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J^etl bcm Zensor. ^

Der Zensor ist ein braver Mann,

Gr ist ein hoher Sittenrichter,

Er setzet seinen Rothstist an
Und zähmt den Uebermuth der Dichter,
was Hauptmann oder Tolstoi schrieb,
Uann unsern reinen Sinn verderben,
Drum ihres Herzens wilder Trieb
Muß durch die Hand des Zensors sterben.

wie schwer verletzt ein Hunnenbrief
Doch unser nrenschliches Empfinden,
Die Seele ist beleidigt tief.

Der Ekel kaum zu überwinden.

Hier wahrlich soll etwas geschehn,
Der Sitte und Moral zu Ehren —
Der Zensor soll nach China gehn,
Und soll den Hunnen Mores lehre,:.

Der Zensor ist Gewissensrath
Und unsres Geistes Amme ist er,

Lr leitet auf der Tugend Pfad
Den ausgewachsenen Philister.

G, feindet nicht den Zensor an,

Ihr Volksvertreter, ihr verehrten,
wer weiß, wie er uns nützen kann,
Verstehn wir recht ihn zu verwerthen.

Nicht einzig von der Bühne nur
Bedroh:: Gefahren unsre Reinheit,

Auch anderwärts gar inanche Spur
wir schau'n von häßlicher Gemeinheit.
Ls giebt selbst in der Politik
Oft rechte widerwärt'ge Sachen —

Da soll des Zensors strenger Blick
Als Tugendschützer treulich wachen.

wie häßlich, was im Bueck-Skandal

Der Welt sich jüngstens offenbarte;

wie ist geschädigt die Moral,

wo man nicht Treu' und Glauben wahrte,

wo feile Doppelzüngigkeit

Zun: Volksbetruge schärft die Waffen -

Ans Zensor! rüste dich zum Streit,

Hier giebt's etwas für dich zu schaffen.

wo mit dem falschen Heil'genschein
Sich fromme Heuchler dekoriren,
wo feige Ariecher „Hurrah" schrei'::,
wo schurk'sche Spitzel denunziren,

Da wird die Sitte und die Ehr'

Besudelt in dem schli:nn:sten Sinne,

Da komm' mit Rothstift und mit Scher',
Du Zensor, und dein Werk beginne!

Inhalt der Unterhaltungs-Beilage.

Papst Leo's Jahrhundert-Ode. Gedicht von Dr. — Die
schönste Narbe. — Lob der Frömmigkeit. — Abschiedsklage. —
Der Tanzbär. — An Sanden. — Roth. Gedicht von Cl. Müller.
— Schmarotzerpflanze. Von Fritz. — Aufruf. — Lebensläng-
lich. Von Hans Hyan. — Gedankenbalken. — Frau Sorge. —
Deutsches Kulturbild. Illustration. — Die Obdachlosen. Ge-
dicht von Ernst Preczang. — Der rothe Vogel. Von Detlev
Roberty. — Blut is dicker als Wasser. Illustration. — Der
Herr zu Transvaal. Illustration. — Briefkasten.

Streikpoffenflehrn.

Was nicht dir Neichsgrwalk kann wagen,
Das übt in Lübeck der Senat,
Streikposten fing er mit Behagen,

Wie staunend man vernvimnen hat.

Doch leider, am Gesetze reibt sich
Auch rin Senator straflos nicht,

Und Lichter giebt's sogar in Leipzig,

Die lhalen strenge ihre Pflicht.

Und sie erkannten Lübecks Schuld an —
Sei ein Senator mächtig zwar,

So fei er lange noch kein Sultan,

Und fei auch lange noch kein Zar.

Die stolzeste der Republiken,

Alt-Lübeck, traf das Urtheil schwer —
Streikposten stehn vor den Fabriken,

Und kein Senat kann'« hindern mehr!

Denn seht, nicht in den Himmel wachsen
Die Bäume Stnimns — erkenn' es, Prrutz,
Und merk' es Dir, Du kleines Sachsen,
Und merk' es Du auch, kleinres Rrutz.

Das koinmt davon.

Seit der 12000 Mark-Geschichte wird Graf
Posa von den Bedienten des Herrn v. Bucck
mit unglaublicher Kollegialität behandelt.
Neulich wurde ihm sogar von einem Lakaien die
Brüderschaft angetragen!

Die Verwerflichkeit der Kanäle.

Von unserm eigenen Limburg-Ztirum.

Es ist ein Zeichen unserer gottlosen Zeit, daß
man immer wieder das sträfliche Gelüste äußert,
in Preußen Kanäle bauen zu wollen.

Ich brauche nur auf den Pauamakanal hiuzu-
weisen, der noch nicht einmal fertig ist, und dessen
Name doch schon als Inbegriff aller Korruption
überall angewandt wird.

Auch von dein Suezkaual hat man nie ge-
hört, daß er zur Hebung der Landwirthschaft bei-
getragen oder das Ansehen des preußischen Adels
gefördert hätte; die Schädlichkeit des Nordostsee-
kanals wird nur dadurch gemildert, daß in ihm
die Schiffe stecken bleiben, und die Kanalisation
von Berlin, ein Werk der demokratisch-sozialistisch
durchsetzten Stadtverwaltung, ist eine direkt übel-
riechende Sache.

Warum sollten wir Kanäle bauen?

Das von autoritärer Seite gesprochene Wort:
„Unsere Zukunft liegt auf dein Wasser" kann
uns dazu nicht veranlassen, denn es ist ganz falsch
ausgelegt worden. Es sollte damit nur gesagt
werden, der arme Grundbesitzer müsse statt des
Champagners in Zukunft Wasser trinken, wenn
er sich gegen die Uebergriffe der sogenannten
Kultur nicht wehrt. Und gerade ein Kanal ist
ein solcher Uebergrisf. Es ist schlimm genug, daß
die Eisenbahnen fremdes Getreide hereinbringen
und das einheimische so zweckmäßig trausportiren,
daß nirgends eine kleine Hungersnoth mit erfreu-
lich hohen Brotpreisen zu Stande kommt. Jedoch
die Eisenbahn braucht wenigstens Maschinen,
Kohlen u. s. w., und der Transport kostet daher
für größere Entfernungen viel Geld. Aber das
Wasser hat die empörende Eigenschaft, seine Lasten
umsonst zu tragen, und der Wind, in Segeln
eingefangen, trägt in ebenso gemeiner Weise zur
billigen Beförderung von Maaren bei.

Wenn auf diese Weise die Flüsse und Ströme
den armen Landwirth an den Bettelstab zu bringen

suchen, so hätte eine fürsorgliche Staatsregierung
längst einschreiteu und Frachtschiffe, Schlepp-
dampfer und ähnlichen groben Unfug verbieten
und konfisziren sollen. Statt dessen will mau
die einzelnen Ströme noch durch künstliche Wasser-
straßen verbinden! Das ist eine direkte Auf-
lehnung gegen die göttliche Weltordnuug, denn
wenn die Vorsehung gewollt hätte, daß Rhein
und Elbe miteinander in Verbindung stehen sollen,
dann würde sie schon dafür gesorgt haben.

Wie ein so revolutionäres Unterfangen die
Billigung der sonst in puncto Fortschritt unver-
dächtigen preußischen Regierung finden und wie
es von dem klugen Minister von Miguel unter-
stützt werden konnte, das ist mir unbegreiflich.

Die Behauptung, wir Konservativen wollten
die Zustimmung zu dem Kanalprojekt geben als
Gegenleistung für einen hohen Getreidezoll —
das ist auch wieder so eine schwarze Verdächtigung.
Wir wollen den hohen Zoll, das ist richtig, aber
wir werden uns selbst durch die weitestgehenden
Zugeständnisse nicht bewegen lassen, einer solchen
revolutionären Unternehmung, wie es das Kanal-
projekt ist, unsere Zustimmung zu geben. Wir
wollen nur haben, niemals geben, das ist unser
unwandelbares Prinzip.

Auf der Börse.

Pinkussohn: Nu, was sagen Sie zu der
Rede des Ministers Schönstedt über die Zurück-
setzung jüdischer Rechtsanwälte?

Nathansohn: Wissen Sie nicht, was Lasker
hat gesagt zu Bismarck?

Pinkussohn: Nu, was hat er gesagt?

Nathansohn: Bismarck klopfte einmal im
Reichstag den kleinen Lasker auf die Achsel und
sagte ironisch: „Jetzt werden Sie bald Minister,
Herr Lasker!" — „Nein, Durchlaucht", gab der
zur Antwort, „mir hat man schon als kleines
Kind von acht Tagen die Karriere abge-
schnitten!"
 
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