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Der wahre Jakob: illustrierte Zeitschrift für Satire, Humor und Unterhaltung — 18.1901

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https://doi.org/10.11588/diglit.6609#0051
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— 3450 • •

Die Obdachlosen.

„Wir haben keine Beimalb, wir haben kein Raus,
Ueberm Kopfe kein elender Sparren!

6s treibt wie ein Mack in die Brandung hinaus
Unsers Bebens zerbrochener Karren.

Bui! pfeift der üüind über Strom und Teld —

Und kein wärmendes Lager bietet die Mit,

Bis sie uns wie Bunde verscharren!

Unser Bette — wie weich! — aus Laub und ßras,
Bin IDaulwurfsbaufen das Kissen,

Die Decke der Bimmel, bald blau, bald blass,

Bald klar, bald schwarz und zerrissen;

Zerfetzt wie unsere Lumpen sind!

was beulst du, Weib! was jammerst du, Kind!

Werden s halt fragen müssen.

Denn die Welt ist so enge, die Welt ist so klein:

Kein Winkel für uns ist entbehrlich;

was sagten sie doch: die Stadt bleibt rein,

Denn solches Pack ist gefährlich,
hinaus das Besindel, zum Chore hinaus!
wir baten um Obdach im Armenhaus,

Da biess man uns frech und begehrlich.

Jürwabr, der Bnade war’s schon zu viel,

Mit der wohlthat beisst’s sparsam zu schalten,

Sie haben uns ja in ihrem Asyl
Drei volle Dächte behalten.

Ich denke des herrlichen Lagers dort
Und wie im Craume winkt der Ort
Belllockend durch die Spalten.

Weib, lass das Beulen! Sei ruhig, Kind!

Kamerad, gieb mir die Jlasclje!

Durch meine Lumpen bläst der wind

Und bläht die leere Lasche.

ßieb her vom Schnaps den schalen Rest!

Zum Leute! auch! 6s ist ein Test,
wenn ich die Kehle wasche.

Der Fusel brennt... Weib, heule nicht!...
Erquickende Zisternen
Seh ich im rothen Abendlicht
Auftauchen aus den Jemen.

Bort mich! Ich mein’, ihr glaubt es kaum,

Wie nun ein wundersamer Craum
mich aufträgt zu den Sternen:

Dort oben, wo die Lichter sind,

Wo keine Menschen wohnen,

Dort pflanzte uns ein Bimmelskind
Kartoffeln, Brot und Bohnen.

Dort blitzt kein Belm, dort droht kein Arm,

Dort gebt es uns so wohl und warm
3ust wie hier den Baronen,

Dorf steh n der grossen Bäuser viel
Mit langgestreckter Balle
Und jedes Baus ist ein Asyl
Und Raum ist für uns Alle.

Man fragt nicht: Was? Man fragt nicht: Wer?
Kein Wächter trottet gram umher
Und weist den Platz im Stalle.

Dein! Offen stehen die Pforten, weit,

Denn Alle sind geladen,

Und warme Becken sind bereit,

Den staub’gen Leib zu baden.

Zerbrich die Flasche, Kamerad!

Bier springt ein Wasser, delikat,
ln perlenden Kaskaden.

Bier rastet froh in jeder Dacht

Die erdverstossne Bruppc

.. . Ba! Wie sie gierig lechzt und lacht,

Die unverschämte truppe! .. .

]a, staunt! ln diesem Paradies
Winkt uns an jedem Lage süss
Kartoffel, Brot und Suppe!“ —

Bui! Durch die Lumpen pfeift der Wind;

Die schwarzen Fahnen winken,

6s heult das Weib, es ächzt das Kind,

Und Stern und Craum versinken.

Rings brütet Finsterniss und Dacht . . .

Die Ordnung nur, die rettende, wacht

Und Knöpfe und Belme blinken, ernst Preczang.

Der roihe Vogel.

Von Detlev Roberty.

Dingsda war nächst der Residenz die be-
deutendste Stadt des kleinen, kaum sünszig-
tansend Einwohner zählenden Fürstenthums
und für die erste Persönlichkeit am Orte galt
allgemein Herr Theophil Rindfleisch, seines
Zeichens Kommerzienrats, und Eigenthümer
einer Fabrik für Fahrräder und Automobile.

Mit Hilfe eines werthvollen Patents, das
er einein armen Techniker für ein Spottgeld
abgehandelt, hatte er es binnen weniger Jahre
zum höchstbesteuerteir Manne des Fürsten-
thums gebracht. Neben einem ansehnlichen
Landgut besaß er in Dingsda selbst eine glän-
zend eingerichtete Villa inmitten herrlicher
Parkanlagen; er hielt sich Wagen und Pferde,
in seinem Keller die besten Weine und zu dem,
was man so gemeinhin Glück nennt, fehlte
Herrn Theophil Rindfleisch nichts mehr. —
Und doch, ein Wunsch mar ihm, der sich sonst

alles leisten konnte, noch inrmer unerfüllt ge-
blieben: ein Orden.

War der Neid irgend welcher hohen Persön-
lichkeiten daran Schuld, war es Vergeßlichkeit,
Zufall, Herr Rindfleisch hatte sich schon die
allererdenklichste Mühe gegeben, um Sere-
nissimi Blick auf sein noch immer leeres
Knopfloch zu lenken. Bei jedem Wohlthütig-
keitskomite figurirte sein Name unter den
ersten, zu jedem Kirchenbaufonds hatte er nam-
hafte Summen gezeichnet. Alles umsonst. —
So oft auch — zu Neujahr oder an Sere-
nissimi Geburtstag — ein Ordensregen nieder-
gegangen war, an Herrn Theophil Rindfleischs
Knopfloch war nie ein Sternlein hängen ge-
blieben.

Da kam ihm eines Tages ein erleuchteter
Gedanke. Wie, wenn das am Ende helfen
würde. — Serenissimus, ein beschränkter, aber
gutmüthiger alter Herr, der das Regieren in
der Hauptsache seinen Ministern überließ und
weder durch große Thaten oder auch nur Reden
zu glänzen suchte, war ein passionirter Vogel-
liebhaber. — In einem lauschigen Winkel des
Hofgartens befand sich eine riesige Voliöre,
voll der schönsten, auserlesensten Vögel, denen
er Morgen für Morgen seinen Besuch abzu-
statten pflegte, und auch in Serenissimi Privat-
gemächern piepte und zwitscherte es an allen
Ecken und Enden. Vögel und immer wieder
Vögel; davon konnte Serenissimus gar nicht
genug bekommen. — Wie, wenn es Herrn
Rindfleisch gelänge, mit einem ganz besonders
seltenen Exemplar der gefiederten Welt die
Gunst des Monarchen zu erringen? Und auch
an Gelegenheit, Durchlaucht einen solchen Piep-
matz allernnterthänigst zu Füßen zu legen,
sollte es ihm nicht fehlen. Hatte Durchlaucht
doch seinen lieben Dingsdaern für das nächste
Jahr seinen hohen Besuch in Aussicht gestellt
und verlauten lassen, daß er unter Anderem
auch eine Besichtigung des berühmten Etablisse-
ments von Theophil Rindfleisch in sein Pro-
gramm aufzunehmen gedenke. Herr Rindfleisch
wußte also, was er zu thun hatte. — Nicht
genug, daß er nach allerhöchstem Vorbild auch
in seinem Parke eine prächtige Voliere mit aller-
hand gefiedertem Gethier aufstellen ließ, er
reiste auch überall umher, um möglichst kost-
bare Arten und Exenrplare anfzukaufen und
danach um so bessere Auswahl treffen zu können.

— Aber schließlich befriedigte ihn von allen
seinen Käufen doch keiner, und, voller Zweifel,
ob es ihm auch gelingen werde, auf diesem
Wege das Ziel seiner Wüirsche zu erreichen,
war er nahe daran, schwermüthig zu werden.

— Aber Herr Theophil Rindfleisch hatte im
 
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