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Der wahre Jakob: illustrierte Zeitschrift für Satire, Humor und Unterhaltung — 19.1902

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https://doi.org/10.11588/diglit.8186#0012
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— 3668

.r.

Die Stützen der Gesellschaft.

Im Reichskanzler-Calais.

Prolog.

Dieweil es jetzt in Potsdam Mode ist.

Zick) spiritistisch zu vergnügen, mag
Für Deutschlands vierten Kanzler solch ein Zpiel
In Szene gehen; er. der so bewandert
Sich in Zitaten zeigt, soll nun die Geister
Heraufzitiren auf das lleberbrettl.

Das man die „Welt" nennt! Auch dis ungerufen
Erscheinenden sind für den Zickzackkurs
Illustrativ und darum dankenswerth.

(Es schlägt zwölf Uhr Mitternacht. Der große Empfangssaal
verfinstert sich, auf der Estrade oben erscheint, von gespenstisch-
bläulichem Lichte umflossen, ein Weib in ärmlicher Kleidung,
vorstellend die)

Sozialreform:

Gestattet mir. Herr Graf, mich einzufinden . ..
Man ließ die Berge kreisen und geboren
Ward eine kleine, lächerliche Maus.

Hört Ihr den Hungerschret der Arbeitslosen,
Gellt Luch der Ruf nach Brot nicht in das Vhr?
Wie steht's mit Luch? Was wollt Ihr für
mich thun?
r>. Bülow:

Seid unbesorgt! Tvohlthätigkeitskonzerte.
Tanzkränzchen. Lotterien zu edlem Zweck.
Bald werden die Plakate Dir's verkünden!
Ich bin bereit, persönlich mitzuwirken.

Der sicher kolossale Reinertrag
Soll ohne Abzug Dir gewidmet sein.

(Trübselig verschwindet die Sozialreform. Es erscheint)
Freiherr von Stumm:

Für 'nen Moment. — einst König von Saarabien.
Jetzt Würmergoulasch. bin ich aufgetaucht,
llm Dich zu fragen. Bülow: dreht der Schieifstcin,
Die wackre „Post", sich noch? And wer. sag' an.
Betreibt dermalen die Scharfmacherei?

v. Bülow:

Der Schleifstein surrt sein altes lust'ges Liedchen
And für Dich. Freiherr, trat der Glashai ein.
Schlaf Du nur ruhig weiter. Keiner, siehst Du.
Ist unersetzlich . . . alles Illusion!

(Der Schatten des Rittmeisters v. Krosigk steigt auf.)
v. Bülow:

Erwünschter Gast!

Wer bracht' Dich um? Zag schnell, war's Marten?
Ist er schuldlos?

Rittmeister v. Rrosigk:

Ich weiß es nicht. . .
verdacht Hab' ich aufs ganze Regiment;

Lin Jeder könnt' es sein, der mir den Schuß
In das Genick gesandt, aus Rachsucht, weil ich
Sie bis aufs Blut fast alle Hab' geschunden.
(Es erscheint ein Kind aus Neuß, seine mit Striemen bedeckte
Kehrseite dem Kanzler zuwendend.)
v. Bülow:

An diesem Hintertheil erkennt man Reußens
Streiche.

Das Rind aus Reust:

Nicht wahr. Herr Graf? Mein Landesvater
Hat mich mit Gnaden überhäuft, vor Schmerzen
Kann tch nicht ruhig sitzen in der Schule,

Ich bitte, schafft das Reservatrecht ab!

Vj Bülow:

Genehmigt! Lolch ein Recht soll nicht
In Reuß allein bestehn. Dem Bundesraih
Leg' vor ich ein Gesetz, das allen Fürsten
In Deutschland dieses Recht verleiht;

Die Zeit ist reif für solche kühne Chat.

Und Knuten-Vertel hilft!

(Ein neuer und doch alter- Geist taucht auf.)
Friedrich Schiller.

Lin Klassiker.

Den oft Du in den Mund nimmst, lieber Bülow.
Gestattet sich, mit gütiger Lrlaubniß.

Lin Vpus einzureichen als Bewerber
AmLurenSchillerpreis: „Don Larlos", mein'ich.

v. Bülow:

Geht nicht! Ich kenn's! Ist wider die Statuten.
„Ich kann nicht Fürstendiener sein", sagt Posä.
Vbgleich Marquis. Da sehn Sie. Herr v. Schiller,
Der Mann ist illoyal und bar der Treue;

Die aber thut uns noth. nur sie allein
Hall uns das Reich zusammen. Höflich lehn' ich
Daher den Antrag ab.

(Schiller verschwindet. Aus dem Nebel taucht auf)
Johannes v. Miquel:

Grüß Gott. Kollega!

Mich ärgert's, daß die Maden mich verzehren
Und nicht Verzehrungssteuern zahlen müssen.
Wie geht's dem Fiskussäckel?

»>. Bülow:

Schlapp und krank!

Bleibt nur Lin Mittel: ihn gesund zu beten!
Wozu giebt's denn ein Zentrum, das die Taschen
Des Volks erleichtert milliardenweise
Auf einen Mink von oben?

illiquel:

Lins Gevatter,

vergaßest Du. Ließ sich die Petition
Gen Hungersnoth und Wucher nicht pro Bogen
Mit Stempelpflicht belegen? Solches hätte
Lin hübsches, rundes Sümmchen eingebracht.

(Miguel verflüchtigt sich; es erscheint)

Berolina:

Herr Kanzler Bülow. meinen schönsten Schmuck
Hab' ich verloren, meine Jungfernschaft.

Auf Griechisch heißt's Autonomie. Sie thut
Mir dringend noth. gebt sie zurück!

v. Bülow:

Der Topf, einmal zerschlagen, wird
Nicht wieder ganz. Du thust mir leid.

Indeß ich gelte was bei unsrer Polizei
llnd die Kontrolle könnt' ich Dir erleichtern.
Bist einverstanden Du?

(Nach einer kurzen Pause erscheint unter geziemender Er-
schütterung des Podiums die Gestalt des Fürsten Bismarck.)

v. Bülow (vom Stuhle stürzend):

Die Raketenkiste!
Bismarck:

Nanu, man ruhig! Nicht den Kopf verlieren!
Ich hör' es bis herunter, daß die Junker
Mit Deinem Zolltarif zufrieden sind.

So leidlich wenigstens. Nein Naulwurfsleib-
blatt

Ist gleicher Meinung. Darum guten Muth!
v. Bülow (erfreut):

Man thut so viel man kann. Der Zolltarif
Ist so ein Anfang, um die Stützen von
Altar und Thron, die Ldelsten und Besten
Lin bischen zu fatiren.

Bismarck:

Ganz mein Fall!

Wie steht es denn mit Bebel, Singer. Auer?
Ist ein Gesetz in Arbeit, das den Umsturz
Für alle Zeit und radikal verhütet?

v. Bülow:

Wozu? Man kommt mit dem vorhandnen aus.
Bismarck:

Mir war's unmöglich. Satan sei's geklagt!

In meinem Zustand jetzt ist's auch egal;

Die rothe Bande stirbt nicht aus. Nun grüß'
Mir den Lucanus noch. Bis über's Jahr
Holt hoffentlich er Dich und manchen Andern,
Nachdem Du rasch ein Denkmal Dir verdient.
Wenn's auch drei Stockwerk hoch nicht ist. wie
meines.

(Versinkt, es wird wieder hell.)

Bülow (reibt sich die schweißbedeckte Stirn):

Lin theurer Spaß! Ich taug'zum Medium nicht.
Statt zu befragen. — wurde ich befragt!

Zum Teufel niit dem faulen Spiritismus!
prosit Neujahr! Ich Hab' genug für heut'.

(Empfiehlt sich von den betroffenen Gästen.) M. E.

Briefkasten.

di. Kl. in VC(. Was der Brave Alles ohne Honorar
hat thun müssen! Sie haben ganz recht. Diejenigen, welche
Arbeit ohne Honorar verlangten und annahmen, sollten sich
in erster Reihe schämen. Der Grundsatz: „I hob nix, i kann
nix zahln!" ist allerdings sehr profitabel. Am meisten muß
man sich über die Näivetät der guten Menschen wundern, die
Alles so ohne Selbstkritik ausplaudern.

Vrekbald. Die Unterschiede, welche Ihr Ortspolizist
zwischen den „Restanten" und den „Säumigen" unter den
Steuerzahlern macht, interessiren das Publikum nicht.

<£. 5. in Zürich. Kam für die Weihnachtsnummer viel
zu spät, wäre aber auch sonst unverwendbar gewesen.

Abgelehnt: p. B., Lhr. M. in H., H. G. in LH.,

J. B. in St, A. Sp. in D.-N., R. in B.-Sch., Leh-
mann II, T. und T., f>. R. in Br., L. R. in PL, G. p.
in L., (D. St. ’K., ,,Freund des Jacob" in Hamburg,

T. in G.. L. H. in B.. L. J. w. F. in H., 0). F. B.,
<£. F. in New York, LN. L?. in M.-Sch. bei B., LN. S.
Schnuppe, L). R. in L?., A. D. in (De., <£. 1t. in Z.,

K. B., B. Fr., w. in B., Prellbock.

(Berolina macht einen tiefen Knix und verschwindet.)

wir ersuchen die Parteigenossen, eine recht kräftige Agitation für den wahren Jacob zu entfalten.
vj « * « Probenummern werden auf vorhergehende veftellnng gratis und franko geliefert. * * «

Verantwortlich für die Redaktion B. Heymann in Stuttgart. — Verlag und Druck von I. H. W. Dietz Nachf. (G.m.b.H.) in Stuttgart, Furthbachstraße 12.
 
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