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Der wahre Jakob: illustrierte Zeitschrift für Satire, Humor und Unterhaltung — 19.1902

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https://doi.org/10.11588/diglit.8186#0006
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3662 —


Das ist die Zeit der schweren Noch,

Sie schreitet klirrend durch das Land:

Sie raubt dem Hungrigen das Brot,

Sie lähmt dem Schaffenden die Hand.

Sie bläst die Flamme aus im Herd
Und höhnt des Jammers Thränenfluth;
Mit schmalen Vampyrlippen zehrt
Sie an des Volkes Mark und Blut.

Das ist die Zeit der schweren Noch:

Vor ihrem Hauche dorrt das Gras,

Zn ihrem Schatten geht der Tod,

Aus ihren Spuren keimt der Haß.

Am Himmel blinkt ein blutiger Stern,

Ein Schrei durchgellt des Elends Nacht:
„Heran, ihr Kämpfer nah und fern,

Ihr starken Wächter, auf die wacht!

„Auf steilem Posten haltet Stand,
wo hoch des Kampfes Brandung schlägt:
Es hat in eure Manneshand
Gin darbend Volk sein Recht gelegt.

Und ob sie sperren Fleisch und Brot
Und ob sie häufen ZoU auf Zoll —

Das eben ist das Maß der Noch,

Das eure Kraft ermessen soll!

„Ein guter Herold ist die Noch,

Gr ruft euch mit Trompetenmund,
wo sonst ein Funke kaum geloht.

Bricht heut ein Feuer aus dem Grund.

Und wie der Knechtsinn feilscht und schranzt,
wie pfaff und Junker giert und rafft:

Auch auf die gold'ne Kuppel pflanzt
Ihr siegreich einst den Fahnenschaft!"

So wird die Zeit der schweren Noth
Zum Sendling uns des höchsten Gotts:

Sie frißt der Armuth letztes Brot —

Und — weckt den tiefsten Lebenstrotz?
Das Dasein gilt's! — wir wanken nicht,
wir kämpfen, bis der Himmel loht, —

Und segnen laut im Morgenlicht

Die schwere Zeit der heil'gen Noch. ^

Inhalt der Unterhaltungs-Beilage.

Dem Proletatiat. Zum Neuen Jahre. Von Clara Müller. —
Der Erbschlüssel. Eine Sylvestergeschichte. Von K. D. (ill.). —
AuS der Sitzung des Kriegervereins Muckenich. Von D. R. —
Von Serenissimus. — Lebensregeln für Leutnants. Von
M. K. — Der Eintritt ins Neue Jahr. Illustration. —
Reichssteuer-Neform. Von Jgnotus. — Der Militarismus
und das Neue Jahr. Illustration. — Im Zeitalter der Nechts-
gleichheit. — Entschuldigung. — Definition. — Die Stützen der
Gesellschaft. Illustration. — ImNeichskanzlerpalais. Von M. E.

Keine Neujatzrskour.

„Ein neue« Jahr? — laßt mich in Frieden!"
So Frau Germania murrend sprach.

„Lin jeder Glückwunsch sei vermieden,

Für mich kommt doch nichts Bess'res nach.
Denn rückwärts geh!'« von Jahr ;u Jahre
Mit meinem Wohlstand, Schritt für Schritt,
Und wie ich sorge auch und spare,

Stets größer wird das Defizit.

„Einst schwelgte ich in Milliarden, '

Ms ich dem Preußen mich ergab,

Doch Reiter, Kanonier und Garden,

Die nahmen all' mein Geld mir ab.

Der große Rrichthum schwand gar eilig,
In seiner Blüthe saß der Wurm,

Den letzten Rest bewahr' ich heilig
In meinem Strumpf, dem Juliusthurm.

„Dann kam die Zeit der bunten Flaggen,
Die Zeit der großen Gondrlri,

Man wollte mich zum Meerweib machen,
Es war mir gar nicht wohl dabei.

Den Flotlenrummel mußt' ich dulden,
Umsonst war jedes Warnungswort,

Ich kam entsetzlich in die Schulden
Bei diesem tollen Wassersport.

„Und daß ich immer tiefer sinke,

Bringt man den Wuchrrxolltarif;

Wie mächtig auch sich wehrt die Finke,

Die Sache geht, ich fürchte, schief.

Da macht man mich jum Bettrlweibr,

Das Brot für seine Junker ficht —

Zu diesem neuen Jahr, beileibe,

Ihr Kinder, gratnlirl mir nicht!" m. k.

Schnaxphshn einst und jetzt.

Vebel: Wie kommt's, daß manch' Kindlein in Lumpen läuft?

A.: Das kommt, weil der Vater das Geld versäuft!

Bebel: Daß manches vor Hunger zusammensinkt?

A.: Das kommt, weil der Vater das Geld vertrinkt!

Bebel: Daß manches im Winter vor Kälte bebt!

A.: Das kommt, weil der Vater in Kneipen lebt!

Bebel: Daß manches sich gar in den Himmel sehnt?

A.: Das kommt, weil der Vater dem Saufen fröhnt!

Wenn manches Kindlein in Noth verdirbt, —
Vor Kälte zittert und Hungers stirbt, — So
ist's, weil der Vater trotz allem Fleiß —Oft
keine Arbeit zu finden weiß. — Und hat er wirk-
lich in harter Frohn — Geschwitzt und geschuftet
bei kargem Lohn, — Und eilt dann die Mutter
mit treuem Sinn — Zum Bäcker, zum Schlächter,
zum Krämer hin, — Um für den hungernden
Kinderhaufen—Das Allernöthigstc eiuzukaufen:—
Dann tritt mit über die Ladenschwelle — Hohn-
lachend ein wohlgenährter Geselle: — Gieb, Weib,
mir her die schuldige Quote — Vom Mehl, vom
Fleisch, vom Zucker, vom Brote, — Vom Bier,
von der Butter, vom Tabak, vom Salz, — Von
Eiern, Kartoffeln, vom Speck, vom Schmalz. —
Was schiert mich deiner Kinder Gestöhn — Sie
mögen hungrig zu Bette gehn!

Klingt dies, Graf Arnim, so möchte ich fragen, —
Nicht wie ein Märchen aus alten Tagen, — Wo
der Stegreifritter in dunkler Nacht — Dem
Wandrer die Taschen leer gemacht, — Wo er
wegelagernd mit Schwert und Spieß — Den
reichen Krämer zur Ader ließ? — Ach, damals
schonte die wilde Meute — doch noch die Habe
der armen Leute, —" Wo heute ihr würdiger
Deszendent — Kein Mitleid mit Witwen und
Waisen kennt. — Soll ich den Namen des Schnapp-
hahns nennen? — Ich meine, Herr Graf, Sie
sollten ihn kennen! Gr.

Fast alle Mitglieder der Regierung haben den
neuen Zolltarif als ein „günstiges Instrument,
um wieder zu Handelsverträgen zu kommen,"
hingestellt. Das ist genau so vernünftig, als
wenn man einem Mädchen, bevor man ihr einen
Verlobungsantrag macht, zuerst eine gediegene
Maulschelle verabreichte. e.

„Bedürftig, aber nicht würdig."

Bei der von der Straßburger Gemeinde-
behörde eingeleiteten Nothstands- Aktion finden
nur solche Personen Beschäftigung, die eine poli-
zeiliche Bescheinigung nicht nur über ihre Be-
dürftigkeit, sondern auch über ihre Würdig-
keit beibringcn können.

Das Straßburger Beispiel hat bereits Schule
gemacht. Ueber die vorgekommenen Fälle wird
gemeldet:

P o s e m u ck e l. Vergangene Nacht brannte hier
das Häuschen der Grünhändlerswitwe G. bis
auf die Grundniauern nieder. Die Feuerwehr
griff bei dem Brande nicht ein, da sich die G.
vor drei Jahren einer Schutzmannsbeleidigung
schuldig gemacht und daher einer Hilfe nicht würdig
erschien.

Hinte«valden. Dieser Tage meldete sich
beim hiesigen Stadtkrankenhaus ein kranker Kol-
porteur. Die Aufnahme mußte verweigert werden,
da der Kranke sich vorzugsweise mit der Kolpor-
tage sozialdemokratischer Schriften beschäftigt hatte.

Crimmitschau. Der stellenlose Barbiergehilfe
Otto M. sprang gestern Abend unweit des Schützen-
hauses in die hochgehende Pleiße und ertrank. —
Nur dem Eingreifen des Gendarmen Hitzig ist
es zu danken, daß ein Arbeiter, der bereits im
Begriff stand, dem Unglücklichen nachzuspringen,
an seinem Rettungswerk gehindert wurde. Da
sich der Arbeiter durchaus nicht überzeugen lassen
wollte, daß ein Arbeitsloser stets un-
würdig sei, wird er sich vor Gericht wegen Oppo-
sition gegen die kgl. sächsische Staatsgewalt zu
verantworten haben. Dr.

Widerlegt.

Da behauptet man immer, Undank sei der
Welt Lohn; — an dem Zolltarif haben gewiß
viele Geheimräthe fleißig mitgearbeitet, — und
nun sind die Esel richtig für zollfrei erklärt worden!

Vernichtende Zensur.

Lehrer: „Dein deutscher Aufsatz ist diesmal
so schwach wie die Begründung zum neuen
Zolltarif!" e.

Dieser Auflage liegt der „Lustige Al man ach des Wahren Jacob für das Jahr 1902“ bei.
 
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