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Der wahre Jakob: illustrierte Zeitschrift für Satire, Humor und Unterhaltung — 18.1901

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https://doi.org/10.11588/diglit.6609#0047
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3446 .

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Die rothe Kahne wieder
Heb' ich in heller Gluth —

Lin Strom jungfrischer Lieder
Geht brausend durch mein Blut.
Zersprungene Retten fallen
Mir klirrend von Hand und Kuß —
Luch, meinen Brüden allen,

Biet' ich den Kreiheitsgruß!

Ich Hab' ihn selbst durchrungen,

Den harten Aampf der Zeit;

Meine Laute ist zersprungen
In rauhem Bloß und Streit.

Mit schwielenfesten Händen
Hab' ich sie neu bespannt —

Mein Volk, nun will ich senden
Dir meinen Gruß ins Land!

Ich knie an deinem Lager,

Zertrstner Proletar;

Dein Antlitz, fahl und hager.

Stell' ich den Sternen dar.

Kreiluft in deine Stuben-

Geh' lachend in den Tod:

Ich hebe deinen Buben
Ins leuchtende Morgenroth!

Durch schweigende Wälder schreit' ich, —
Ich lausche der Wogen Gebraus;

Aeber schwangere Kelder breit' ich
Die Hände segnend aus.

Durch Gärten, die zertreten,

Kührt mich der flüchtige Lauf — —

Da blühen auf allen Beeten
Die rothen Aelken auf.

All', wo ich Samen streue.

Grüßt mich das heilige Bolh,

Das durch des Himmels Bläue
Als Klammenzeichen droht.

Das tief im Menschenherzen,

Lin heißer Blutstrom bebt.

Und über dem Heer der Schmerzen
Als loderndes Banner schwebt!

Die rothe Kahne wieder
Kass' ich mit festem Muth,

Iungtrotzige Rampfeslieder
Brausen durch mein Blut.

Lin Hallen und ein Dröhnen

Aommt weither über Land —-

Der Kreiheit starken Söhnen
Reich' ich die Schwesterhand.

Llara Müller.

Schmarotzerpflsure.

¥

Der starke Eichbaum erwachte aus seinem
Winterschlaf. Nicht ganz, dazu fehlte noch viel,
sehr viel sogar. Aber es dämmerte ihm, daß
der Winter vorbei, daß der Frühling gekommen
und er empfand das wiederbeginnende Auf-
steigen der Säfte. Da stand er in der Lenz-
luft, kahl, vollständig kahl. Nur oben am
Wipfel grünte es. Der Mistelbusch war's, der
hatte seine Wurzel unter die Rinde und in
das Holz des Eichbaums eingebohrt und saugte
die ersten Säfte auf.

Ganz wach war der Eichbaum noch nicht,
aber doch genug, um Mißbehagen darüber zu
empfinden, dem er durch ein seltsames Schütteln
der Aeste, halb unbewußt, Ausdruck gab. Der
Mistelbusch wußte sofort, was der Eichbaum
meinte. Das Schütteln der Aeste hatte zwar
nichts Beunruhigendes für ihn, denn er haftete
fest, aber mit jener Feinfühligkeit, die den an
höheren Stellen Gebornen eigen ist, errieth
er, was es bedeuten sollte.

„Undankbarer, — begann er — statt Dich zu
freuen, daß Du mit Grün geschmückt bist,
während rings herum Alles noch unbelaubt
und dürr, empfindest Du Unzufriedenheit?
Wie thöricht! Sei stolz auf mich, Deine
Zierde!"

Das reizte den Eichbaum und er schüttelte
seinen Wipfel nur um so heftiger. Unwillig
rief nun der Mistelbusch: „Ja, so seid Ihr,
knorriges, ungehobeltes, einsichtsloses Volk,
ohne Verständniß für das Schöne, Edle! Nur
den niederste», materiellen Interessen fröhnend!
Was wärst Ihr ohne uns? Aber das begreift
Ihr eben nicht — und eigentlich kann man's
Euch nicht einmal verdenken. Woher solltest
Du auch wissen, wer und was ich bin? Schon
den Chaldäern heilig, bei den Griechen ge-
weiht, in der Edda mit ehrfurchtsvoller Scheu
erwähnt, den Druiden Gegenstand religiöser
Verehrung, den alten Deutschen —"

Der Mistelbusch brauchte nicht weiter zu
reden. Schon längst hatte der Eichbaum jeden
Versuch, ihn abzuschütteln, aufgegeben. Das
mit der Zierde, das war eitel Geflunker; so
viel verstand er schon, daß, wenn die dem
Mistelbusch zugeführten Säfte ihm selbst zu
Gute gekommen wären, er ganz einfach zu
grünen begonnen hätte, so daß die fremde
Zierde entbehrlich wurde.

Aber der Mistelbusch war — heilig, seit
vielen Jahrhunderten heilig. Da ließ sich
freilich nichts machen.

Der Eichbaum schlief zwar nicht mehr, aber
ganz wach war er noch nicht geworden. Dazu
fehlte viel — sehr viel sogar. Fritz.

Hobelspahn.

Wenn sich ein Einzelner bestechen läßt, findet
man das gemein, — schwerer aber dringt diese
Erkenntniß durch, wenn sich ganze Völker durch
Glanz und Pracht bestechen lassen.
 
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