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—. 3451

Leben noch immer mehr Glück als Verstand
gehabt, und so kam ihm auch jetzt der Zufall
zu Hilfe. — Weil ihn sein Weg eines Tages
in die Gegend seines Leib- und Magenschusters
geführt, und ihm an einem Paar neuer Stiefel,
die er anhatte, noch immer etwas nicht recht
war, war er bei Meister Knieriem eingetreteu,
um seine Beschwerde gleich persönlich anzu-
bringen. Nun, dem Uebel war bald abgeholfen
worden, und HerrRind-
fleisch hatte schon wie-
der die Thürklinke in
der Hand gehabt, als
er auf einmal stutzte.

Was war denn das?

Wer pfiff denn da auf
einmal mit reiner, voll-
tönender Stimme:

„Heil dir im Siegerkranz,

Herrscher des Vaterlands,

Heil, König, dir!"

Meister Knieriem lä-
chelte und zeigte nach
der Decke, wo ganz oben
an der Wand zwei,
drei dnnkleVogelkästen,
richtiger Gefängnisse,
hingen. „Das ist der
Rothgimpel da oben,

Herr Kommerzienrath;
denn von uns Beiden
ist's Keiner, ich nicht
und der Franzl auch
nicht; der pfeift schon
ganz andere Sachen."

Ueber Herrn Theo-
phil Rindfleischs Ge-
sicht flog ein Schein
der Verklärung; aber
dann packte er Meister
Knieriem bei beiden
Armen und rief erregt:

„Meister, Meister, den
muß ich haben; ich zahle
Ihnen alles dafür;
was Sie wolle», was
Sie wollen." Meister
Knieriem war es zu-
frieden, und so wurden
sie bald handelseinig.

„Aber noch eines",
sagte Herr Theophil
Rindfleisch, nachdem er
Meister Knieriem kurz
auseinandergesetzt,was
er mit dem Gimpel
vorhabe, „bis Durch-
laucht kommt, werden
noch einige Monate ins
Land gehen; behalten
Sie mir den Vogel so-
lange in Pflege. Ich
lasse ihn zu seiner Zeit
schon bei Ihnen holen.

Sorgen Sie nur, daß
er mir das schöne Lied
inzwischen nicht verlernt; womöglich noch etwas
dazu lernt. Sie sehen, ich zahle gut, Meister.
Also, auf Wiedersehen."

Als Herr Kommerzienrath Rindfleisch die
Thüre von draußen zugemacht hatte, nahm
Meister Knieriem de» Franzl, seinen Lehrbuben
vor und sagte: „Siehst, was man mit dem
Gepfeife für ein schönes Geld verdienen kann?
Siehst? — wenn Du dem Gimpel noch so was
beibringen hilfst, kriegst auch was davon." —
Franzl, der bei Meister Knieriem noch keine
guten Tage gesehen und auch den „ollen
protzigen" Kommerzienrath von wegen einiger
Ohrfeigen nicht im besten Andenken hatte,

machte ei» möglichst dummes Gesicht und sagte
treuherzig: „Jawohl, Meester — wenn Sie
fort sein Abends, werd ich's ihm immer wieder
vorpiepeu; eegal und immer nur: ü—ü—ü—

Heil dir im Siegerkranz
Herrscher des Vaterlands
Heil König dir."

Endlich war der große Tag gekommen, der
Herrn Theophil Rindfleisch an das Ziel seiner

Wünsche bringen sollte. — Durchlaucht hatte
der berühmten Automobilfabrik wirklich seinen
Besuch abgestattet und Worte gnädigster An-
erkennung fallen lassen; er hatte auch mit
großem Interesse die Voliere in Rindfleischs
Park in Augenschein genommen und endlich
im Hause des Herrn Kommerzienraths noch
einen Imbiß einzunehmen geruht. Da, als
der Adjutant bereits Befehl gegeben, den
Wagen Vorfahren zu lassen, nahte sich Rind-
fleisch Serenissimus mit den devotesten Bück-
lingen und hauchte im süßesten Flüsterton:
„Wollen Durchlaucht allergnädigst geruhen,
von Ihrem gehorsamst ergebenen Rindfleisch

»och eine kleine Ueberraschung huldvollst eut-
gegenzunehmen?"

Serenissimus üickte beifällig; ein paar Flügel-
thüren wurden geöffnet, und den erstaunten
Blicken zeigte sich auf einem, mit den Landes-
farben geschmückten Piedestal ein großer, gol-
dener Vogelbauer, in dem ein prächtiger Roth-
gimpel vergnügt von Stange zu Stange hüpfte.
„Ah", schmunzelte Serenissimus, indem er
an den Bauer heran-
trat. „Sehr schön,mein
lieber Rindfleisch, sehr
schön."

Rindfleisch Warschau
fast außer sich vor Glück
und Wonne.

„Aber — aber, das
ist noch nicht Alles,
Durchlaucht", hob er
daun wieder devot an.
„Wenn Durchlaucht ge-
statten, der Kleine, den
ich Durchlaucht bitte,
huldvollst als Geschenk
von mir annehmen zu
wollen — der Kleine
ist auch ein geschulter
Sänger und — patrio-
tischer Unterthan."

Und nun spitzte Herr
Theophil Rindfleisch
seine dicken, wulstigen
Lippen und suchte den
kleinen Sänger sreund-
lich zu animiren, indem
er ganz leise ü—ü—ü,
„Heil dir im Sieger-
krauz" pfiff.

Aber, o Schreck, der
Gimpel wollte nicht,
wollte durchaus nicht;
über ein kurzes schuip-
pisches: ui, ui brachte
er es nicht hinaus. —
Da versuchte Serenis-
simus schließlich selbst,
den kleinen Eigensinn
zumSingen zu bewegen.
Auch er machte sein:
ü—ü—ü lange vergeb-
lich. Da endlich, end-
lich! — Aber um Him-
melswillen was war
denn das,was der rothe
Schelm da auf einmal
im kräftigsten Flöteu-
ton anstimmte?

ü—i — ü—i—i—t
„Du bist verrückt mein Kind,
Du mußt nach Berlin. . .

Es war ein entsetz-
licher Moment.

Serenissimus wurde
krebsroth im Gesicht.
Dann, nachdem er
einen tiefen Athemzug
gethan, brüllte er seinen Adjutanten an:
„von Müller, Wagen Vorfahren", drehte sich
auf dem Absatz heruni und verließ entrüstet
das Zimmer.

Und Herr Theophil Rindfleisch? — Der war,
wie vom Schlage gerührt, in den nächsten
Sessel gesunken, wo er etwa eine Viertelstunde
nach Luft schnappte. Dann sprang er blitz-
artig auf, ein Griff in den Käfig und dem
Gimpel war der Kragen umgedreht.

Einen Orden aber besitzt Herr Theophil
Rindfleisch auch heute noch nicht.

Karoline: Beim verspeisen dieser vortrefflichen Blutwurst, die ich Dir, Ieliebter, verehre,
denke immer an . . .

Gefreiter Schwuppe: . . . weeß schon, weeß schon . . . Blut is dicker als Wasser!
 
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