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Der wahre Jakob: illustrierte Zeitschrift für Satire, Humor und Unterhaltung — 19.1902

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https://doi.org/10.11588/diglit.8186#0058
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3714

Sutbs

Zitz Blum Ucucdey Ravealu ]al)u

Die Deutsche Nationalversammlung in der Vaulslürche zu Nrankfnrt a. M.

Ginst unö jetzt.

Von TVilhelin Blos.

Wir lebe» in der Zeit des Parlamentarismus.
Was uns selbstverständlich erscheint und was
von Manchen sehr geringschätzig angeschlagen
wird, war noch in den vierziger Jahren des
vorigen Jahrhunderts das Ziel heißer Sehn-
sucht des deutschen Volkes. Allgemeines Wahl-
recht und ein aus demselben hervorgegangenes
Nntionalparlament — das schien dem liberalen
Bürgerthum von damals als eine untrügliche
Bürgschaft für das Glück und die Wohlfahrt
des deutschen Volkes. Man vergaß nur, daß die
politischen und sozialen Neuerungen, wenn sie
in das Leben treten, gewöhnlich ganz anders
wirken, als man sich vorgestellt hat zu der Zeit,
da sie nur Wünsche waren. Und da bleiben
die Enttäuschungen gewöhnlich nicht aus.

Die gewaltige Märzbewegung von 1848
schien die kühnsten Wünsche der mitteleuro-
päischen Volker erfüllen zu wollen.

Von Frankreich ging der erstaunliche Um-
schwung aus. Damals konnte ein Barrikaden-
kampf noch das Schicksal großer Reiche ent-
scheiden. Die Februarrevolution fegte wie mit
einem Zauberschlage das Königreich hinweg,
das Louis Philipp mit Hilfe einer beutegierigen
Bourgeoisie 1830 begründet hatte. Die zweite
Republik kam und damit zerriß das französische
Volk die heilige Allianz von 1815, die mit
Rußland an der Spitze die Völker Europas
geknechtet und geknutet hatte. Ein demo-
kratisches Frankreich stand als Gegengewicht
dem kosakischen Rußland gegenüber.

So konnte die Revolution nicht auf Frank-
reich beschränkt bleiben. In Deutschland, in

Oesterreich, in Böhmen, in Ungarn, in Italien
schlug sie hohe Wogen. Die liberale Bour-
geoisie bemächtigte sich der Bewegung, die von
Bürgern, Arbeitern und Bauern zuerst gemein-
sam getragen wurde. In den kleineren und
kleinen Staaten trat diese Bourgeoisie drohend
vor die Throne und erzwang von den zitternden
Fürsten die Gewährung der bekannten Volks-
forderungen. Die Großmächte nahmen eine
drohende Haltung ein; Oesterreich und Preußen
ließen es auf die Entscheidung mit den Waffen
ankommen. Sie blieb nicht aus; sie gestaltete
sich zu Gunsten des Volkes. Es gab Straßen-
kämpfe zu Wien, zu Berlin, zu Mailand, und
auch die Großmächte mußte» „gewähren".

Der März 1848 war einer jener in der
Weltgeschichte so seltenen Momente, die dem
Volke einen Triumph bringen. Gewöhnlich
triumphiren bei den politischen Katastrophen
sonst nicht volksthümliche Gewalten.

Es schien, als sollten alle Verhältnisse von
Grund aus zu Gunsten des Volkes umgestaltet
werden.

Allein die bürgerlichen Elemente, welche die
Leitung der Bewegung ergriffen halten, zeigten
gleich im Anfang eine merkwürdige Singst und
Unentschlossenheit. Ihnen bangte vor den wild-
gewordenen Bauern und noch mehr vor dem
revolutionären städtischen Proletariat, das doch
den Sieg in den Straßenkämpfen erfochten
hatte. Das zeigte sich schon in dem Ende März
nach Franksnrt am Main einberufenen Vor-
parlament. Dies Parlament, das aus der
Revolution ohne Zustimmung der herrschenden

Gewalten souverän hervorging, Hütte Deutsch-
land vollkommen umgestalten können, aber die
Mehrheit fürchtete sich vor der Revolution
und verkannte den welthistorischen Moment.
Sie lehnte die Permanenz ab und damit auch
die Leitung der deutschen Revolution. Sie lud
Alles auf den Rücken einer legal zu wählenden
Nationalversammlung ab und setzte einen Aus-
schuß ein, der die Einberufung dieses Parla-
ments betreiben sollte.

Angesichts der revolutionären Stimmung im
Volke wagten die reaktionären Gewalten sich
nicht zu widersetzen. Aber der günstige Moment
war schon versäumt.

Dennoch war noch viel zu gewinnen. Als
das erste deutsche Nationalparlament im Mai
1848 in der Paulskirche zu Frankfurt am Main
zusammentrat, da lebten im deutschen Volke
noch einmal alle im März erwachten Hoff-
nungen auf. Wie die Musik bei der Parla-
mentseröffnung spielte:

„Frisch gewagt — unverzagt!"
so schien Anfangs das Parlament an seine
Aufgabe zu gehen. Der Präsident erklärte
unter dem jubelnden Beifall der Volksmassen
das Parlament für souverän. Darnach hatte
es den Beruf und den Auftrag, die neue Ver-
fassung Deutschlands selbständig zu schaffen
und sich um die Zustimmung oder Ablehnung
der Fürsten nicht zu bekümmern.

Dies war damals noch nicht unmöglich. Hätten
sich nur in dem Parlament vorher Männer der
That zusammengefunde», die zunächst dafür ge-
sorgt hätten, daß das Parlament auch mit mate-
 
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