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Der wahre Jakob: illustrierte Zeitschrift für Satire, Humor und Unterhaltung — 18.1901

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https://doi.org/10.11588/diglit.6609#0250
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Weihe-Uacht.

Ein leises Rauschen durch dirTannenzweige-
De» kurzen Tage» Zwielicht gehl zur Neige.

I>n Westen glimmt rin matter Rosenstreif,
Fluf Pille Fluren fällt der weiße Reif.

Der weiße Reif, der ring» da» Feirrklrid
Der Erde stickt mit flimmerndem Geschmeid.

DrrAbend kommt. L» kommlöiehriligeNacht,
Die aus den Menschen selige Linder macht,

Dir W eihe-Nach t, da trost- und wundersam
Ein Märchentraum zur dunklen Erde kam:

Der Friedenskönig, den dir Welt verstieß,
Weil er die Firmen Gotte» Linder hieß,

Weil er den Sausten, der den Frieden liebt,
Den Liebenden, der seine Seele girbt,

Weit über alle Reichen dieser Welt,

Hoch über alle Herrschenden gestellt.

Du Weiser, seit die Engrlharfen klangen,
Sind nun Jahrtausende dahingrgangen,

Die deinen Namen aus den Fahnen trugen
And zu den fernsten Ländern Brücken schlugen.

Millionen Lirchen prangen dir zum Ruhme,
Die ewige Flamme brennt im Hriligthumr...

And dennoch: Du, der Sklaven Heil gespendet,
Du wärst noch heut' in tiefe Nacht gesendet,

Du schienst auch heut' in unser finstres Thal
Nus fernen Himmeln rin verirrter Strahl;

Und gingest du im schlichten Arbeitskleid
Durch deine Menschheit, deine Christenheit,

Sir hätten heute dir da» Lreux errichtet
Rud morgen dir den Holzstoß ausgeschichtet!

Doch aufdem Grunde, den dein Blick gesucht,
Darüber hin rast laut der Zeiten Flucht,

Da regt sich'» dumpf, und au» der Erde Schoß
Ringt sich der Nrgurll aller Sehnsucht Io».

Die Well durchhallt rin Schrei nach Lust
und Licht:

Wann braust du, Strom, der Wall und
Schranke bricht?

Wann kommst du, Tag, da hell die Sonne steigt,
Vor deren Glau; der tiefste Schatten weicht,

Daraus der Thor sich Klarheit trinken mag, —
Du, unser Sehnsucht goldner Weihe-Tag?

(Lin Weihnachtsgeschenk.

Langsam kroch die frühe Dämmerung aus
den Ecken und Winkeln des freundlich ausge-
statteten Zimmerchens hervor. Ihr Schatten
fiel auf die schlanke Gestalt einer Frau, die
an dem runden Mitteltisch mit dem Aufbau
einiger bescheidener Gaben beschäftigt war, die
ein Kiuderherz erfreuen sollten. Der Tannen-
baum stand fertig geschmückt da; lange Silber-
schleier flössen von seiner Spitze herab wie
fluchende Quellen durch das dunkle Grün.

Fröstelnd zog die Frau das dunkle Woll-
tuch fester um die Schultern. Dann trat sie
mit eiligem Schritte an das Fenster.

Weiße, wirbelnde Flockenpracht! Die elektri-
schen Lampen strahlten auf und übergossen die
auf den Trottoirs sich drängende, fröhlich
hastende Menschenmenge mit blendendem Licht.
Und über das Brausen der Massen hinweg
schwang sich jubelnd und triumphirend der
erzene Glockenschall.

Die Weihnachtsglocken!

In dem Herzen des Pfarrerkindes aus dem
verlorenen Winkel der Neumark regte sich das
Heimweh nach Weihnachtsfrieden und Weih-
nachtsseligkeit. Eine heiße, wehe Thräne trat
in das Auge der einsamen Frau. Und sie
lauschte angestrengt hinaus, ob nicht die Kor-
ridorglocke sich regen und auch in ihr Gemach
der Weihnachtsengel treten werde.

Sie erwartete eine Weihnachtsfreude.

Als aber alles still blieb, lehnte sie die heiße
Stirn an die mit blassen Blüthengespenstern
überhauchten Fensterscheiben, und wie ein Däm-
merungstraum zogen die vergangenen Tage an
ihrer Seele vorbei.

Sie sah sich draußen auf dem Lande im
väterlichen Pfarrhaus: ein fröhliches, gläubiges
Kind. Sie sah die graue Sorge durch ihr
Elternhaus schleichen, als die schwere Krank-
heit der Mutter unerhörte Anforderungen an
den schmalen Geldbeutel des Pfarrherrn stellte,
sah die stattliche Gestalt des Vaters, der auf-
ging in seinem geistlichen Amte und niemals
rechnen gelernt hatte, niedergebeugt von drücken-
der Schuldenlast. Da litt es das lebenskräftige
Mädchen nicht länger thatenlos im Elternhaus;
als sie der Mutter die Augen zugedrückt, bat und
bettelte sie so lange, bis sie nach Berlin gehen
durfte, bis sie die Prüfung der Handelsschule
bestand und eine Buchhalterinnenstelle erhielt.

Dann kam die große Lebenswende.

Sie lernte ihren Mann kennen.

Mit siegreicher Gewalt trat eine größere
Macht, als die bleiche Gottheit der Entsagung
es ist, in ihr junges, blüthenschweres Leben.
Sie liebte Rudolf.

Und er liebte sie. Und der heißblütigeKämpfer
für Freiheit und Menschenrecht, der geistvolle Re-
dakteur einer vielgelesenen und vielgeschmähten
radikalenZeitschrift warb umdas strenggläubige
Pfarrerskind.
 
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