Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Der wahre Jakob: illustrierte Zeitschrift für Satire, Humor und Unterhaltung — 19.1902

DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.8186#0030
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
3686

Die Mfsron öes Zaren

nach dein Westen

nach den, Vsten.

Despotismus gemildert durch Dgnumit.

von James Thomson 0(837—(882),
übersetzt von K. £.

Es ist Kein ffiifef auf der ganzen Wett
§o floh wie meiner. Kein gemeiner König,
Kein bloßer, unumschränkter Kaiser bin ich.

Ach bin der weiße Zar, als Gott verehrt,

Als Lcrr des Limmels und als Lerr der Erbe,
Und dennoch zittr' ich vor dein Krönungstag.

Mein Reich umfaßt die Lälfle von Europa,

Die Lälfte Asiens bis ;um Dzean,

Der da bespült der Reuen Welt Gestade;

Rach Morden zu verschwimmen seine Grenzen
Dm ew'gen Eise, das den Mol umlagert,

And dennoch zilir' ich vor dem Krönungstag.

Dn mir verehren achtzig Millionen
Den Vater, Kaiser, Lohenpriester, Gott:

Gie Alle leben, athmen nur in mir
Dur unser theures, großes, heillges Rußland.
Die Macht des Reiches liegt in meinen Länden,
And dennoch zitlr' ich vor dem Krönungstag.

Ich habe goldne, habe Eisenfesteln

Dür jede Land, für jeden Mund, der ruchlos

An meiner heil'gen Würde sich vergeht.

Lalb Asien ist mein Zuchthaus und Myriaden
Verschlang schon feine Anermeßlichkeit,

And dennoch zittr' ich vor dem Krönungstag.

Wie aber soll ich fesseln die Gedanken
Der Aran'n und Männer, die der Westen mir
Vergiftet, die er mir toll gemacht?

And die Gedanken werden Dynamit;

Mein Vater sank zerschmettert in sein Grab,
And zittern muß ich vor dem Krönungstag.

Wenn meine Mauern früh zur Arbeit gehn
Und wenn die müden Lände Abends sinken,

Bo hofft kein einz'ger auf ein bestres Loos.
Doch frei von jeder Todesfurcht verzehren
Ihr ärmlich Mahl sie, friedlich ist ihr Schlummer —
Ich aber zittre vor dem Krönungstag.

Wie ein Gefang'ner leb' ich im Malast,

Dn jedem Misten Wahrung wittr' ich Gift
Durch jeden Nußtritt fürcht' ich aufzufchrechen
Die Explosion, die meinen Leib zerreißt;

Vor jedem Tage zittr' ich, jeder Macht

And zehnfach zittr' ich vor dem Krönungstag.

Die Streikbrecher.

Lrzählung von LN. A.

An einem schönen Sommertag saßen in
der im Uebrigen leeren Gaststube des kleinen
Hotels zum „Stockfisch" zwei fremde Männer.
Der Eine war bartlos und sein Haar kurz ge-
schoren, der Andere trug einen schwarzen Voll-
bart; sein Auge unter den buschigen Brauen
hatte einen unruhigen, stechenden Blick.

Sie unterhielten sich eifrig mit gedämpfter
Stimme; hastige Schritte, die sie vernahmen,
ließen sie verstummen.

Der Wirth des Hotels, von einem Ausgang
heimkehrend, trat ein und wandte sich sofort
an die beiden Fremden.

„Ah, das ist schön, meine Herren, daß Sie
noch da sind — es wurde soeben nach Ihnen
gefragt."

„Nach uns?" forschte der Schwarzbärtige
im Tone des Befremdens. „Wer fragte?"

„Der Polizeiinspektor Schubert."

Die Beiden wechselten einen raschen Blick,
sagten aber nichts. Der Wirth nahm am Tische
Platz und begann:

„Die Herren sind Kunstschlosser, laut Ein-
tragung im Meldezettel. Sie werden vielleicht
wissen, daß gegenwärtig in der Stadt ein Streik
der Schlosser und Maschinenbauer stattfindet."

Der Schwarzbärtige — er nannte sich August
Dittrich — schüttelte den Kopf. „Keine Ahnung."

„Der Fabrikant Maier", fuhr der Wirth fort,
„die größte Firma dieser Branche am Orte, be-
findet sich in tödtlichster Verlegenheit. Er hat

die Polizei ersucht, ihm von dem etwaigen Ein-
treffen fremder Metallarbeiter sofort Meldung
zu machen; Schubert hat das besorgt und läßt
Sie nun bitten, sich sofort zu Herrn Maier zu
begeben. Sie würden dort höchst lohnende
Beschäftigung finden."

Die Fremden schwiegen eine Weile, dann
nahm August Dittrich das Wort.

„Wisseu Sie, mein Kollege Schnapper und
ich, wir sind keine reisenden Handwerksgesellen.
Wir beabsichtigen, die Gewerbeausstellung in
der Hauptstadt zu besuchen, im Uebrigen reisen
wir zu unserm Vergnügen. Wenn hier Jemand
etwas von uns will, soll er zu uns kommen,
dann werden wir sehen —"

„Ich verstehe, — Sie nehmen Rücksicht auf
die Streikenden," bemerkte der Wirth.

Dittrich lachte spöttisch. „Ach, die Streiken-
den sind uns ganz gleichgiltig."

Der Wirth erhob sich. „Die Herren bleiben
heute noch hier? fragte er.

„Gewiß."

Am Abend, als die Gaststube sich belebte,
erschien ein Buchhalter der Firma Maier. Er
ließ die beiden fremden Kunstschlosser, die sich
auf ihrem Zimmer befanden, um eine Unter-
redung bitten, dann trat er in ein reservirtes
Gastlokal und bestellte Wein.

„Bei Maier wird gearbeitet." Das war
die Sensationsnachricht, welche am andern Vor-
mittag die Stadt durchlief. Die streikenden
Arbeiter standen in Gruppen beisammen und
tauschten mit finsteren Mienen ihre Meinungen
aus. Sie hatten trotz aller Beaufsichtigung, der
sie unterworfen waren, den Bahnhof der kleinen
Stadt gut bewacht und nichts Verdächtiges
bemerkt; sie begriffen nicht, wo die Streikbrecher
plötzlich hergekommen waren.

Inzwischen waren Dittrich und Schnapper
von einem alten Werkführer in ihre Arbeit
eingeführt worden. Sie erfuhren, daß es sich
 
Annotationen