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Der wahre Jakob: illustrierte Zeitschrift für Satire, Humor und Unterhaltung — 18.1901

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https://doi.org/10.11588/diglit.6609#0255
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3659

Der Kampf mit dem Möfen.

Wie es bei derlei Volk ist gut,

Wenn solch ein Wort nicht Sonntags ruht,
Und bis zur Kirchenthüre hin
Man aufrecht hält die Disziplin.

Vorm Eintritt Hält der Zug nun an,

Der „Unter" spricht: „Meld' dreißig Mann!'
Der „Ober" hört's, ordenbesonnt.

Und schreitet ab die blaue Front
Und mustert mit gestrengem Blick,

Ob kirchenmäßig jed's Genick
Und recht geflickt sei jedes Kleid
Zur höh'ren Ehr der Frömmigkeit.

Dann ein man in die Kirche zieht.

Die Orgel tönt, es tönt der Sang,

Den Schluß verkündet Glockenklang
Und höchst erbaut und sehr belehrt
Zurück man zu den Zellen kehrt.

Die „jüd'schen Leut" man weit und breit
Sich aus dem „Haus" zusammenschreit,

Sie schaaren sich auf engen Bänken
Zu „innerlichem" Freiheitsdenken,

Hebräisch von der Nas' zur Wade,

Hebräisch namentlich die Suade.

Im Tempel findet sich ein Gürtel
Von „feinen Leut" — 's Millionenviertel
Stellt er von Plötzensee drum dar, —

In blondem theils, theils grauem Haar.
Hier sitzt bei dem Defraud-Kommis
Ein einst'ges Groß-Wucher-Genie,

Und in der blauen Eleganz

Strahlt dort ein Glied der Haute Fiuance;

Auch Gründer von Weltramschbazaren

Im Tempel ihre Würde wahren

Neben dem Burschen, der war früher

Marder der Winterüberzieher.

Es wacht der Aufsicht scharfes Walten,

Daß alle ihre Mäuler halten;

Denn leider giebt es böse Jungen,

Die „weltlich" nützen ihre Zunge»,

Dieweil in würd'gem Psalmodiren
Man übt sehr kunstvoll 's Detoniren.

Hältst du auch vor den Mund die Hand,
Die Aufsicht Aug' hat und Verstand,

Mitt' im Gebet ihr Schlüssel klappert
An'n Arm dir: „Hier wird nich gesabbert!"
Die Worte schrill ins Ohr dir kratzen —

O jüd'sche Leut', laßt doch das Schwatze»!
Ihr steht zum Beten an den Bänken
Und nicht zu Unterhaltungs-Schwänken.
Bedenkt, der Aufsicht Auge schweift
llnd aus dem fernsten Dickicht greift
Sie sich die Zungenlastersünder,

Die niemals halten ihre Münder.

Was giebt's auch, wenn von achtzig Leut'
Jedweder was privatim schreit!

Doch ob auch Aufsicht zwischenfäbrt.

Die heil'ge Stimmung das nicht stört. . ..

So werden dort, wir müssen's loben,

Die Seelen spstemat'sch gehoben;

Durch Beten, Predigen und Singen
Entzieht man uns des Schlimmen Schlingen.
Ist auch die Wirkung öfters schwach,
Gefängnißleitung läßt nicht nach,

Fest überzeugt: „Bleibt auch der Wahn,
Wir haben unsre Pflicht gethan!"

U

v.

Weihnachten.

Die Glocken läuten. Wie man sagt.

Ist heute drauß' die heil'ge Nacht.

Ich träum' in schwerer Einsamkeit
Vom Dunkel nur gramvoller Zeit.

Soweit ich schaue, glimmt kein Licht.
„Fürchtet Euch nicht!"

Nichts deutet auf das Fest so reich,

Kein Apfel und kein Tannenzweig.

Wie jeden Abend ist es hier

Und Weib und Kinder fern von mir —

Wie auch sie leiden mögen heute!

„Siehe, ich verkünd'ge Euch große

Freude."

Ach, einsam ist's heut' hundertfach.

Wo Alles draußen jauchzen mag.

Jeder vergißt, wie sehr er litt.

Ich wandte trüb mit müdem Schritt,

Kein Hauch mich von der Freude küßt,

„Die allem Volk widerfahren ist."

Ich war ein Kind, freudig und gut,

Dann sank ich in der Wirbelfluth.

Wie würgt man sich so blind und schlecht!
Wer steigt, ist groß, wer fällt, geächt't;

Ein Rasen ist's von tollen Pferden-

„Friede auf Erden!"

Ich blick' durchs Fenster in die Nacht.

So friedsam nach des Tages Schlacht.

Da tönt das Zeichen: Löscht das Gas!

Ich schreite rnhlos sonder Maß,

Wilde Gedanken höhnend lallen .. .

„Und den Menschen ein Wohlgefallen!"

Weihnachten.
 
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