Versammlung ab, und — Winter ist sein Nanre.
Wen sonst kein Wort, kein Mahnen auch vielleicht
Aus seines Elends dumpfem Traum gerüttelt,
Er fährt empor, wenn ihn sein Arm erreicht,
Wenn seine Hand mit rauhem Griff ihn schültelt.
Er ruft ihm zu: Was bist du arm und blos,
Und sind doch Andre warm und weich geborgen?
Jst's deine Schuld, dasi Elend nur drin Loos,
Krankheit und Noth und Thränen heut' und morgen?
Was frierst du, sprich, und hungerst, arbeitslos?
Wuchs Brot genug nicht allen Menschenkindern?
Birgt Kohlen nicht genug der Erde Schvsi,
Den harten Frost durch heisze Gluth zu mindern?
Winter.
Wohl Manchen schon mein Hauch zum Tode traf,
Der gleich verhaßt bei Armen wie bei Reichen,
Doch wer auch sank vor mir irr Todesschlas,
Stets ivar's eiir Armer, stets nur deirresgleichen.
Noch drang ich rin irr keines Reichen Haus;
Der schlug rnir zu die Thüre vor der Nase.
Nur sucht' ich manches Opfer schon mir aus
Auf offnem Feld, auf schneeverwehter Straße.
Doch ob auch rauh und häßlich meine Art,
Und hmrdert schon vor mir am Wege starben,
Nicht ist mein Herz, wie das der Menschen hart,
Die sühllos sehn, wie ihre Brüder darben.
Und also mahnt der Winter hier und dort,
Und wo kein „Heher" noch bisher erhob die Stimme,
Da predigt er — und wär's der fernste Ort,
Ein Agitator nun mit scharfem Grimme.
Da kündet er des Volkes bittre Noth
Troß Polizei, Gendarm und Feierstunde;
Kein Staatsanwalt, der ihm das Wort verbot,
Und weiß es doch, daß er mit uns im Bunde. Dr.
Blitzdraht-Meldungen.
Berlin. Eine Unfallversicherung für Minister wurde soeben gegründet. Die-
selbe soll die schlimmen Wechselfälle, denen die Berufsklasse der Minister ausgesetzt ist,
mildern, und bei plötzlichem Fall die erste Hilfe und Obdach bieten.
— Es werden in der Bevölkerung allgemein Klagen über die zu große Billigkeit
des Brotes laut. Der Reichskanzler ist mit dem Bunde der Landwirthe in Verbindung
getreten, um dem Uebelstande möglichst gründlich abzuhelfen.
Belgrad. Das Denkmal König Milans wurde soeben enthüllt. Es ist auf Granit
fundirt und mit Eisengittern umgeben, damit Milan es nicht versetzen kann.
Inhalt der Unterhaltungsbeilage.
Deutsch -Oestreichisches. Illustration. — Ein Rezept für-
große Männer. — Die neue Methode. — Rußland in China. —
Edle Vorbilder. — Weltpolitik. Illustration. — Ein Rück -
blick ins alte und ein Ausblick ills neue Jahr-
hundert. Von August Bebel. — Pro patria — fürs Kapi-
tal. — Ein japanischer Arbeiterführer. — Des Volkes Quit-
tung. — Frau Moritz Frühzeitig. Von Don Quixote. —
Beim dritten Stockwerk. — Der Held von Südafrika. Illu-
stration. — Kaiser Kwang-Sü.
ITHquels Rücktritt.
Des Deutschen Ijerz wird nicht beklommen,
Wenn irgend ein Minister fällt,
Ja selbst der Kanzler geh'» und Kommen
Uns wenig nur in Spannung hält,
Wir können jeden gerne meiden,
Der beut der Held des Cages ist,
Doch anders ist es, wenn zum Scheiden
Der Vater MiqneI sich enfscbliesst.
Der Miguel, der mit kaltem Blute
Die Reicbsscbuld täglich wachsen siebt,
Der kräftig schwingt die Steuerruthe,
Den niemals schreckt ein Defizit,
Der aus der Uolkskraft reichen Schätzen
Die Jlotte und das Heer beschenkt —
Wer kann den Miguel uns ersetzen,
Wenn amtesmiid sein Haupt er senkt?
Der Miguel, der mit Junkern heute
Und morgen mit dem Krupp cbartnirt,
Der aus den Zöllen reiche Beute
Den stolzen Herren garantirt,
Der heute für und morgen wider
Projekte seine tanze bricht,
Und doch so brav erscheint, so bieder —
Solch einen Zweiten giebt es nicht.
Der Miguel, der auf rauhen Pfaden
Zu seinen Ordenssternen kam,
Der gradwegs von den Barrikaden
Den Weg zum Glanz des Hofes nahm,
kr kennt die tiefen und die Höhen
Auf unsres Erdenlebens Bahn,
Darum mit innigem verstehen
Setzt er die Steuerschraube an.
Was soll aus Deutschlands Weltmacht werden,
Wenn Miguel nicht dahinter steht?
Wer schafft das Geld, damit auf Erden
Jlllorts die deutsche flagge webt?
Wie soll die deutsche Reichsfregatte
Sich schützen gegen Sturm und Riff,
Wenn plötzlich treulos diese Ratte
Mit schnellem Sprung verlässt das Schiff?
Solch’ bange fragen jäh erwachen,
Wenn Vater Miguels Rücktritt droht,
Gs träumt von Krisen und von Krachen
Der zahlungsfähige Patriot.
Indess — „Was kümmert mich der Miguel?"
Der Proletarier lachend spricht.
„Gr nahm mir schon den letzten Dickel,
Mehr nimmt mir auch ein Andrer nicht.“
_ M. IC.
Ein netter „Knigge".
Wie uns von buchhändlerischer Seite geschrieben
wird, soll unter dem Titel „Der neue Knigge"
oder „lieber den Umgang mit Menschen" beim
nächst ein neues Werk erscheinen, das einen in
letzter Zeit vielgenannten Oberhofmeister zum Ver-
fasser hat. Derselbe ist der Ansicht, daß „der alte
Knigge" einem modernen christlichen Empfinden
nicht mehr zu genügen im Stande ist. Allein
nicht nur in gnalitativer, auch in gnantitativer
Hinsicht wird dieser „neue Knigge" den alten bei
Weitem übertreffen. So wird derselbe unter
anderem auch Kapitel enthalten mit der Ueber-
schrift: „Ueber den Umgang mit Bank-
direktoren", „lieber den Umgang mit Ar-
beitern" >t. s. w., wie man sieht alles Themen,
über die der selige Knigge nichts gesagt hat.
Ter mit dem Buche erzielte Gewinn ist für
den Ban einer neuen Kirche bestimmt.
Das Echo im Meirtzskag
bildete vor Kurzem den Gegenstand einer Unter-
suchung. Eine geheime Kommission, zusammen-
gesetzt ans Rednern, Musikern und Elektro-
technikern stellte Folgendes fest: Wurde vom
Regierungstisch ans nach der Mitte des Saales
zu gesprochen, so schallte ein lautes und deutliches .
Echo zurück. Nun ist auch die bekannte Be-
willignngsfrendigkeit des Zentrums in
Militärfragen erklärlich. Der Reichskanzler
hat eben nur nöthig, seine Marine- und Militär-
reden mit der stereotypen Frage zu schließen:
„Meine Herren Zentrumsmitglieder. stimmen Sie
für Marine und Militaria?" um sofort die ge-
wünschte Antwort zu erhalten: „I—a!"
Die an das Echo gestellten weiteren Fragen
und die prompten Antworten hat uns die mit
der Untersuchung betraute Kommission freundlich
zur Verfügung gestellt:
Kennst du den Mann, der höchst modern gekleidet.
Dem selbst Apollo seine Schönheit neidet.
Und der so klug, so chic und so mobil o?
Echo: Bülow!
Kennst du den Mann, der Vater von dem Worm ist.
Das Agnes heißt und sparsam ganz enorm ist?
Der Jreisinnsmannen großen Weisheilstrichter?
Echo: Richter!
Kennst du den Mann, der oft vor Schwäche um fällt.
Wie Joseph keusch ist und sich riesig frumm stellt.
Und der an Schläue fast dem Miguel über?
Echo: Lieber!
Kennst du den Mann, den jämmerlich Gehos'len,
Den einst im Reichstag Hohn und Spott umtosten.
Und der seither der Klown im Reichstagssaal ward?
Echo: Ahlwardt!
Kennst du den Mann, der züchtiglich mit Strümpfen
Und Nöcken kleiden will die Marmornymphen?
Glaubt denn der Mann, die nackten Puppen frören?
Echo: Roeren! . E. Gr.
Es ist immer von Zeit zu Zeit eine Flotten-
vorlage nöthig, damit das Zentrum der Regierung
seine Unterwürfigkeit beweisen kann.
Duellxwang.
Hinz: Warum sollen denn die Reserve-
offiziere gezwungen werden, sich gegenseitig im
Duell zu massakriren?
Kunz: Ans praktischen Gründen: damit diese
überflüssige Menschenklasse nicht gar so sehr
überhand nimmt.