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—3560

daß er die letzte Höhe nur erreichen kann,
wenn er eine ganze Menge kleiner Höhen
mühsam überwindet. Dabei ist ihm der
Blick ans den Gipfel oft versagt und oft
wird er unsicher werden, ob er auf dem
rechten Wege ist, wenn er durch Wälder
und Seitenthäler mühsam emporstrebt.
Oefter aber noch überkommt den Wanderer
eine Stimmung, die der Erreichung seines
Zweckes gefährlicher ist. Jedes Stück Weg
will gegangen sein, jedes Hinderniß über-
wunden werden, und die Genugthuung es
überwunden zu haben, wieder ein Stück
weiter gekommen zu sein, lockt zur Ruhe,
zur Beruhigung. Der befriedigte Blick in
die Tiefe ist der Feind des rastlosen Stre-
bens zur Höhe. Und so einfach der Weg
schien, so komplizirt ist er geworden. Jede
Größe scheint der Unternehmung des Wan-
derers genommen zu sein, und in kleinen
mühsamen Schritten muß er von Station
zu Station, immer neue Hindernisse über-
windend, und weder Ermüdung noch Freude
am Verweilen beim Erreichten darf seinen
Fuß hemmen.

Der Weg, den das Proletariat zu gehen
hat, um die politische Macht zu erreiche»,
ist minder einfach, als er aus der Ent-
fernung schien. Der Welten umspannende
Klassenkampf löst sich aus in eine Reihe
von Einzelkämpfen, ja der schwerste Kamps
geht gar nicht direkt um den Sieg, er gilt
der Kampffähigkeit. Reben dem Helden-
thum der Tapferkeit wird immer nöthiger
das Heldenthum der Zähigkeit. Dabei fordert
die innner nothwendiger werdende Theilung
der Arbeit immer mehr die kostbare Tugend
der Entsagung. Die kleinsten Aufgaben
brauchen den ganzen Mann, und immer
schwerer wird es, die Arbeit des Tages
richtig zu schätzen, sie nicht nur nach dem
Erreichten zu beurtheilen, sondern sie auch
zu messen an dein Ziele, gleich weit zu
bleiben von der Geringschätzung des müh-
samen Tagwerkes und von satter Genug-
thuung über seinen Erfolg. . . .

Liebknechts Blick ging immer ins Weite,
ins Große. Die tägliche Drangsal, die
leidige Prosa des Kleinen, die unserem
Kampfe auhaftet wie allem Lebendigen, sie
konnte ihm nichts anhaben. Er war groß-
zügig sein Lebetag und hatte eine unge-
wöhnlich starke Fähigkeit zu generalisiren.
Damit hing anss Innigste sein unverwüst-
licher Optimismus zusammen. Er war der
subjektivste aller Menschen, der nicht etwa
Angen und Ohren verschloß vor den That-
sachen, den aber, was er auch sah und
hörte, niemals auch nur einen Schritt von
seinem Wege abbringen konnte, den er mit
starken, mnthigen Schritten ging. Für ihn
gab es kein Beugen vor dem Erfolg, vor
dem unwiderruflich Fertigen. So ist ihm

die Bismarcksche Lösung der deutschen Frage
nie etwas Anderes gewesen, als die Zer-
reißung Deutschlands. Er, der im bewußten
Widerspruch zu Lassalle sich gegen das
Werdende stemmte, hat sich nie entschließen
können, sich in das Gewordene zu fügen.
Die blutige Geschichte der Schaffung des
Deutschen Reiches war ihin nicht weniger
Grund, Bismarck zu hassen, wie die jun-
kerliche Bornirtheit, die der Urheber des
Sozialistengesetzes in allen sozialen Dingen
zeigte.

* *

*

Liebknecht war gewiß eine historische Figur
großen Stiles, aber er war auch eine un-
gewöhnlich reizvolle, ja hinreißende Per-
sönlichkeit. Er wirkte nicht allein durch
das, was er that, sondern vor Allem durch
das, was er war. Freilich, schlichter als
er war Keiner. Nichts lag ihm ferner, wie
die Pose, jenes Sichinszeniren, das den
Wissenden so manchen sonst ganz bedeuten-
den Mann zuwider macht. Er gab sich mit
einer naiven Unbekümmertheit und Ursprüng-
lichkeit ohnegleichen. Das war der große
Reiz des Verkehrs mit ihm. Wenn er in
Stimmung war, sprach er viel und gut uud
er sprach aus sich heraus, nicht in den
Hörer hinein. Da kam dann seine dichte-
rische Begabung zur Geltung. Wie er einer
der besten Feuilletonisten war, war er der
liebenswürdigste Plauderer. Da sprudelte
es von Erinnerungen an Dinge und Menschen,
die ihn sein so überaus reiches Leben kennen
gelehrt. Seine fast unbeschränkte Aufnahms-
fähigkeit wurde nur übertroffen durch seine
Kraft, alles, was er brauchen konnte, zu
assimiliren, sich einznverleiben, sich eigen zu
machen. Was ihm aber fremd war, das
schied er aus, es prallte ab von ihm, ohne
auch nur den geringsten Eindruck zu hinter-
lassen. Das gab auch seiner Art zu diskn-
tiren den Charakter und eigentlich seiner
Kampfmethode überhaupt. Seine Stärke lag
iin Positiven, im Behaupten. Dem Gegner
nachzugehen, ihn zu verstehen, zu analysiren,
seine Argumentation zu zerlegen und im
Einzelnen zu schlagen, das mar weniger
seine Sache, als die siegessichere Behauptung
seines eigenen Standpunktes in unzähligen
immer neuen Wendungen. Sein letztes Wort
an seine Freunde war die Mahnung: Sich
nie in die Defensive drängen lassen! Das
war in seinem Munde mehr als eine tak-
tische Regel, es war das Symbol, das
Siegel seiner ganzen Persönlichkeit. Die
Menschen zu sich zu zwingen, das war die
Eigenart seiner propagandistischen Kraft.
Er war kein Klügler, für ihn hatten die
Dinge nicht zwei Seiten. Sein Lebetag war
er der Soldat, der kurz wägt und schneidig
wagt.

Liebknecht war ein sonniger Mensch, trug
das Leben leicht und alle die schweren
Nöthen seines Lebens konnten es ihm nicht
verdüstern. Er konnte genießen, wie kein
Anderer; er lebte in spartanischer Einfach-
heit, aber er war empfänglich für alle
Freuden des Lebens, für die erhabensten
wie für die harinloseste». Eine unsagbar
Helle Heiterkeit durchstrahlte sein ganzes
Wesen, dessen Grundzug eine unerschütter-
liche Hoffnungsfreudigkeit und Siegcssicher-
heit war. Er sprach, schrieb uud handelte
aus seiner innersten Intuition heraus, keinen
Zug von Skepsis hatte er. Deuteln und
Grübeln' war ihm fremd. In ihm war
keine andere Leidenschaft, als das große
politische Pathos.

Wie Liebknecht war, so sprach er, und
wie er sprach, so schrieb er. Von Niemandem
mehr als von ihin galt: Der Stil ist der
Mensch, oder vielmehr der Mensch ist der
Stil. Die kleinste Notiz aus seiner Feder
trug seinen unverkennbaren Stempel. Er
schrieb geistreich, nicht in der prickelnden,
witzelnden Art, die an den Dingen herum-
redet, sondern in Wahrheit aus dem Reich-
thum seines Geistes heraus schrieb er. Sein
Stil glitzert nicht, er sprüht. Seine Polemik,
und er war ein gefürchteter Polemiker, war
schneidend, nicht stechend. Er beherrschte
seine Muttersprache, wie es nur der ver-
mag, der auch die intime Schönheit fremder
Sprachen kennt, aber nie hat er seine Ge-
wandtheit kokett mißbraucht. Das große
flammende Wort wußte er zu sprechen
uud die Eigenart einer Situation in eine
glänzende Antithese zusammenzufaffen. Aber
wer den Menschen Liebknecht von Herzen
lieb gewinnen will, der lese seine Plaude-
reien, der lese sein Büchlein voll Reiz und
Anmuth, das er dem Andenken von Karl
Marx gewidmet hat. Um es noch einmal
zu sagen: immer sprach aus jeder Zeile
der ganze Mensch.

* *

*

Nun wird sich auf Liebknechts Grabe ein
Denkmal erheben, das ihm die Liebe und
Treue der deutschen Arbeiter gesetzt, für die
er gelebt von seiner frühen Jugend an bis
zu seinem letzten Athemzuge. Aber er selbst
hat sich ein dauernderes Denkmal gebaut,
als es selbst die Erinnerung an ihn in den
Herzen der Millionen seiner Kampfgenossen
ist. Die That, die er gethan, die Kraft,
die von ihm ausgegangen, die Wirkungen,
die durch ihn lebendig geworden, sie können
durch keinen Verlauf der Zeit aus der Welt
geschaffen iverden, sie sind dauernder als
selbst die Erinnerung an ihn. So lebt
Wilhelm Liebknecht fortwirkend in uns Allen,
und in Allen, die nach uns kommen werden,
als ein Unsterblicher.

Verantwortlich für die Redaktion Fr. Fischer in Stuttgart. — Verlag und Truck von I. H. W. Dietz Nachf. (G. in. b. H.) in Stuttgart, Für lhbachst raffe 12,
 
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