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^ Gin modernes Märchen.
Ls war einmal ein hoher Magistrat,
Der auf die Weisheit, so mit ihm geboren,
Sich was Erkleckliches zu Gute that;
Das Selbstvertrauen ging ihm nie verloren.
Da war kein Stoff, den er zu schwierig fand,
Sein Urtheil kurzer Hand zu sormuliren,
Und daß er von der Sache nichts verstand,
Der Fall könnt' selbstverständlich nicht passiren.
Lr hat sich selbst auf das Gebiet der Kunst
Hinansgewagt, wo so viel Dornen stehen;
Lr hatte zwar von Allem keinen Dunst,
Doch hat er drin kein Hinderniß gesehen.
Da man sein Heim nach Möglichkeit jetzt schmückt,
So plärrte Magistratus die Errichtung
Von dreien Bronnen, denen aufgeörückt
Der klare Stempel deutscher Märchendichtung.
An einen Künstler hat man sich gewandt,
Des Magistrats Verblendung war unsäglich,
Der seine Sache auch nur halb verstand —
Das Resultat war dementsprechend kläglich.
wer die Entwürfe dieses Manns gesehn,
Der muffte sich, hätt' er auch selbst geschwiegen,
In seinem tiefsten Innersten gestehn,
Der Gipfel sei des Ungeschmacks erstiegen,
Und würden die Entwürfe ausgeführt,
Die eine kranke Phantasie geboren,
So wär' die Stadt, der Bestes nur gebührt,
Durch Unverstand -es Magistrats blamoren.
Ls war ein starkes, fabelhaftes Stück,
Doch auf dem Rathhaus ist man oft verblendet,
Das Unheil aber hat zum gröfften Glück
Des Landes Fürst noch huldvollst abgewendet.
Heil sei dem Lande und der Hanxtstadt Heil,
wo Fürst und Volk so inniglich verbunden,
Daß in dem Streit auch um den kleinsten Theil
Die Lösung rasch von oben wird gefunden!
Inhalt der Unterhaltungs-Beilage.
Ein Militärgerichtshof. (Illustration.) — Staatsvisiten.
(Illustration.) — Herbstveilchen. Von Klara Müller. (Jllu-
strirt.) — Gedankenbalken. — Die Störche. Von Fritz. —
Sandmodelle. I. Der Menschenretter, II. Der Menschenfresser.
(Illustrationen.) — Plötzenseer Bilderbuch. (Mit Original-
Illustrationen.) Von einem schweren Jungen. — Anarchisten-
plantage. (Illustration.)
Die sächsische Landtagswahl.
Aus Sachsen ist ein Sieg zu melden,
Werth, daß ihn feiert der Humor:
Es haben dort die Drdnungshelden
verrammelt ihres Landtags Thor.
Den Schlüssel haben sie gestohlen,
Das Wahlrecht, das dem Volk gehört,
Um künftig unter sich zu „kohlen",
von keinem dlothen mehr gestört.
Mie ging die Arbeit glatt von statten,
wie den dNinistern es behagt,
In ungemüthlichen Debatten
Ward laut die Wahrheit oft gesagt.
Itun ist's erreicht: die „Volksvertretung",
Sie ist von „Volks"vertretern rein,
Nun können frommer IUachtanbetung
Sich die Zurückgebliebnen weihn.
Doch in die Zreude mischt sich Jammer:
Die Ausgeschlossnen sind nicht still,
Db auch in Sachsens kleiner Kammer
Zhr Wort man nicht mehr hören mill.
Die Wahrheit um so lauter sagen
Sie draußen voller Zuversicht —
Es sitzt ob dieses Landtags Tagen
Die Volksversammlung zu Gericht.
Die guten Nachbarn.
Der deutsche Kaiser besuchte vor Kurzem hoch
zu Roß das russische, von einer Brandkatastrophe
heimgcsuchte Grenzstädtcheu Wyschtyten, hielt auf
dem Marktplatz und richtete an das zusammen-
gelaufene Volk eine Ansprache, in der er mit-
theiltc, daß er im Auftrag des Kaisers Nikolaus
den Wyschtytern 5000 Rubel zu übergeben habe.
Die Rede schloß mit einem Hnrrah auf den
Zaren.
Die Nachricht, daß daraufhin der russische
Kaiser eines Tages auf dem Spittelmarkt zu
Berlin erschienen sei, vom Roß herab dem be-
geisterten Volke die Nichtbestätigung des Märchen-
brunnens und des Bürgermeisters verkündet und
im Anschluß daran ein Hoch auf Wilhelm II.
ausgebracht habe, beruht, wie wir feststellen
können, auf einer müßigen Erfindung offiziöser
Zeitungsschreiber.
Sollte aber der Zar Nikolaus in der That
das Bedürfniß fühlen, sich bei seinem Nachbarn,
dem deutschen Kaiser, persönlich zu rcvanchircn
und einmal auf deutschem Boden obrigkeitliche
Befugnisse auszuüben, so möchten wir ihm den
ehrfurchtsvollen Rath geben, gelegentlich mit
Unterstützung einiger juristisch gebildeter Kosacken
einer Sitzung des Gumbinner' Kriegsgerichts zu
präsidiren. Das Städtchen ist von Rußland aus
bequem zu erreichen, und jene Auffassung von
Recht und Menschlichkeit, die wir an der Re-
gierungsweisheit im heiligen russischen Reiche so
hochschätzen, hat auch dort eine Stätte. Unter
den Gumbinner Kriegsrichtern würde sich Väter-
chen ganz wie zu Hause fühlen. j. s.
Der Pastor Naumann trommelt sehr,
Will sich zusammen trommeln ein Heer;
Aus Rothe», Blauen, Grünen, Wilden
Will er seine Legionen bilden.
O edler Pastor, schwach ist Deine Kunst,
Du trommelst zwar sehr laut, doch ganz umsunst.
Kapitän Leo Neihlre.
Ls tanzte eine „Gazelle"
Gar lustig auf dem Neer,
Jedoch in ihrem Innern
Ging's nicht so luftig her.
Dort herrschte Kapitän Leo
Mit eiserner Disziplin,
Die unbotmäßige Mannschaft,
Sie war ihm gar nicht grün.
Sie hat ein schweres verbrechen
Geplant voll ^revelmuth:
Man warf zehn Zentner Lisen
Wohl in die Meeresfluth.
Wer hat das verbrechen begangen?
Stumm sind die Zeugen all —
Richter aus Gumbinnen
War' das ein schöner §all.
Leicht fänden sie einen Matrosen,
Der stark verdächtig erscheint.
Daß er beseitigt das Lisen —
Und dabei den Leo gemeint.
Ihn führt man wegen Mordes
Dann wohl zum Code hin.
Zu wahren und zu schützen
Die heilige Disziplin.
Unverbesserlich.
O Männerfreifmn von Berlin, —
Du bist js doch nichl abxufch recken...!
And freudig wirst du weiterhin
Den allerhöchsten Speichel lecken....
Wirst selig fein, fälll dir voin Hof-
Gedeck mal ab ein schmaler Bissen;
Wirst will'ger al« Talmi und Bof'
Den Boden rein vom Glaube — küssen!
^ Gin modernes Märchen.
Ls war einmal ein hoher Magistrat,
Der auf die Weisheit, so mit ihm geboren,
Sich was Erkleckliches zu Gute that;
Das Selbstvertrauen ging ihm nie verloren.
Da war kein Stoff, den er zu schwierig fand,
Sein Urtheil kurzer Hand zu sormuliren,
Und daß er von der Sache nichts verstand,
Der Fall könnt' selbstverständlich nicht passiren.
Lr hat sich selbst auf das Gebiet der Kunst
Hinansgewagt, wo so viel Dornen stehen;
Lr hatte zwar von Allem keinen Dunst,
Doch hat er drin kein Hinderniß gesehen.
Da man sein Heim nach Möglichkeit jetzt schmückt,
So plärrte Magistratus die Errichtung
Von dreien Bronnen, denen aufgeörückt
Der klare Stempel deutscher Märchendichtung.
An einen Künstler hat man sich gewandt,
Des Magistrats Verblendung war unsäglich,
Der seine Sache auch nur halb verstand —
Das Resultat war dementsprechend kläglich.
wer die Entwürfe dieses Manns gesehn,
Der muffte sich, hätt' er auch selbst geschwiegen,
In seinem tiefsten Innersten gestehn,
Der Gipfel sei des Ungeschmacks erstiegen,
Und würden die Entwürfe ausgeführt,
Die eine kranke Phantasie geboren,
So wär' die Stadt, der Bestes nur gebührt,
Durch Unverstand -es Magistrats blamoren.
Ls war ein starkes, fabelhaftes Stück,
Doch auf dem Rathhaus ist man oft verblendet,
Das Unheil aber hat zum gröfften Glück
Des Landes Fürst noch huldvollst abgewendet.
Heil sei dem Lande und der Hanxtstadt Heil,
wo Fürst und Volk so inniglich verbunden,
Daß in dem Streit auch um den kleinsten Theil
Die Lösung rasch von oben wird gefunden!
Inhalt der Unterhaltungs-Beilage.
Ein Militärgerichtshof. (Illustration.) — Staatsvisiten.
(Illustration.) — Herbstveilchen. Von Klara Müller. (Jllu-
strirt.) — Gedankenbalken. — Die Störche. Von Fritz. —
Sandmodelle. I. Der Menschenretter, II. Der Menschenfresser.
(Illustrationen.) — Plötzenseer Bilderbuch. (Mit Original-
Illustrationen.) Von einem schweren Jungen. — Anarchisten-
plantage. (Illustration.)
Die sächsische Landtagswahl.
Aus Sachsen ist ein Sieg zu melden,
Werth, daß ihn feiert der Humor:
Es haben dort die Drdnungshelden
verrammelt ihres Landtags Thor.
Den Schlüssel haben sie gestohlen,
Das Wahlrecht, das dem Volk gehört,
Um künftig unter sich zu „kohlen",
von keinem dlothen mehr gestört.
Mie ging die Arbeit glatt von statten,
wie den dNinistern es behagt,
In ungemüthlichen Debatten
Ward laut die Wahrheit oft gesagt.
Itun ist's erreicht: die „Volksvertretung",
Sie ist von „Volks"vertretern rein,
Nun können frommer IUachtanbetung
Sich die Zurückgebliebnen weihn.
Doch in die Zreude mischt sich Jammer:
Die Ausgeschlossnen sind nicht still,
Db auch in Sachsens kleiner Kammer
Zhr Wort man nicht mehr hören mill.
Die Wahrheit um so lauter sagen
Sie draußen voller Zuversicht —
Es sitzt ob dieses Landtags Tagen
Die Volksversammlung zu Gericht.
Die guten Nachbarn.
Der deutsche Kaiser besuchte vor Kurzem hoch
zu Roß das russische, von einer Brandkatastrophe
heimgcsuchte Grenzstädtcheu Wyschtyten, hielt auf
dem Marktplatz und richtete an das zusammen-
gelaufene Volk eine Ansprache, in der er mit-
theiltc, daß er im Auftrag des Kaisers Nikolaus
den Wyschtytern 5000 Rubel zu übergeben habe.
Die Rede schloß mit einem Hnrrah auf den
Zaren.
Die Nachricht, daß daraufhin der russische
Kaiser eines Tages auf dem Spittelmarkt zu
Berlin erschienen sei, vom Roß herab dem be-
geisterten Volke die Nichtbestätigung des Märchen-
brunnens und des Bürgermeisters verkündet und
im Anschluß daran ein Hoch auf Wilhelm II.
ausgebracht habe, beruht, wie wir feststellen
können, auf einer müßigen Erfindung offiziöser
Zeitungsschreiber.
Sollte aber der Zar Nikolaus in der That
das Bedürfniß fühlen, sich bei seinem Nachbarn,
dem deutschen Kaiser, persönlich zu rcvanchircn
und einmal auf deutschem Boden obrigkeitliche
Befugnisse auszuüben, so möchten wir ihm den
ehrfurchtsvollen Rath geben, gelegentlich mit
Unterstützung einiger juristisch gebildeter Kosacken
einer Sitzung des Gumbinner' Kriegsgerichts zu
präsidiren. Das Städtchen ist von Rußland aus
bequem zu erreichen, und jene Auffassung von
Recht und Menschlichkeit, die wir an der Re-
gierungsweisheit im heiligen russischen Reiche so
hochschätzen, hat auch dort eine Stätte. Unter
den Gumbinner Kriegsrichtern würde sich Väter-
chen ganz wie zu Hause fühlen. j. s.
Der Pastor Naumann trommelt sehr,
Will sich zusammen trommeln ein Heer;
Aus Rothe», Blauen, Grünen, Wilden
Will er seine Legionen bilden.
O edler Pastor, schwach ist Deine Kunst,
Du trommelst zwar sehr laut, doch ganz umsunst.
Kapitän Leo Neihlre.
Ls tanzte eine „Gazelle"
Gar lustig auf dem Neer,
Jedoch in ihrem Innern
Ging's nicht so luftig her.
Dort herrschte Kapitän Leo
Mit eiserner Disziplin,
Die unbotmäßige Mannschaft,
Sie war ihm gar nicht grün.
Sie hat ein schweres verbrechen
Geplant voll ^revelmuth:
Man warf zehn Zentner Lisen
Wohl in die Meeresfluth.
Wer hat das verbrechen begangen?
Stumm sind die Zeugen all —
Richter aus Gumbinnen
War' das ein schöner §all.
Leicht fänden sie einen Matrosen,
Der stark verdächtig erscheint.
Daß er beseitigt das Lisen —
Und dabei den Leo gemeint.
Ihn führt man wegen Mordes
Dann wohl zum Code hin.
Zu wahren und zu schützen
Die heilige Disziplin.
Unverbesserlich.
O Männerfreifmn von Berlin, —
Du bist js doch nichl abxufch recken...!
And freudig wirst du weiterhin
Den allerhöchsten Speichel lecken....
Wirst selig fein, fälll dir voin Hof-
Gedeck mal ab ein schmaler Bissen;
Wirst will'ger al« Talmi und Bof'
Den Boden rein vom Glaube — küssen!