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Der wahre Jakob: illustrierte Zeitschrift für Satire, Humor und Unterhaltung — 18.1901

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https://doi.org/10.11588/diglit.6609#0232
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3636

Leitgemkiszer Wunsch.

(D wollte -och ein Roland sich bemühen
Herab zu uns — es fordern ihn die Zeiten!

Lr müßte freilich für die Freiheit glühen
Und für Gerechtigkeit und Gleichheit streiten;
Ihr Gegentheil nur will auf Erden blühen
Und üxxig wuchernd weiter sich verbreiten.

Der Ritter fände auch in unfern Tagen
Unendlich Vieles kurz und klein zu schlagen.

Verfallen wären seinem Grimm und Zorne
Die Lrbgesess'nen mit der Liebesgabe,

Die da verlangen, daß man aus dem Hörne
Des Ueberfluffes sie vor Allem labe
Und deren steter Wucher mit -enr Rorne
Nicht dulden will, daß man Ranäle grabe.

Ach, lebte Roland -och in unfern Tagen,

Die Bande wär' bald kurz und klein geschlagen. —

Lr unterwürfe kurzen scharfen Proben

Die schwarzen Herrn, die kalten Herzens richten,

Die, wenn sie nur die Vorgesetzten loben,

Auf des Gewissens Beifall gern verzichten,

Die fchncid'gen Träger von Baretts und Roben,
Die freies Wort und freie Schrift vernichten.

Lr würde sie von ihren Stühlen jagen —

Rasch wäre Alles kurz und klein geschlagen.

Bald hätte er als Todfeind alles Schlechten
All jenen Völkern Fehde angekündigt,

Die frevelnd sich an andrer Völker Rechten,

An ihrer Unabhängigkeit versündigt,

Und sie nach zähem, heldenhaftem Fechten
Durch die brutale Uebermacht entmündigt,
wo Edwards und des Zaren Banner ragen,

Da gäb es manches kurz und klein zu schlagen.

Und stieße er auf unsre Schlotbarone,

Für die sich Tausende verzweifelt placken,

Die stets bestrebt sind, von dem Hnngerlohne
Den Arbeitsbienen etwas abzuzwacken —

Und die den Duldenden so recht zum Hohne
Den Fuß gesetzt auf den gebeugten Nacken:
Lr könnte diesen Anblick nicht ertragen,

Bald wäre Alles kurz und klein geschlagen.

Hat unser Roland Lrz- und Marmorschmerzen,
will auf ein Denkmal ungern er verzichten,

So braucht er nur die Frevel auszumerzen,

Um sich zu Dank die Völker zu verpflichten;
Dann wird er sicherlich in ihren Kerzen
Das größte, schönste Denkmal sich errichten,

Und von ihm heißen wird's in späten Tagen:
,,Der Mann hat Alles kurz und klein geschlagen!"


3m Abzahlungsgeschäft.

von Dr. Ludwig Frank» Mannheim.

Das Waarenlager von Littmann & Sohn
ist ein enger, dunkler, niederer Raum. Nah
aneinandergeschmiegt stehen da Schränke und
Stühle, Bettladen und Oeldrnckbilder, Näh-
maschinen und Waschkommoden und hundert
andere Haushaltstücke. Soeben ist ein Braut-
paar dagewesen und hat eingekauft, und ein
viereckiges Tischlein, das noch nach jungem
Tannenholz duftete, flüsterte in freudig-erregtem
Tone zn seine» Nachbarn: „O, wie bin ich froh,
daß sie gerade mich gewählt habe»! Und ich
steh' doch im allerhintersten Winkel! Jetzt bin
ich bald befreit aus diesem finstern Gefängniß
und komme hinaus in das Licht und die Frei-
heit. Und sehe das Leben." Da begann von
allen Seiten ein vielstimmiges Gekicher und
Gelächter, und mitleidig-verächtlich sagte mit
tiefer Stimme ein großer Kleiderkasten:

„Unerfahrenes Ding! Sei doch nicht närrisch!
Du wirst ja wiederkommen."

„Ich? wiederkehren? Nie! Niemals", er-
widerte das Tischlein.

„Du wirst wiederkommen, glaub' mir, ich
bin alt und kenne die Welt. Mit einer un-
sichtbaren Kette bist Du angebunden, die
Menschen nennen es Vorbehalt des Eigen-
thums, Du wirst uns Wiedersehen."

„Da warst Du am Ende vielleicht auch schon
fort?" fragte schüchtern das Tischlein.

„Ob ich schon fort war? Zehn, zwanzig,
dreißig Mal, ich kann es kaum mehr zählen.
Zuerst wurde ich, ganz wie Du, von zwei ver-
liebten Leutchen gekauft. Ich wurde in ein
Dachkämmerchen gestellt, hoch, hoch droben.
Aber es war sauber in der Stube und vor
dem Fenster standen rothe Blumen. Jeden
Morgen wurde ich abgestäubt und alle paar
Tage gewaschen. Wenn der Mann seinen Lohn

heimbrachte, wurden ein paar Mark weggelegt
und für mich bezahlt. Das nennt man die
Rate. Aber nach einiger Zeit hatte die Frau
immer rothgeweinte Augen und ihr Mann saß
finster in einer Ecke. Das macht, er hatte
keine Arbeit mehr. So bekam er auch keinen
Lohn mehr und die Raten wurden nicht bezahlt.
Es war kalt, sehr kalt, aber sie hatten kein
Geld und kein Holz und konnten nicht heizen.
Ich mochte den Jammer nicht mehr mit an-
sehen; denn ich war noch jung und voll Em-
pfindung.

Ich knirschte unaufhörlich: ,Nehmt mich doch
und verbrennt mich! Werft mich ins Feuer
und wärmt Euch? Aber die Menschen sind
ja so dumm und verstehen unsere Sprache
nicht.

Bald darauf aber kam ein Mann mit einer
blauen Mütze und holte mich wieder hierher,
weil eben die Raten nicht bezahlt waren.

Als ich wieder ein bischen aufpolirt war,
wurde ich an ein etwas älteres Ehepaar ver-
kauft. Er war ein Maurer. Sie hatten drei
Kinder und immer hatten sie satt zu essen.
Es gefiel mir gut dort. Ich rechnete mich
schon ganz zur Familie. Die Raten wurden
pünktlich hergegeben. Und an einem Samstag
Abend streichelte mich die Frau zärtlich und
sagte zu ihrem Mann: ,Du Franz, wenn wir
jetzt noch drei Mal bezahlt haben, gehört der
Schrank ganz uns.' Aber am anderen Montag
brachten sie einen blutigen Leichnam ins Haus,
der Vater war vom Neubau abgestürzt. Und
während Frau und Kinder noch über den
Tobten weinen, kamen die Gläubiger mit den
Rechnungen. Das arme Weib konnte natürlich
nicht alle bezahlen und mit den Raten wollte es
auch nicht mehr gehen. Eines Tages kam dann
wieder der Man» mit der blauen Mütze, um
mich wegzuholen. Ich stemmte mich mit allen
Kräfte» am Boden fest. Aber was halfs? Ich
wurde weggerissen und hierhergebracht.

Als ich wieder neu gefirnißt war, wurde ich
verkauft an — ach was! Wozu soll ich Dir
alles erzählen. Es ist ja immer dasselbe. Und
den andern Allen ging und geht es wie mir."

„Noch schlimmer als Dir, viel schlimmer
als Dir", klapperte da mit müder Stimme eine
alte Nähmaschine hinten dran.

„Wenn ich daran denke, wenn ich daran
denke! War eine Witwe, eine Witwe mit
schwarzen Trauerkleidern, die mich kaufte.
Hatte Kinder, zwei Kinder mit hellen Augen
und großem Hunger. Sie nähte auf mir Tag
und Nacht, Nacht und Tag, aber es langte
nicht. Der Hausherr kam und wollte Geld,
Miethgeld wollte er. Und da fing sie auch
noch an zu husten und wurde krank. Krank
und konnte nicht mehr schaffen. Da wickelte
sie mich einmal Abends in ein Tuch und brachte
mich zu einem Mann. Der gab ihr Geld für
mich; das nennt man Pfandhaus. Aber nach
ein paar Wochen wurde ich fortgetragen, in
ein großes Haus getragen und auf einen grünen
Tisch gestellt. Da saßen Menschen mit langen
schwarzen Röcken. Man heißt sie Richter. Und
dabei stand das arme Weiblein, bei dem ich
gewesen war. Sie schluchzte und schluchzte,
es drehte sich Alles an mir vor Kummer und
Weh. Hat ihr aber das Weinen nicht genützt,
der Frau, weggeführt ist sie worden und ein-
gesperrt, viele, viele Nächte und Wochen.

Ich aber wurde von einem Manne mit blauer
Mütze wieder hierher gebracht, und als ich
etwas aufpolirt war, verkauften sie mich an —"

„O hör' auf! Hör' auf! Mir wird so
sterbeusweh vor all' dem Herzeleid", bat leise
das junge Tischlein und preßte verstohlen die
letzte kleine Harzthräne aus, die in ihm war.
Es dachte an alles Elend, das ihm winkte, und
träumte sehnsüchtig von dem freien, hohen
Tannenwald, aus dem es herausgerissen war,'
um zu verkümmern und zu verkommen bei Litt-
mann & Sohn.
 
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