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Der wahre Jakob: illustrierte Zeitschrift für Satire, Humor und Unterhaltung — 19.1902

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https://doi.org/10.11588/diglit.8186#0050
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-■ 3706 •—>

Parte als weisender Feldherr. Auf einem
Felsen zu seinen Füßen steht sein Name über
denen Hannibals und Karls des Großen —
eine Schmeichelei, die sicher ihre Wirkung
nicht verfehlte. Der Kaiser ernannte David
zu seinem ersten Maler und der Verherrlichung
des Kaiserreichs hat unser Künstler nunmehr
den größeren Theil seiner Kraft und Thätig-
keit gewidmet. Die zweite Niederlage Na-
poleons vertrieb auch ihn aus Frankreich. Er
zählte 67 Jahre, als er sein Vaterland ver-
ließ und nach Brüssel ging, wo er die herz-
lichste Gastfreundschaft fand. Hier hat er bis
zu seinem Tode (20. Dezember 1825) in un-
ermüdlicher Arbeit, wenn auch mit abnehmen-
der Kraft gewirkt. Er liegt in fremder Erde
begraben, da er zu stolz war, von den ver-
haßten Bourbonen die Erlaubniß zur Rückkehr
zu erbetteln.

Wir reproduziren außer dem Porträt des
Künstlers zwei seiner hervorragendsten Ge-
mälde: „Den Raub der Sabinerinnen" und
„Den Schwur der Horatier", und bitten unsere
Leser, vor dem Lesen dieser Zeilen die beiden
Bilder recht aufmerksam zu betrachten. Und
nun zu unseren Bildern!

Schon stand Rom, so erzählt die römische
Sage, und die Stadt hatte sich so kräftig ent-
wickelt, daß sie allen benachbarten Staaten ge-
wachsen war — aber keine Dauer schien der
zu Großem bestimmten Gründung verheißen.
Es fehlte an Frauen und alle Versuche, mit
den Töchtern der Nachbarn Ehebündnisse ab-
zuschließen, schlugen fehl. Wo immer die römi-
schen Gesandten ihre Brautwerbung anbrachten,
ward ihnen eine höhnische Absage zu Theil.
Aus dieser Noth suchte Romulus, der Gründer
der Stadt, sein Volk durch listigen Anschlag zu
befreien. Er lud die Nachbarn zu einem großen
Feste ein, zu denen diese, unter ihnen besonders
zahlreich die Sabiner, auch von allen Seiten
zusammenströmten. Als das Schauspiel die
Augen und Aufmerksamkeit der Gäste fesselte,
brach die bereite römische Jugend auf ein ge-
gebenes Zeichen hervor und raubte mit Gewalt
die Jungfrauen aus dem Kreise der Zuschauer.
Die treulos beraubten Festgäste flohen in wil-
dem Aufbruch aus der Stadt, den Zorn der
Götter auf die frevelhafte Stadt herabrufend.
Gewaltig war die Empörung der geraubten
Jungfrauen und verzweifelt beklagten sie ihr
Loos. Doch den Schmeichelworten des Königs,
der Liebe der Jünglinge wich bald der Wider-'
stand der trotzigen Schönen, schneller, als das
Rachegesühl der beleidigten Eltern. Von den
Kämpfen, in denen die Römer ihren Raub
zu vertheidigen hatten, war der schwerste der

mit den Sabinern. Durch List hatten diese
sich in den Besitz der Stadtburg gesetzt und
griffen von dort am folgenden Tage das
römische Heer an. Unentschieden wogte die
heiße Schlacht hin und her. Da warfen sich
plötzlich die geraubten sabinischen Frauen mit
gelöstem Haare und zerrissenen Gewändern
in das Kampfgewühl und trennten die Reihen
der Kämpfenden. „Hier flehten sie zu ihren
Vätern, dort zu ihren Männern, sie sollten
sich nicht ruchlos mit Blut beflecken und den
Makel des Mordes auf ihre Kinder und
Enkel drücken. ,Wendet Euren Zorn gegen
uns. Wir sind die Ursache des Krieges, wir
tragen die Schuld an den Wunden und dem
Tode unserer Väter und Männer. Lieber
wollen wir sterben, als verwitwet und ver-
waist ohne Euch beide dahin leben/ Der An-
blick rührte Führer und Volk. Ueberall plötz-
lich Ruhe und Schweigen. Dann traten die
Führer vor die Reihen — und schließen Frie-
den und Freundschaft" — so schildert der
römische Geschichtsschreiber Livius die prächtige
Szene.

Diesen Moment, wo sich die sabinischen
Frauen zwischen die Kämpfenden werfen, hat
unser Künstler zum Vorwurf seines Bildes
genommen. Wie ein Keil schiebt sich die
Schaar in die Schlacht und trennt die Reihen.
Die Sperre richten sich auf, die Schwerter
sinken in die Scheiden, wie der Strom der
Frauen sich vorwärts drängt. Im Vorder-
grund stehen noch zwei der Führer kampfbereit
einander gegenüber — der bartlose Jüngling,
der römische Räuber, der bärtige Mann, der
beleidigte sabinische Vater! Und zwischen ihnen,
mit großer theatralischer Wirkung aufgebaut,
die Gruppe der Frauen und Kinder.

Der Entwurf zu den „Sabinerinnen" ent-
stand im Gefängniß, wohin der Künstler nach
dem Sturze seines Freundes Robespierre ge-
bracht worden war. David schätzte das im
Laufe der folgenden Jahre ausgeführte Ge-
mälde sehr hoch, höher als sein bisher be-
rühmtestes Bild, das ebenfalls einen Stoff
aus der römischen Geschichte behandelt, „Den
Schwur der Horatier". Die Sabinerinnen
waren auch das erste Bild, das in Frank-
reich nach englischer Sitte gegen Eintritts-
geld öffentlich ausgestellt wurde.

Auch beim „Schwur der Horatier" handelt
es sich um einen Stoff aus der römischen
Heroenzeit. Nach dem Raub der Sabine-
rinnen hatte Rom seine kriegerische Laufbahn
unter Romulus fortgesetzt und die Tradi-
tionen des ersten Königs hatte nach der Pe-

riode friedlicher Festigung unter Roms zweitem
König, Numa Pompilius, der dritte in der
Reihe der Herrscher, Tnllus Hostilius, wieder
ausgenommen. Eine Szene aus dem Kampfe,
den er gegen das stammverwandte Volk der
Albaner führte, ist der Vorwurf des David-
scheu Bildes. Römer und Albaner hatten sich
geeinigt, den Streit um die Oberherrschaft
durch den Kampf zweier Drillingspaare, der
Horatier auf Seite der Römer, der Curiatier
auf Seite der Albaner, zu entscheiden. Unser
Bild stellt den Augenblick dar, wo der greise
Vater den drei Brüdern vor dem Aufbruch
zum Kampfe den Schwur auf ihre Schwerter
abnimmt, nur siegreich wieder heimzukehren.
Die Gruppe ist mit packendem Pathos auf-
gebaut. Zur Linken die begeisterten Jüng-
linge, wie sie gierig nach dem Kampfe die
Schwurhand heben, in der Mitte der greise
Vater, der die Götter zur Hilfe und zum
Zeugniß anruft, und zur Rechten die Gruppe
der Frauen. Die Mutter ist ohnmächtig zurück-
gesunken, während die Schwester, die einem
der Gegner verlobt ist, im unseligen Wider-
streit der Gefühle verzweifelt ihr Haupt birgt.

Man kann ohne Uebertreibung von der
Ausstellung des Bildes eine neue Periode der
Kunst datiren. Und nicht nur die Künstler,
die Maler, Bildhauer und Architekten griffen
zur Antike, den antiken Stoffen und den:
klassischen Stile zurück, auch in der Mode
ward diese mit einem Schlage alleinige Herr-
scherin. Im Haus und Hausgeräthe ahmte
nian die griechisch-römischen Formen nach.
Die Frauenwelt verwarf den bauschigen Reif-
rock und die hohen Stöckelschuhe, hüllte sich
in das schlicht fallende antike Gewand und
band Sandalen an ihre Füße, schüttelte den
Puder aus den hochgebauten Haarfrisuren
und tvand ihr Haar in griechische Knoten.
Und auf der Bühne erschienen die griechischen
Götter und Helden nicht mehr in Allonge-
perücken mit Spitzen-Jabots und -Manschetten,
sondern wie die griechische Kunst sie dar-
gestellt hatte. Diese gewaltige Revolution
war zum großen Theil das Werk Davids:
die Rückkehr von der verschnörkelten, ver-
künstelten Kunst des Rokoko, die ihre Stoffe
dem höfischen Leben des französischen Adels
und Königthums entnahm, die zierlich, galant
und witzig sein wollte und keinen höheren
Schwung kannte, zu der Einfachheit und
Größe der Antike. Und wenn auch die Größe
bei dem Franzosen David sehr oft zu thea-
tralischem Pompe wird, die Einfachheit studirt
und gespreizt ist, so wird ihm damit doch
in keiner Weise das Verdienst geraubt, Bahn-
brecher der Antike zu sein.
 
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