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Der wahre Jakob: illustrierte Zeitschrift für Satire, Humor und Unterhaltung — 18.1901

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https://doi.org/10.11588/diglit.6609#0252
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. 3656

„Madam, gestern brachte ein Arbeiter in unserer Fabrik seine Hand in eine Maschine,
wobei ihm sämmtliche Finger abgeschnitten worden sind."

„Ach Gott ... wo trägt der Aermste nun seine Ringe?"

Der grüne Wagen.

Neun Uhr, — die Kroßstadt ist vom Schlaf
erwacht.

Und reibt sich noch die Augen. — Durch die
Strafen

Dicht man die grauen schon zum Markte eilen.
Die Uleinsten munter ihren Schulweg trippeln
Und wem ein Amt gegeben ward, — mit Würde
Der Rath, in jäher gast der Subalterne —
Dich ins Bureau begeben. — Pünktlich landet
Wie jeden Morgen, vor dem Strafgerichte
Der grünlackirte Wagen, von dem Uutschbock
Springt ein behelmter Wachmann, aus den
Thoren

Lin bunt Kewimmel von Polizeisoldaten,
DerHauptmannhinterdrein. InÄeih'undKlied
gormirt die Truppe sich, Spalier zu bilden.
Der Uäsig thut sich auf, — und wieder zwei
Wachleute, — hinter ihnen aber geht
Lin Mädchen, dem das Uopftuch auf die Schulter
Kerutfcht, die Wangen übernächtig blaß.

Die Lippen schmal gepreßt, den Blick gesenkt.
Und an dem Arme faßt sie schwer die gaust
Des dritten Wächters, der sie durchs Spalier
Hindurch geleitet in das „Kraue Haus" . ..
Als Kegengabe gleichsam wird ein Unabe
Barhaupt, in Sträflingsleinen, wohlbewacht
vom „Krauen Hause" zu dem „Krünen Wagen"
Hintransportirt. — Das Kitterfenster zu.

Die Jalousien herunter, Salutiren
Zum Abschiedsgruß, der Wachmann klimmt
zum Bock

Hinauf, — verschwunden ist der schwüle Spuk...!

* *

*

Ich aber male mir die gräßlichsten
Lrschütterndsten, blutrünstigsten verbrechen
Roch aus, die diese beiden Menschenkinder
Begangen haben mögen, daß der Haufe
Bewaffneter sie nahm in solche Hut! m. e.

Aufrichtig.

Ein Priester ist auf dem Wege zur Kirche, um
eine Messe zu lesen. Unterwegs begegnen ihm
zwei Freunde, die ihn durchaus mit in die Wein-
stube „zur schwarzen Liesel" nehmen wollen. Der
wackrePriesterjedoch antwortet: „Ich komme später;
erst das Geschäft und dann das Vergnügen."

Aus einer Kanzelrede.

„Völlerei, Trunksucht und vor Allem Hang
zum Spiel richten den Menschen zu Grunde.
„Mehr Gotteshäuser" sei die Losung des Frommen,
deshalb fordere ich Euch auf, unsere vom Staate
genehmigte Kirchenbaulotterie zu unterstützen,
indem Jeder ein oder mehrere Loose kauft..."

Von Serrniffnnus.

Eines Tages ging Serenissimus, der ein höchst
leutseliger Mann war, im Walde spazieren. Da
begegnete ihm ein altes Weib, das dürres Reisig
sammelte.

„Was machst Du da?" fragte Serenissimus.

„Danke, Herr Fürst," erwiderte das Weib, die
etwas schwerhörig war.

Serenissimus ging lächelnd weiter.

Solche schöne Züge aus dem Leben dieses
edlen Fürsten könnten wir gar viele erzählen,
doch der Raum mangelt uns. -gg.

Moment-Mlöer.

von Max Regel.

Es ist Weihnachtsabend. Die Sonne geht früh
zur Rüste. Sie weiß, daß sie heute entbehrlich
ist. Millionen Kinderherzen ersehnen den Abend
und jubeln den flackernden Lichtern entgegen, die

im Tannengrün funkeln und wunderbare Herr-
lichkeiten beleuchten werden.

Durch die langen Reihen der Marktstände
fluthet und hastet die Menge. Jedermann hat
Eile, Jeder ist mit Palleten und Schachteln be-
laden. Die Mäntel und Hüte sind weiß bestaubt
vom Schnee, dessen feine Sternchen wie Silber-
regen in der Luft flimmern.

An der Haltestelle der Straßenbahn giebt's
großes Gedränge. Der freundliche Schaffner hat
alle Mühe, den Verkehr so zu regeln, daß nichts
und Niemand zu Schaden kommt. Fast ist der
Raum zu klein für das viele Gepäck, das die
Passagiere heute mit sich führen. Die elektrische
Bahn ist das „Christkind" der Großstadt, das die
Weihnachtsgaben in die fernsten Vorstädte trägt.

Der Schaffner wirft einen Blick auf das wechsel-
volle Bild im Innern des Wagens und giebt
das Zeichen zur Abfahrt.

Zwanzig Mal wird er heute noch die Strecke
durchfahren müssen, bis er selbst heimkehren darf,
um die letzte Hand an den Aufbau des eigenen
Weihnachtstisches zu legen, der in stiller Morgen-
frühe seine Lieben erfreuen soll.

Draußen in der Vorstadt leuchtet ein Fenster
nach dem andern auf. Man sicht von der Straße
aus die flackernden Lichter, die in pyramiden-
förmiger Ordnung zur Zimmerdecke emporstrebeit.
Flüchtige Schatten huschen jeden Augenblick über
die weißen Fenstervorhänge, man hört Kinder-
jubel, hier und da wohl auch das feierliche Lied:
Stille Nacht, heilige Nacht...

Nur die zwei Fenster bei Richters da oben im
dritten Stocke sind noch dunkel. Der Handlungs-
diener Richter hat in letzter Zeit Unglück gehabt.
Er hat seine Stelle verloren und etablirte sich einst-

weilen als Stadtreisender. Aber er fand nur
schlechten Verdienst, gerieth in Schulden und an
seine Möbel wurden die blauen Siegel geklebt.
Heute früh hat man sie abgeholt; auch der große
runde Tisch, auf dem der Weihnachtsbaum schon
prangte, wurde fortgenommen.

Nun steht der bunt geschmückte Baum in einer
Ecke. Die junge Frau trocknet öfter die Augen
mit dem Taschentuch und lauscht, ob ihr Mann
nicht endlich heimkehre; er ist ausgegangen, um
womöglich das Geld zur Rettung der Möbel
aufzutreiben.. Die beiden Kinder, ein achtjähriges
Mädchen und ein sechsjähriger Knabe, hocken
verschüchtert am Ofen. Sie haben sich den Weih-
nachtsabend ganz anders vorgestellt.

Endlich kehrt der Vater heim.

„Nun?" fragte die Frau gespannt.

Er zuckt die Achseln. Seine finstere Miene
sagt ihr genug. „Theils abgewiesen, theils ver-
tröstet ... wer hätte heute übriges Geld!"

Aber ganz mit leeren Händen ist er doch nicht
gekommen. Das Wenige, was er „locker machen"
konnte, hat er zuin Einkauf einiger Weihnachts-
gaben verwandt. „Die Kinder sollen nicht dar-
unter leiden", sagt er, und die Gattin drückt ihm
still die Hand.

Eine halbe Stunde später erhellen zwanzig
Lichter den kahlen Raum. Die Kinder jubeln
und tollen; heute können sie sich endlich einmal
ordentlich austoben in dem engen Zimmer; der
Exekutor hat reichlich Platz gemacht.

„Schöne Bescherung!" murrt Richter, von der
Heiterkeit der Kinder halb angesteckt, in einem
Anflug von Galgenhumor.

Auf den Straßen ist es still geworden. Das
Gewimmel der Marktbesucher hat sich verlaufen,
 
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